Poggfred - Kunterbuntes Epos in neunundzwanzig Kantussen
Erster Teil: Einkehr in Poggfred.
Erster Kantus: Der Aussichtsturm.

Dies ist ein Epos mit und ohne Held,
Ihr könnts von vorne lesen und von hinten,
Auch aus der Mitte, wenn es euch gefällt.
Ja, wo ihr wollt, ich mache nirgends Finten,
Klaubt euch ein Verslein aus der Strophenwelt!
So sucht ein Kind im Kuchen nach Korinthen.
Ob sie euch schmecken, kümmert mich fürwahr nicht;
So lest denn mit Geduld! Meintwegen garnicht.
Tut, drin zu lesen, wirklich wer den Schwur,
Ums Himmelswillen, nur nicht die »Gesänge«
Wie einer Zwiebelreihe tote Schnur
»Herunterhaun«, sonst kommt er ins Gedränge.
Denn das wär eine Elefantenkur,
Und gräßlich wirkte, opiumgleich, die Länge.
Nein, wie gesagt, nur hier und dort ein Canto,
Und ganz beliebig ausgehülst ex Quanto.
Und noch einmal, und noch ein drittes Mal:
Ich warne, bitte, flehe, ich beschwöre:
Lest nicht den Poggfred mit dem Lineal,
Verzehrt ihn nicht wie eine lange Möhre!
Es brächte jedem nur die größte Qual,
Wenn er sich regelrecht darin verlöre.
Lest übereck, es soll euch nichts verbinden;
Der »rote Faden« wird sich trotzdem finden.
Zwar wähl ich mir ein fremdländisch Gewand:
Ich greife zu Ottaven und Terzinen.
Doch werd ich dich, mein deutsches Vaterland,
Deshalb nicht weniger gewandt bedienen.
Die Stanze ist mir nur der Zellenstand,
Den Honig bringen meine heimischen Bienen.
Und der Terzinen Sancta Trinitas
Dämmt die Gedankenflut ins rechte Maß.
Ich möchte gern in alles Leben sehn
Und die Maschine unsrer Erde schildern,
Ihr Triebwerk bis ins zarteste Rädchen drehn.
Vermessenheit, auch nur in Umrißbildern
Die Welt auf einem Kohlblatt zu verstehn.
So muß ich schleunig meine Absicht mildern.
Sogar von eines einzigen Menschen Qual
Kennt selbst der liebe Himmel nicht die Zahl.
Und nähm die Ewigkeit den Gänsekiel:
Sie kann nicht eines Menschen Stunde schreiben.
Sie sähe nichts von seinem Kampf und Spiel,
Und sähe sie durch alle Fensterscheiben.
Gräbt sie ihm dann das letzte Erdenziel,
Wird er sich still dem Weltschoß einverleiben,
Ohn daß er mehr aus seiner Daseinsfülle
Ertastet hätte als der Seele Hülle.
Geheimnisvoll ist unser Tun und Handeln,
Geheimnisvoll verstummen wir ins Grab.
Und wenn wir noch so breit und spurig wandeln,
Wir schwanken nur am sichern Todesstab.
Und was wir binden auch, und was wir bandeln,
Geheimnis steigt wie Stein mit uns hinab.
Ist unenträtselbar des Menschen Leben,
Wie könnt ich seines Schicksals Aufschluß geben.
Na gut, was tu ich denn in die Behälter?
Erinnrung? Traum? Erlebnis? Phantasie?
Ich habe Angst, mein Blut wird täglich kälter,
Zum Teufel geht allmählich der Esprit.
Zusammen schab ich drum, eh immer älter,
Die schäbigen Reste meiner Poesie.
Denn vor mir, eine greuliche Pagode,
Hockt steif des Dichters »zweite Periode«.
Oh, da wirds eisig, »objektiv« wirds da,
Der Springinsfeld setzt ruhiger den Fuß
Und ruft nicht mehr sein lustiges Hurra.
Trübsinnig hört er fernen Sängergruß,
Am Ende kommt noch gar das Podagra,
Auf alle Farben fällt ein grauer Ruß.
O Jemine, so sinkt die Kraft der Jugend,
Verwandelt sich in wermutvolle Tugend.
Nein, nein! Noch nicht! Noch immer, kommts drauf an,
Sitz ich im Sattel zweiundsiebzig Stunden;
Noch immer pfeif ich auf Hans Biedermann,
An keine Regel, nur an mich gebunden.
Und was für Fallen mir der Schmerz ersann,
Noch hab ich stets die Rettungstür gefunden.
Noch strömen meines Lebens rote Wellen;
Wies fließt, so rinnts, versprudl ich meine Quellen.
Noch lieb ich, fleißig mich im Tanz zu drehn,
Mit Freunden um den Ehrenpreis zu schwimmen,
Mit hübschen Mädchen durch den Wald zu gehn,
Die höchsten Alpenspitzen zu erklimmen,
Früh auf dem Anstand tief im Tau zu stehn,
Wie Hagen über Hundsvolk zu ergrimmen.
Ein altes Sprichwort sagt: lex mihi Ars!
Ich sage lieber noch: lex mihi Mars!
Doch meinen Schlössern fern und fern der Stadt,
Inmitten zwischen Wiesen, zwischen Hecken,
Fremd aller Welt und alles Lebens satt,
Spielt einsam unterm Blumenflor Verstecken
Ein schlichtes Häuschen, wie ein weißes Blatt,
Das keine Lästerzunge kann belecken.
