Zur Feier des 100. Todestages von Detlev von Liliencron wurden die Originalmöbel - mittlerweile aufwändig restauriert - aus dem Rahlstedter Wohnhaus von Detlev von Liliencron im Gymnasium Rahlstedt ausgestellt.

Neben etwa 150 gerahmten Bildern sind zwei Sessel, zwei Kommoden, der Schreibtisch und ein Beistelltisch erhalten.

Aktuell wird das Arbeitszimmer in einer Dauerausstellung im Forum Gymnasium Rahlstedt ausgestellt. Den ganzen Weg des Zimmers vom ursprünglichen Wohnhaus in der Rahlstedter Bahnhofstraße ins Forum Gymnasium Rahlstedt können Sie hier nachlesen:






Das Arbeitszimmer verlässt Rahlstedt

1971 wird das Wohnhaus Liliencrons in der Rahlstedter Bahnhofstraße abgerissen, an seiner Stelle entsteht ein modernes Gebäude, in das für viele Jahre die Rahlstedter Öffentliche Bücherhalle einzieht. Der größte Teil des literarischen Nachlasses geht an die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Für den Schreibtisch und das Arbeitszimmer besteht zunächst in Rahlstedt kein Interesse. Es wird vom engagierten Ehepaar Wille erworben, ehemaligen Rahlstedter Bürgern, die nun in Kellinghusen ein Hotel, das „Altdeutsche Haus“, besitzen und das Arbeitszimmer in einem abgetrennten Teil des Frühstückszimmers ausstellen.



Privates Engagement, nicht öffentliche Institutionen sorgen also mehr als 20 Jahre lang für den Erhalt des wertvollen Zimmers. Anfang 1994 verlässt Tilly Viss-Wille nach dem Tod des Ehemannes Kellinghusen und verlebt fortan ihren Lebensabend in Hamburg-Sasel. Das Hotel wird samt Liliencron-Mobiliar verkauft, geht aber schon 1997 in Konkurs.

Diesmal bemühen sich viele um den Nachlass. Die Stadt Kellinghusen ist angeblich wild entschlossen. Aber Bürgermeister und Kulturausschussmitglieder der Stadt bekunden ihr Interesse offenbar nicht deutlich genug. Eine Kellinghusenerin erwirbt im November 1997 das Mobiliar und will es zunächst einmal renovieren lassen, übergibt es dann aber doch an ein Rahlstedter Ehepaar, auch Annemarie Lutz - langjährige Leiterin des Rahlstedter Heimatarchivs und später auch Vorsitzende des Bürgervereins Rahlstedt - hatte sich stark engagiert.

Und nun beginnt ein Gezerre, ein Jammern und ein Wust von Schuldzuweisungen hebt an, wie der „Stör-Bote“ in Itzehoe am 27.11.1997 zu berichten weiß. Kellinghusens Bürgermeister Kalis wirft nämlich dem Pächter des pleitegegangenen Altdeutschen Hauses vor, das Zimmer sei gar nicht sein Eigentum gewesen und habe deshalb gar nicht verkauft werden dürfen; er erstattet sogar Strafanzeige. „Dichter-Nachlass in Polizeigewahrsam“ titelt der „Stör-Bote“ im Februar: „Bei Hausdurchsuchungen sowohl in Kellinghusen als auch in Hamburg-Rahlstedt wurde nach dem Zimmer gefahndet. (...) In Rahlstedt wird die Polizei schließlich fündig.“ Die Möbel werden katalogisiert, jeweils mit einem Anhänger gekennzeichnet und in die Asservatenkammer nach Itzehoe verbracht. Ein langwieriger Rechtsstreit geht über mehrere Instanzen. Der Rahlstedter Kurzzeit-Besitzer bleibt nach einem letztinstanzlichen Urteil im März 1999 auf nichts anderem als auf Kosten von 20.000 DM sitzen, das Liliencronzimmer verbleibt im Polizeigewahrsam in Itzehoe und soll nun zwangsversteigert werden.