Sein Name ist Poggfred, hochdeutsch Froschfrieden,
Denn Friede ist den Fröschen hier beschieden.
Von einem Seitentürmchen seh im Kreise
Ich meine Haide, meine Wälder liegen.
Aus meinem Garten tönt die alte Weise,
Wenn Wind und Wetterstoß die Bäume biegen.
Mein Herd empfängt mich wie nach lästiger Reise,
Die wilden Wolken lass ich weiterfliegen.
Willkommen, Einsamkeit, du vornehm Land,
Wie sind mir deine Sterne wohlbekannt!
Und all die lieben Plätze rings umher
In Knick und Torfbruch, Brache, Teich und Moor.
Die Nacht verflüchtigt sich; und Lucifer,
Der letzte Stern, verbleicht im Morgentor.
Die Sonne trennt sich aus dem fernsten Meer,
Ein Reiher hebt sich schwer aus Schilf und Rohr
Und schüttelt sich aus Flaum und Flunk den Tau;
Der Tag ist da und zeigt ein mürrisch Grau.
Von jenem Turm aus sah ich diese Nacht
Die Erde, ja, die ganze Erde brennen.
Ein einziges Flammenchaos war entfacht,
Ich konnte Einzelheiten nicht erkennen.
Tief aus der wundervollen Feuerpracht
Erscholl ein Jammern, Fluchen, Schreien, Rennen.
Die letzte Riesenlohe schoß herauf,
Dann stürzten Tod und Leben wüst zu Hauf.
Und aus der Stille, aus dem Aschenkrug,
Als Qualm und Schuttstaub sich verzogen hatten,
Erschien ein Engel, dessen Rechte trug
Hochhaltend eine Fackel durch die Schatten.
Er nahm zum Himmel seinen graden Flug,
Als wollt er dort den Tatbericht erstatten.
Ich sah ihn fliegen, schweben, höher steigen,
Um sich vor Gottes Antlitz zu verneigen.
Und Gott trat vor aus einer Ätherlücke,
Rechts von ihm Christus, links saß Jupiter.
Und hinter ihm, auf einer rosigen Brücke,
Stand ungezählt der Heiligen frommes Heer.
Der Engel naht in hocherglühtem Glücke
Und überreicht den Rest der Erdenmär.
Der Allerhalter beugt sich lächelnd nieder,
Und nimmt die Fackel, und verschwindet wieder.
Das Türmchen hab ich selber aufgesetzt,
Es dient als Schmuck dem Häuschen und als Warte.
Bin ich in Poggfred, flattert windzerfetzt
Von diesem Türmchen meine Hausstandarte.
Wie hat es heimlich oft mein Herz ergetzt,
Wenn hin und her die Fahnenstange knarrte.
Zuweilen murrt ein Donnern, fern und dumpf:
Mein Nordsee-Küstenstrich kartaunt Triumph.
O Nordsee, Mordsee, o du Bild der Kraft!
Wie steht die Brandung an Norwegens Klippen!
Vom Raubzug kam der Wiking bärenhaft,
Die Robbenjacke panzert ihm die Rippen.
Wen bringt er mit in die Gefangenschaft?
Wen landet er? es scheinen edle Sippen.
Prinzessinnen von Südsiziliens Thron
Und einen jungen griechischen Königssohn.
Dort, wo der Fels weithin vorstößt ins Meer,
Steht ein Altar mit schwarzer Marmorplatte.
Die Platte glänzt, die Luft ist wolkenleer;
Viel gelbe, rote Rosen trägt der glatte
Geschliffne Stein, sie spiegelnd voll Begehr,
Als fühlt er seine Fracht, die farbensatte.
Der Weihrauch steigt aus Becken rechts und links,
Stümprig tönt die gestohlene Syrinx.
Geräte, Waffen, Purpur, Schmuck und Gold
Sind vor des Altars Stufen hingetragen.
Die Beute ists. Der listige Würfel rollt.
Gierige Blicke. Jubel. Mißbehagen.
Jetzt um die Weiber! Die fällt mir zum Sold,
Ich hab drei Dutzend Männer drum erschlagen!
Nein mir! Und enggedrängt, ein Rudel Rehe,
Erwarten sie des Schicksals süßes Wehe.
Nun bleibt der zarte Griechenknabe noch,
Sein schwarzes Auge düstert in die Menge:
Zu wem muß er, der Fürst, ins Sklavenjoch?
Da reckt sich einer tannhoch im Gedränge:
»Dem Häuptling, mir allein gehört er doch!«
Und wendet sich zu ihm mit milder Strenge:
»Zwei Königssöhne, komm! ich blond, du dunkel,
Zwei Sterne stehen wir im Kampfgefunkel.
Auf einem Drachen, sei mein Freund, zusammen
Besitzen wir die Welt zu Odhins Ehre!
Zwei Jarle sind wir, die von Göttern stammen;
Den einen schützt des andern Schlachtenwehre.
Zusammen wollen wir den Orlog rammen,
Zusammen pflücken wir die Siegesbeere!«
Ein tausendstimmig Skaal brüllt durch die Ruder,
Es blitzt der Humpen für den neuen Bruder.