Im Richard-Dehmel-Haus

Was folgt, hatte man dann alles schon mal gehört: Kiel möchte nun, Hamburg-Rahlstedt möchte, Kellinghusen hätte gern ... Doch wieder hat niemand aus dem öffentlichen Raum überhaupt Geld und ein Konzept, um das Liliencronzimmer bei der Zwangsversteigerung anzukaufen und anschließend angemessen auszustellen. Da ist es dann wieder der beherzten und engagierten Initiative von Frau Lutz zu verdanken, dass überhaupt etwas passiert, und zwar im Sinne Hamburgs. Sie bittet die Kultursenatorin Dr. Christina Weiß um Vermittlung eines Sponsoren. Dieser wird in Person von Claus Grossner, der bereits das Richard-Dehmel-Haus erworben hat, gefunden. Grossner ist Investmentbanker, Networker und kulturell Interessierter und zögert nicht lange, er fährt nach Itzehoe und ersteigert, für einen sensationell niedrigen Preis, sämtliches Inventar des Liliencronzimmers. Er ist bei dieser Versteigerung, man mag es ja kaum glauben, der einzige Bieter! Sein Versprechen: Es soll im Dehmel-Haus auf Dauer zu besichtigen sein. Das Hamburger Abendblatt berichtet im Juni darüber und zitiert Grossner: „Dehmel und Liliencron waren Freunde. Selbstverständlich werde ich dafür sorgen, dass die Hamburger sich das alles dann auch einmal angucken können“, sagte Grossner. „Die nächste Gelegenheit kommt im September am ‚Tag des offenen Denkmals‘.“

Leider kommt es zu dieser Wiederbegegnung der Rahlstedter mit dem Zimmer nicht. Das Dehmel-Haus ist zwar im September geöffnet, die Möbel Liliencrons aber bleiben unsichtbar. Sie lagern weiter im Keller.

Volker Wolter - Schulleiter des Gymnasiums Rahlstedt und MItglied der Hamburger Ortsvereinigung der Goethe-Gesellschaft Weimar - verfolgt damals die Auseinandersetzungen aus der Ferne und meist über entsprechende Artikel im Hamburger Abendblatt. Am 21.7.2008 trifft er sich mit Frau Lutz; sie besprechen, einen Tag vor Liliencrons 99. Todestag, die Frage, ob das Gymnasium Rahlstedt und der Bürgerverein etwas zum bevorstehenden 100. Todestag Liliencrons am 22. Juli 2009 veranstalten sollten und was in diesem Zusammenhang mit dem Liliencronzimmer zu tun sei. Gleichzeitig senden Frau Lutz und Herr Wolter je einen Brief an Claus Grossner mit der Anfrage, ob er die Möbel und Bilder eventuell für eine Ausstellung in Rahlstedt zur Verfügung stellen würde, und tatsächlich erhalten sie eine gemeinsame Einladung in Grossners Villa an der Elbchaussee. Überraschenderweise treffen sie auf eine dritte Interessentin an dem Zimmer: die Leiterin der Handschriftenabteilung der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek in Kiel, Frau Dr. Küchmeister. Zunächst wirkt Herr Grossner, der zusammen mit einem Lehrer des Christianeums bereits kleinere Aktivitäten zum „Liliencronjahr 2009“ in Planung hat, etwas zugeknöpft, kann schließlich jedoch durch Wolters Zusicherung, die Möbel zusammen mit seinem Freund Harald Sprengel fachgerecht zu restaurieren (ein 25-jähriges Hobby) zu folgender Vereinbarung überredet werden: Nach der Restaurierung soll das Zimmer etwa zwei Wochen im Gymnasium Rahlstedt ausgestellt werden, danach soll es für acht Wochen nach Kiel in die Landesbibliothek gehen, wo ebenfalls verschiedene Veranstaltungen und Ausstellungen zu Liliencron geplant sind. Mit diesem Erfolg hatten Frau Lutz und Herr Wolter nicht gerechnet!



Zurück in Rahlstedt

So schnell wie möglich sollen die Möbel bei Grossner abgeholt werden, was dann am 5. November 2008 geschieht. Die Erstbegegnung mit den Möbeln ist ernüchternd: Sie befinden sich in einem außerordentlich schlechten Zustand, haben durch die verschiedenen Transporte und den Aufenthalt im Keller des Dehmel-Hauses offenbar stark gelitten, sind feucht, haben schwerste Furnier- und Blindholzschäden.





Die Möbel werden mit einem großen Hänger zu Wolter nach Hause geschafft. Dort sollen sie zunächst einmal trockener werden. Eine Restaurierung von Grund auf wird notwendig: Die Massivholzschubladen des Schreibtischs lassen sich ebenso wenig bewegen wie die der Empirekommode. Die Filzauflage des Schreibtischs ist mottenzerfressen und zum Teil verschimmelt. Zahlreiche Furnierschäden sind zu beseitigen, alle Möbel müssen eine neue Schellackpolitur erhalten. Die Bezüge der beiden Ledersessel sind so mürbe, dass sie vorsichtshalber einem Polsterer übergeben werden, der das Leder liebevoll wieder zusammenstückelt.

Im Mai 2009 ist diese Arbeit getan. In Windeseile bauen Schüler der mit dem Gymnasium Rahlstedt verbundenen Gewerbeschule 8 „Werft und Hafen“ ein originalgetreues aus Holz gefertigtes Zimmer in die Aula des Gymnasiums Rahlstedt nach der von Sigrid Meinicke und Annemarie Lutz gefertigten Skizze. Am 19. Mai 2009 holen Herr und Frau Wolter die übrigen Exponate (Bilder, Skulpturen etc.) bei Claus Grossner ab und tapezieren und malen, kleben Stuckelemente, verlegen Lamperien und Türbekleidungen, gute Freunde helfen bei der Ausstattung des Zimmers, Sicherungstechnik wird installiert, die Möbel und die Bilder werden gebracht. Schülerinnen und Schüler des Deutsch-Leistungskurses helfen mit beim Aufbau und bei der authentischen Hängung der Bilder, aus Kiel von der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek werden Ausstellungsvitrinen beschafft. Alles muss geputzt und eingerichtet werden. Frau Lutz trägt zur übrigen Ausstellung zahlreiche Schätze aus dem Heimatarchiv des Bürgervereins Rahlstedt bei. Am 26. Mai 2009 kann mit 200 Gästen die Ausstellung eröffnet werden. Liliencrons Arbeitszimmer hat eine provisorische Bleibe gefunden! Am 10. Juni wird es wieder abgebaut, am 11. Juni nach Kiel gebracht, wo es für acht Wochen bleiben soll. Sowohl die Rahlstedter als auch die Kieler können mit der Resonanz der Ausstellungen sehr zufrieden sein.



Wartestation Kiel

Doch was nun? Eine Rückkehr in den Keller des Dehmel-Hauses erscheint problematisch. Nach Beendigung der Kieler Ausstellung wird das Zimmer zunächst in den sicheren und trockenen Lagerräumen der Landesbibliothek zwischengelagert. Herr Grossner hat mit einem sehr renommierten Berliner Regisseur ein neues Theaterprojekt, bei dem Liliencrons Arbeitszimmer eine entscheidende Rolle spielen soll.

Es wird jedoch ruhig um das Zimmer. Aus dem Theaterprojekt wird offenkundig nichts. Der Regisseur verstirbt. Im Dezember 2010 verstirbt auch Claus Grossner. Das Liliencronzimmer scheint wieder gefährdet. Wo soll es hin? Wer soll und kann es ausstellen? Hat denn die Odyssee je ein Ende?