So steh ich oft in Träumen auf den Deichen;
Wie hab ichs oft in Wirklichkeit getan.
Und angenagte, angeschwemmte Leichen
Seh ich, und manchen umgeschlagnen Kahn.
Und Trümmer, mörderische Schiffbruchzeichen,
Tanzen auf Wellenbergen im Orkan.
Der Regen stürzt, die Nacht fällt wie ein Tuch;
Der Sturm erstickt sogar Poseidons Fluch.
Doch was die Flut gebracht, die Ebbe nimmt
Und führt es wieder weg und sinkt und strebt.
Wie still es wird. Auf Wattenprielen schwimmt
Der Austerndieb; die Wimmermöwe schwebt.
Der Seehund wärmt sich, und das Meerweib stimmt
So süßen Sang an, daß mein Herz erbebt.
Ein weißes Wölkchen kriecht, hoch, hoch, im Blauen;
Ich kenne dich, du schwillst zu neuem Grauen.
Und wieder kommt die Flut. Erst rillt sie an;
In langen Strichen perlt sie, und bedeckt,
Im Anfang langsam, bald den leeren Plan,
Bis sie das altgewohnte Ufer leckt.
Sie steigt und steigt zu ihrer höchsten Bahn,
Hat alles Leben wieder aufgeweckt.
Und Welle wächst aus Welle und zerfließt,
Und bäumt sich abermals und drängt und gießt.
Hinein ins Boot! Mein alter Schiffer sitzt
Am Segel; ich, am Steuer, luge aus.
Schräg liegt der Dullbord. Wie die Woge spritzt!
Klatsch! eine Ladung über Hut und Flaus.
»Ree!« Flattern! steif und straff! Den Blick gespitzt,
Pfeilgrad durchschneiden wir den Wassergraus.
Um uns die wilde See wie Berg und Tal,
Ein einziger, aufgeregter, flüssiger Stahl.
Die Dämmrung kommt. Wie schaurig wird die See.
Die Wellen poltern fort und fort, zerschäumen.
Schwermassige Nordseewolken! Herrlich! (»Ree!«)
Gebirgen gleich, mit goldnen Höhensäumen.
Ein schwarzer Vogel senkt die Fittiche
Und fliegt uns vor. Dem Tode zu? den Träumen?
Der Himmel färbt sich immer abendblasser;
Wohin das Auge reicht, nur Luft und Wasser.
O heilig Meer! Furchtbare Einsamkeit.
Hier fällt die Stickluft aller Erde ab.
In grenzenloser Abgeschiedenheit
Deckst du die Tiefe übers große Grab.
Begrabe auch die Wirren meiner Zeit,
Zieh in den feuchten Schlund den Haß hinab!
Schick deine Brisenfrische Stirn und Sinnen;
»Ree!« Flattern! Klar! Schon rundet sich das Linnen.
Ich hör die Brandung in den Schlaf herein;
Es schwankt mein Bett, es bangt mein Poggfredhaus.
Rüttelt der Sturm schon meinen Leichenstein?
Sinds Geister? Still, du mitternächtiger Graus!
Heda, was wollt ihr? Mahnen? Prophezeihn?
Ihr findet mich bereit zu jedem Strauß!
»Froschfriede« heißt mein Schlößchen! Ruhig, Hunde.
Bertouch, mein greiser Diener, macht die Runde.
Von meinen Ahnen einer hats gebaut,
Der zeitig schon die Menschen kennen lernte,
Der früh zurück sich zog aus Lärm und Laut,
Sich mit Behagen aus dem Klatsch entfernte;
Nie hat er vorm Alleinsein sich gegraut,
Schnitt gern sich einsamer Gedanken Ernte.
Beim Glase hat er manche Nacht gesessen,
Um Leid und Lebensschmerzen zu vergessen.
Das ist Philosophie; warum denn nicht?
Ein Trinker, der sich selbst nur hat beim Weine,
Der erst zur Ruhe geht beim Morgenlicht,
Das ihm die Nase tupft mit Glorienscheine.
Und heimst er Zipperlein auch ein und Gicht,
Und werden stöckrig endlich auch die Beine:
Ihm hats behagt, es hat ihn nicht verdorben,
Und am Burgunder ist er dann gestorben.
Ich wohn in meinem Jagdhaus freilich nur,
Wird mir einmal zu arg die wilde Welt.
Dann findet sie so leicht nicht meine Spur,
Ich hab ihr alle Schlüssel abgestellt;
Und abgestellt hab ich auch meine Uhr,
Daß sie mir nicht die kurze Zeit vergällt.
Denn mehr als Wochen mag ichs mir nicht gönnen,
Sonst fürcht ich, nicht ins Joch zurückzukönnen.
Doch die paar Wochen bin ich zu beneiden,
Mag nun Frau Holle ihre Kissen schütteln,
Mag mir der Sommermond Gesichter schneiden,
Mag mir der Sturm im Herbst die Fenster rütteln,
Mag Frühlingsregen blümen meine Weiden:
Stets wachen Riesen mit gewaltigen Knütteln
Vor meiner Eingangspforte und begnaden
Den, der es wagt, sich hierher einzuladen.
Eh noch die Sonne aus dem Meere steigt,
Wenn mir der Traum noch seine Männchen macht,
Wenn mir der Traum noch ferne Sterne zeigt,
Wenn mir im Traum ein Ungeheuer lacht,
In dunkler Wolke hold ein Engel geigt,
Hat ein Gefährt mir alles das gebracht,
Was zu des Leibes Notdurft keiner mißt,
Der, mir nichts dir nichts, Gast auf Erden ist.
Um zehn Uhr kommt ein Reiter angesprengt
Und springt vom Sattel und tritt ein bei mir,
Dem eine Tasche um die Schulter hängt,
Darin er Briefe birgt und Druckpapier;
Zuweilen ist sie übervoll gezwängt,
Daß schwer zu tragen haben Mensch und Tier.
Oft, schließ ich auf und spreng ich Lack und Schnur,
Verschüttet mich die deutsche Literatur.
Die deutsche Literatur, was wird mir weh!
Doch hab ich jetzt von ihr nicht zu berichten,
Nur das noch zu erzählen, daß als Fee
Mein alter Kammerdiener seine Pflichten
Bei mir versieht vom Kaffee bis zum Tee,
Und der versteht, bonnes grâces, nichts von Gedichten.
Grüß Gott, Poggfred! Den Namen lass ich laufen;
Sollt ich ihn etwa Veilchentälchen taufen?
Heut hatt ich meine Flinte umgehangen,
Um ins Gehege auf die Jagd zu gehn.
Als über eine Blöße ich gegangen,
Fand ich an einem Birkenstämmchen stehn
Steif einen Clown mit buntbemalten Wangen,
Wie wir im Zirkus alle ihn gesehn,
Wenn er uns Pudel vorführt oder Schweine
Mit andern schönen Künsten im Vereine.
Er blies auf einer Flöte, die er quer
Den Lippen hielt, aus Mozarts Don Juan
Das Menuett. Da, aus den Büschen her,
Erschienen Hand in Hand, wie ganz im Bann,
Cäsar und Hannibal in Waffenwehr,
Fritz und Napoleon, als Viergespann.
Sie kamen in der Tracht herangezogen,
Wie wir schon früh sie sehn auf Bilderbogen.
Sie waren hager, häßlich, schmächtig, klein,
Der Korse auch, wie zu Marengos Tagen.
Die tanzten nun und mußten Bein an Bein
Im Rokokogetrippelschritt sich plagen,
Und schauten mürrisch und verdrießlich drein,
Und fanden an der Sache kein Behagen.
Der Clown blies ruhig seine Melodie,
Und wie ein Affe folgte das Genie.
Ich bog mich vor, verwirrt, erstaunt, erstarrt,
Und ich sah Cäsar, und ich sah sein Glück,
Und wie er in Kleopatra vernarrt,
Und wie er sich vom Himmel riß ein Stück,
Wie Brutus an der Säule auf ihn harrt,
Und wie der Göttliche sank ins Nichts zurück.
Ich dachte seiner ungeheuern Schulden,
Und seine Gläubiger mußten sich gedulden.
Des großen Königs Auge flammt empor,
So sah er bei Kolin wohl in die Runde,
Und wie er einritt durch das Kränzetor
Nach sieben Jahren, mit der Kraft im Bunde.
Ich sah, wie er den letzten Blick verlor,
Den letzten Hohnblick, mit verzerrtem Munde
Nach Mark Aurelens Büste stur gewendet;
So hat der größte Preußenheld geendet.
Der Imperator stand vor Moskaus Flammen
Und schaute noch einmal zurück ins Feuer,
Und seine Grenadiere ließ er rammen
Den Totensteg nach Frankreich, kein Bereuer.
Er rafft bei Waterloo sein Ich zusammen
Und hat sein letztes Pulverabenteuer.
Und auf Sankt Helena benagt sein Herz
Ein Rattenvölkchen ohne Scham und Schmerz.
Den Punier sah ich auf dem Elefanten
Im roten Byssusturm, und eine Binde
Verdeckt das linke Auge dem Giganten.
Er streckt den Arm im scharfen Alpenwinde
Und zeigt den Weg, den lichtblau überspannten;
Der Himmel lächelt seinem Sonntagskinde.
Er öffnet seinen Onyxring zum Trunke;
Verfolgt, gequält erlischt ein Götterfunke.
Der Narr fiel ans dem Menuett indessen
In einen Marsch und wilden Schlachtenton.
Nun muß sich Hannibal mit Cäsarn messen
Und Friedrich boxen mit Napoleon;
Und, interessant, mit Fauststoß und Finessen
Sucht jeder Lorbeer sich und Ruhmeslohn.
Der Brandenburger schlug den Franzenstreiter,
Die andern stritten unentschieden weiter.
Da schrie dem Clown ich zu: Halt ein, du Schuft!
Und riß das Pfeifchen ihm von seinen Zähnen.
Weg da! Halt ein! Und alles schwand in Duft;
Erschöpft muß ich mich an ein Bäumchen lehnen.
Rings um mich her wards still wie Grab und Gruft,
Und nichts mehr ließ mich jenes Spukbild wähnen.
Nur schwang den Krückstock noch der alte Fritze:
Laß er hinfüro solche Schelmenwitze!

Zweiter Kantus: Panorama um Golgatha.

Spring an, mein Roß aus Alessandria!
Ein sonderbarer Anfang, ich gestehs.