Forum Gymnasium Rahlstedt

Im Januar 2011 wendet sich Wolter an die Erben Grossners und schließlich an die WWW-Stiftung, die den kulturellen Nachlass Grossners übernimmt, mit der Frage, ob es eine Möglichkeit gibt, das Zimmer auf Dauer nach Rahlstedt zu holen. Zwischenzeitlich entsteht auf dem Schulgelände des Gymnasiums Rahlstedt nämlich die Schulsport- und Mehrzweckhalle „Forum Gymnasium Rahlstedt“ und ein Nebenraum des Foyers, eigentlich als Lagerraum gedacht, könnte mit seinen 10 qm die Möglichkeit bieten, alle noch vorhandenen Möbel und Bilder dort unterzubringen. Und die Stiftung sagt ja! Mit Zustimmung der Lehrerkonferenz bittet Wolter daher die Schulbehörde und Schulbau Hamburg, die entsprechende Einrichtung des Raumes vornehmen zu dürfen. Große Fensterausschnitte werden in den Beton der Wände geschnitten, wieder verkleben Wolter und seine Frau entsprechenden Stuck, wieder muss die Lammfellrolle her, ein freundlicher Nachbar verlegt einen dem Original entsprechenden Pitchpine-Fußboden, Sicherheitstechnik wird eingebaut. Auf einem berührungsempfindlichen Bildschirm vor dem Zimmer gibt es Informationen zu Leben und Werk Liliencrons. Im September 2012 kann das Liliencronzimmer endlich eingeweiht werden.

Und nun? Der Schreibtisch hat wieder „seinen Ort“, das Zimmer ist fertig, alle Bilder so gehängt wie zuletzt im Original der Bahnhofstraße 39; auch wenn das Zimmer nur etwa die Hälfte der ursprünglichen Größe hat – es hat sich wieder materialisiert, ist präsent. Von außen ist es gut einzusehen. Bei Veranstaltungen im Foyer oder in der Halle steht man unmittelbar vor den zahlreichen Exponaten, die zwei Weltkriege überstanden und auch danach ein bewegtes Schicksal erlebt haben. Es ist ein kleines Wunder, dass noch fast alles da ist. Und diese Präsenz ist als Auftrag zu sehen, sich wieder stärker mit Liliencron zu beschäftigen. Nicht aber im Sinne einer schwärmerisch aufzusuchenden Wallfahrtsstätte, sondern als Anlass zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem wohl berühmtesten ehemaligen Bewohner unseres Heimatortes Rahlstedt. Liliencron war ein typischer Mann des 19. Jahrhunderts, ein Kaisertreuer, ein problematischer Charakter. Aber er war in der Lyrik auch einer der ersten „Modernen“ mit Wirkungen weit über seinen Tod hinaus. Sobald das derzeit in umfassender Restaurierung befindliche Dehmel-Haus hergerichtet ist, wollen Hamburger literarische Vereinigungen, darunter die Hamburger Ortsvereinigung der Goethe-Gesellschaft Weimar, der auch Wolter angehört, ihr Augenmerk stärker als bisher auf die „Hamburger Dichterschule“ wenden: auf Richard Dehmel, Gustav Falke, Otto Ernst und den wichtigsten dieser vier literarischen Freunde: Detlev von Liliencron. Vielleicht ist bis dahin ja auch der „genius loci“ in diesem Zimmer zu neuem Leben erwacht, und der Schreibtisch spricht zu uns.


Geh ich zur Ruh, und ist mein Tag vollbracht,
Seh ich noch einmal mich im Zimmer um:
Die Erde schweigt und todstill ist die Nacht.
Wer sagt mir dann Schlafwohl noch, heimlich, stumm?
Mein Schreibtisch, meine Bilder, Alles wacht,
Und Alles grüßt mit Linien grad und krumm.
Habt ihr belauscht, was ich getan, gedacht?
Das wär mir eigentlich kein Gaudium.