Wie jeder weiß, ist Freiligrath Papa
Des Verses. Ach, mein Singsang fängt, ich sehs,
Wie Diebstahl an; Fluch! in absentia
Von Eigenem. O weh des Dichterwehs,
Wenn die Gedanken fehlen und die Reime;
Doch wächst der Baum auch aus gestohlnem Keime.
Aus meinem Fenster, einer Straße zu –
Nein, erst muß ich in Schulung mich befinden,
Dann läuft die Karre munter, und in Ruh
Kann Stanze sich bequem an Stanze binden.
Auch möcht ich vorher noch ein Rendezvous
(Ich bitte: Stelldichein) in Frühlingswinden
Abmachen. Schade, wir sind im Oktober;
So bleib ich denn Ottave-rime-Tober.
Ich muß es leider sagen: Reichlich bleiern
Und blechern klappert ein Ottavenlied.
Doch kann es schreien auch, ein Heer von Geiern,
Das eine Schlacht eräugt, hoch vom Zenit,
Und kann sich wieder senken wie aus Schleiern,
Wie letztes Abendrot auf Rohr und Ried.
Trag mich hinaus, du mächtige Ozeanstrophe,
Sei Fürstin mir, und sei auch Kammerzofe!
Auf italienisch fährt der Achterzug
Vollendet anmutig durch alle Stege.
Auf deutsch ist er beinah schon ein Betrug,
Er holpert, stolpert, knarxt, knurxt durch die Wege.
Auf italienisch tönts wie Himmelsflug,
Auf deutsch wie eine stumpfe irdische Säge.
Nur Byron noch und Goethe, die Husaren,
Durften es wagen, ihn uns vorzufahren.
Wir andern Stümper, ach, du liebe Zeit,
Wir sollten bloß den »deutschen Ton« gebrauchen;
Der ist des Vaterlandes Kleidsamkeit,
Man kann damit »so ins Gemüt« sich tauchen,
Sich stets erinnern der Bescheidenheit,
»Gott grüß dich, Alter, schmeckt das Pfeifchen« schmauchen.
Ob überhaupt der Vers nicht ganz verschwindet?
Die Prosa diesen »Luxus« überwindet?
Ich mache ziemlich viele »Gänsefüßchen«,
Anführungsstriche »offiziell« genannt.
Die Muse ist dann »mit Verlaub« ein Müschen,
Das manchen »anführt« mit der »hehren« Hand.
Wer sich »chokiert« fühlt durch »derartige« Grüßchen,
Der »findet« »Gänsefüßchen« »degoutant«.
Sie hießen dann gescheiter: Teufelsschwänzchen.
Und nun lies weiter, liebes deutsches Hänschen.
Von meinem Fenster eine Straße schau ich –
Nein, noch geht nicht die Kutsche wie geschmiert;
Noch immer, glaub ich, bin zu plump, zu rauh ich,
Und eh mein »Sang« unsterblich mich blamiert,
Versuch ich, fingerüb ich, bild ich, bau ich,
Bis alles gut gereiht ist und gruppiert.
Dann soll ein kleines Schlachtbild sich entrollen,
Bis dahin bitt ich nicht zu laut zu grollen.
In dreien Kriegen war ich; in Gefechten,
Ich rechne nach, es können fünfzig sein.
Die Ruhmesgöttin sah ich Kränze flechten,
Aus Rosen nicht, aus Eingeweid, Gebein,
Zerschossenem; ich will nicht mit ihr rechten,
Denn großes Ziel verlangt auch große Pein,
Bevor es durch des Geistes Macht errungen,
Durch Lanzenstich und Kolbenstoß erzwungen.
Mein greiser Kaiser Wilhelm, dir Hurra!
Bei Königgrätz einst küßt ich dir die Hände.
Dein gütig Herz, wie stand es jedem nah,
Gutes zu tun, daß jeder Hilfe fände.
Dein gütig Herz! säng ich ihm Gloria,
Ich müßte schreiben Bände über Bände.
Zu deinen Siegeskränzen, die mich grüßen,
Leg einen Dankeskranz ich dir zu Füßen.
Wer zieht heran? Wer bringt mir seltne Kunde?
Was seh ich: meine alten Kameraden.
Seid mir willkommen aus dem Schlachtenbunde!
Zu einem Becher Blut seid eingeladen!
Du da, mein Hans, mit deiner Todeswunde,
Und du, und du: und weiter spinnt der Faden,
Der lang sich dehnt: und mehr und immer mehr:
Wie kommt ihr jetzt, in dieser Stunde, her?
Gezogen sind wir durch die Sommerhitze,
Gelagert haben wir im Winterwald.
Ein Rattenfänger, lockt die Helmturmspitze
Im Städtchen an die Fenster Jung und Alt.
Und Schritt vor Schritt, ob Sonne oder Blitze,
Ob sich der Nebel in den Tälern ballt,
Wir fragten nicht: warum, wohin, wozu?
Ein frisch Marschieren, gernbegrüßte Ruh.
Wie klopft mein Herz! Kommt, setzt euch hin im Kreise.
Die Trommeln hör ich, hör die Hörner rufen.
O Gott, das ist die nie vergessene Weise.
Die Erde bebt. Gestampf von Fuß und Hufen.
Gewiehr. Musik. Das All geht aus dem Gleise.
Die Fahnen senken sich zu Siegesrufen.
Ich schwenke meinen Helm. Hurra, hurra!
Mein fressiger Degen blitzt Viktoria.
Wenn wir durch frohe Ehrenpforten ziehn,
Durch blattgeschmückte, putzt uns mancher Orden.
Nicht allen ist die Auszeichnung verliehn,
Doch alle waren gleich beherzt beim Morden,
Gleich tapfer, bis die Feinde mußten fliehn.
Auch mir sind einige davon geworden,
Mit Blut bespritzt, nicht etwa für Gedichte.
Warum auch? das ist keine Weltgeschichte.
Für einen Dichter, doch ich schweige lieber,
Sonst käm ich gar in den Verdacht noch – halt:
Aus meinem Fenster blick ich oft im Fieber,
Im Fieber der Erinnerung. Es knallt;
Auf jener Höhe die Geschützeschieber,
Der Pferde Sturz, Mannschaft hilft aus, es galt.
Und immer bin ich noch nicht recht im Schuß,
Ich stanzle weiter. Muse, einen Kuß.
Die Deutschen nennen keinen Dichter Künstler;
Künstler sind Maler, Musiker, Athleten.
Und wär er auch des größten Königs Günstler,
Ein Dichter »schadt nix«: Künstler sind vertreten
Im Zirkus, Flohtheater, und ein dümmster
(Der Reim ist falsch) Tenor wird dem Poeten
Stets vorgezogen. Klagt nicht! Eine Zeit
Kommt auch für euch einst. Atmet auf! Bereit.
Und wann, ich frag euch, kommt einmal die Zeit,
Daß man statt eines Leitartikels Öde
(Bleibt mir mit Politik vom Hals!) Neuheit
Von einem neuen Dichter hinnimmt? Spröde
Erwägt der Redakteur die Nützlichkeit.
Poet, du bist vertagt, verlassen, schnöde
Wie einer, der in Hamburg wohnt, verloren,
Wenn, Fluch, er ohne Regenschirm geboren.
Poet, ich würde sagen: Je m'en fiche,
Wenn Hinz und Kunz an dir herum bekehren
Mit ihrem staubzerfressenen Flederwisch.
Laß nicht von jedem Laffen dich belehren;
Sei du du selbst, dein eigen, frech und frisch,
Und laß den Teufel dich die Sache scheren,
Wenn sie dir sagen, daß nach Schiller, Byron,
Und Gott weiß wem, die deutschen Dichter leiern.
Nur gar zu gern ist das ihr Bettelwort,
Wenn sie mit dir nichts anzufangen wissen.
Und schreien die Familienblätter Mord
Vor dir, so laß sie schrein, du kannst sie missen.
Denn die Familienblätter sind verdorrt,
Weil sie Geschlechtslosem die Fahnen hissen.
Sei stolz, sei frei! Schreib Dich! Vergiß das nie!
Und schreibst du Poesie, schreib Poesie.
Zwar vieles Geld kannst du von da erlangen,
Sie zahlen gut, die »Über Land und Meer«
Und wie sie heißen; brauchst dann nicht zu bangen,
Trägst du nach diesem, jenem heiß Begehr.
Zum Beispiel einen Hummer einzufangen,
Ich rate bei Jan Cölln, ist dann nicht schwer.
Bei Ehmke singen ich und Fuhrmann Psalmen
Und schleckern demütig Fasan und Salmen.
Noch lieber aber im Hotel »zur Sonne«,
Da wirtschaftet mit Energie Frau Meyer.
Der Grogk ist da wie eitel Lust und Wonne.
Trinkst du zu viel davon, sitzt du im Schleier,
Sitzt wie Diogenes in seiner Tonne,
Als Philosoph natürlich und Kasteier.
Unübertrefflich ist das Beefsteak dort,
Auch »Münchner Kindl« fand da sichern Port.
Mit Fuhrmann sitz ich auch bei Schmidts zu Zeiten,
In Petersens Hotel, da lebt sichs gut;
Der edle Karpfen wird den Freund verleiten,
Ich wähle Schellfisch à la Prince d'Auboutte.
Ein Citran rieselt dort, o Himmelsweiten,
Wer möchte nicht ertrinken in der Flut.
Der Wirt, der liebe Schmidt, ist Temperenzler;
Ich werde, täuscht nicht alles, Abstinenzler.
Maximilianus Fuhrmann ist ein Friese,
Hartknochig, ruhig, streng und kühl im Schmerz.
Und ist er auch im Widerstand ein Riese,
Er hat, so klug er ist, ein Kinderherz.
Auf seinem Schilde leuchtet die Devise:
Ein immer treuer Sinn in Ernst und Scherz.
Wie kann man besser denn der Welt vertrauen,
Als fest auf eines Mannes Wort zu bauen.
Zu Deeke, schlag ich weiter vor, zu gehn,
Wenn wir nach gründlich liederlicher Nacht
Auf Kaviar Hunger haben. Gegen Zehn
Wird dort ein warmes Plättchen angebracht,
Um das sogar die Götter lungernd stehn;
Magnetisch übt es seine Zaubermacht.
Lebendige Wirtin, liebenswürdiger Wirt;
Es hat sich oft mein Fuß dahin verirrt.
In Altona, nicht in Altohna, wohnt
Herr Deeke, und in seiner Nähe lastet
Sanft über unsers Klopstocks Grab und thront
Die Linde, wo gern jeder Fremde rastet,
Der diese Straße kommt; er ist belohnt
Durch heilig Land. Und in der Weste tastet
Sein Finger nach dem Blei, um zu Papier
Zu bringen, was die Steine reden hier.
(Hier schmuggl ich eine Stanze ein in Klammer:
Herr Deeke ist nach Hamburg hingezogen,
Für Altona und Ottensen ein Jammer,
Obschon sie unter einem Friedensbogen
Mit Hamburg schwingen ihren Arbeitshammer.
Aus Ottensen hat Rückert uns gesogen
Die rührend schöne Gräberkranzgeschichte.
Im Alter schrieb er täglich zwölf Gedichte.)
Am Denkmal unsers großen Klopstocks fand ich
Einmal ein hübsches Mädchen stehn, die schrieb
Den Spruch sich ab. Ein irgendetwas band mich,
Sie länger anzuschaun: hab ich dich lieb?
Und eine schwere Rosenkette wand sich
Sofort um uns, gefangen sitzt der Dieb.
In Ottensen, im Hause ihrer Tante,
War sie, so jung sie war, schon Gouvernante.
Wie alle Weiber, wußte sie blitzschnell,
Weils Liebe galt, die Bahn sich frei zu machen.
Wir sahen uns zuerst im Dämmerhell,
Dann hörten uns verschwiegne Wege lachen
Und glücklich sein. Und Amor ist Rebell,
Dreist überrennt er Hindernis und Wachen.
Wir trafen uns und waren überselig
In meinen Räumen, jeder Schranke ledig.
Wie las sie vor! Zum erstenmal im Leben
Versenkt ich mit Entzücken mich in Goethe.
Wie hat sie Odem jedem Wort gegeben.
Die Sonne schien aus früher Wolkenröte
So »morgenschön«. Anmutig sah ich schweben
Der Grazien Schritt zu einer Hirtenflöte.
Bei solchen literarischen Genüssen
Sind Adam, Eva aufgelegt zu Küssen.
Zuweilen nahm ich sie als Pagen mit
Im Knabenanzug; meist in ferne Teile
Der Riesenstadt verlor sich unser Schritt.
Und frischgemut, durch vollgedrängte Zeile,
Durch leere Gassen, trieb sich unser Tritt
Ohn jede Fährnis und besondre Eile.
Des langweiligen Tages zu genesen,
Half Leichtsinn uns, das lag in unserm Wesen.
Und eine stürmische Dezembernacht:
Die Luft ist dumpf und feucht und ungesund,
Die Seuche hat sich hämisch aufgemacht,
Sie nimmt den Sarg in ihren bösen Bund,
Ein Winterwetter und Gewitter kracht,
Geängstigt heult vom Kirchhof her ein Hund.
Des Windes Harfenspiel treibt seine Hetze
Durch Telephon- und Telegraphennetze.
Was focht uns an, daß wir in diesen Graus
Hinaus uns wagten? Wars nur Übermut,
Wars unbewußter Drang, daß wir das Haus
Verlassen mußten? Her mit Handschuh, Hut!
Und Gutenabend, kleine Fledermaus.
Es trieb geheimnisvoll uns unser Blut.
Und kurz, der nächste Zug führt uns ins Land,
Wir steigen aus auf Rastort Unbekannt.
Ein Städtchen nimmt uns auf. Vor einem Gitter
Stehn, uralt, eine Esche, eine Eiche;
Aus einer Schenke klimpert eine Zither.
Hinein! wir sind gewillt zu lustigem Streiche.
Hinein! Nur keine Furcht, ich bin dein Ritter;
Der Weg zu dir geht über meine Leiche.
Wir lachen, und zwei Freunde, Arm in Arm,
Sind gleich wir mitten unterm Gästeschwarm.
Arbeiter sinds, die hier behaglich trinken;
Verständig ist ihr Reden und Benehmen.
Der dort spielt Skat, der gabelt seinen Schinken,
Und keiner läßt den Abend sich vergrämen.
Der eine, der Musik macht, nimmt die flinken
Finger nicht von den Saiten. So bequemen
Wir uns in diesen Kreis und hören froh
Bald Tingeltangellied, bald Bolero.
Der Spieler sieht uns unablässig an,
Und einmal nickt er uns vertraulich zu;
Zuweilen lächelt er. Was will der Mann?
Sein Auge läßt uns garnicht mehr in Ruh,
Bis ich die Sache ernstlich übersann:
Am Besten wärs, wir schnallten uns die Schuh.
Da steht er plötzlich auf, o schlimmer Stern,
Zeigt auf uns, lacht, und sagt: Kiek, das 's 'n Deern!
Und alles schweigt, und alles stutzt und staunt.
Herr Wirt, die Zeche bitte. Komm, Dorette.
Der Musikant, gleichmäßig gut gelaunt,
Setzt sich und trällert eine Chansonette.
Und während ein Getuschel rinnt und raunt,
Entwinden wir uns rasch der lästigen Kette.
Schon sind wir an der Tür, da hebt die Hand
Ein wüster, finnenübersäter Fant.
Platz da, ruf ich. Doch frech höhnt er uns an.
Platz da, weg, oder! und schon warnt mein Stock.
Sein Messer blitzt im Nu, und es begann
Der Kampf. Getümmel um uns, und ein Schock
Von Fäusten droht und drängt an uns heran.
Zurück! Es fliegen Krüge, Bank und Bock.
Da trifft der Stahl, statt mich, den Pagen tödlich;
Ich weiß nicht: Farben? schwimmt es schwärzlich, rötlich?
Ich steh allein da; auf dem Gasttisch liegt
Mein Page ausgestreckt mit bleichem Munde,
Liegt zwischen schmutzigen Karten, Würfeln, liegt
Inmitten umgestoßener Gläserrunde,
In Bier und Branntwein, Salz und Tellern, liegt
In all dem Schlamm mit unrettbarer Wunde.
Erloschen ist ihr Leben und verloren,
Und meine Augen wollen sich umfloren.
Die Linke hängt ihr schlaff vom Rande nieder,
Mein rechter Arm hält sie umkrampft, umspannt.
Das Lämpchen trübt auf die erstarrten Lider;
Rock, Weste, Hemd sind aufgerissen, Band
Und Schlips blutig, es schimmern weiß die Glieder,
Die zarten Brüste, weiß wie Marmorwand.
Der Sturm gibt draußen lärmend, laut ein Fest;
Mein Kopf liegt auf ihr stummes Herz gepreßt.
Nun keine Störung mehr! Endlich Bataille!
Der Tuben Schreckenston. Von meinem Fenster
Auf eine Straße seh ich; glaubts, auf Taille!
Ein Höhenzug, ein abendglanzbeglänzter,
(Wasch ich den Reim auch aus in meiner Balje?)
Von blassen Cirruswölkchen ein bekränzter,
Blaut vor mir, den von mir zwei Meilen trennen;
Des Heerwegs Bäume sind kaum zu erkennen.
Die Landstraße weckt mir Erinnerung,
Und jene Bäume werden wieder wach,
Die einst . . . Es klopft? Den bring ich auf den Schwung
Der jetzt mich stört, dem trampel ich aufs Dach!
Herein! Ah, du . . . und dann ein lustiger Sprung.
Um Gotteswillen, halt, gemach, gemach!
»Is's wahr?« Sie lacht. Wie glänzt der Zähne Schimmer.
Und Hut und Handschuh fliegen weit ins Zimmer.
Du kommst mir eigentlich recht ungelegen.
»Is's wahr?« sie fällt mir um den Hals geschwind.
Ja, ich bin heute auf ganz andern Wegen.
»Is's wahr?« sie küßt mich wie der Wirbelwind.
Ich schreibe Verse, die mich stark erregen.
»Is's wahr?« jetzt heult sie wie ein Waisenkind.
Was ist zu machen, Schuh wett ich und Strumpf:
Die Liebe siegt, die Liebe spielt den Trumpf.
Es wird mir wohl verdacht, daß ich zu viel
Von Liebe rede; bleibt mir hübsch gewogen!
Erzürnt euch denn so sehr das Schäferspiel?
Bald kommt der Leichenwagen angezogen
Und hält vor meiner Tür: ich bin am Ziel,
Die Saite riß, es sprang der Fidelbogen.
Die Liebe lebe, die mein Carmen preist,
Ob sie nun Mary oder Mieze heißt.
Der Liebe ziehn wir Maske vor und Schleier,
So treiben wirs, um schamhaft zu bestehn,
Und predigen als Tugendpfandverleiher
Moral sogar. Laß dich einmal besehn,
Du holde Heuchlerin: Mord ist, beim Geier,
Fürwahr ein minder schlimmes Teufelslehn.
Und doch, graunhaft: in all der Wüstenei,
Wo blieben ohne dich wir, Heuchelei!
Mit diesem herzigen Spruch ging ich zu Bette
Und hatte einen Traum, der schwer mich plagte.
Als schleppten meine Füße eine Kette,
Zog ich im Zimmer hin und her und klagte.
Die Tür sprang auf, ich hörte eine Mette
Aus einem dunklen Kirchenraum, der ragte
Im Dämmer säulenhoch; zunächst der Schwelle
Schlief eine junge Frau der Klosterzelle.
Sie saß in einem seidengrauen Sessel,
Das blasse Haupt lag sanft zurückgebogen.
Oder war sie erlöst der Erdenfessel?
Ich schlich mich hin, zitternd, wie hingesogen,
Und muß durch ein Gebüsch der Heckennessel,
Das sich mir plötzlich hindernd vorgezogen.
Ich sank zu ihr und weinte still: Vergieb.
Sie aber schluchzte leis: Ich hab dich lieb.
Und sie erhob sich, und ein blauer Schein
Floß durch die Halle. Langsam schritt sie vor,
Schritt weg, und zweier Teckel krumm Gebein
Mit ihr; Gesang quoll rieselnd her vom Chor.
Die Arme breit ich ihr: Ich bin allein!
Sie aber und die Hunde sind am Tor.
Und meine Teckel weisen mir die Pracht
Der treuen Zähne: Du, nimm dich in Acht!
Die Traumeswirren lassen mich nicht los:
Ich bin in Schleißheims Park, in Schleißheims Schloß.
Septembernachmittag. Den Wald, das Moos
Durchsang, durchsprang mit mir mein Weggenoß:
Ein Münchner Madel liegt in meinem Schoß,
Die mir mein Herz mit Liebesriegeln schloß.
Nun starrt ihr Auge trostlos in die Weite,
Und was sie spricht, gibt rührendes Geleite:
»Du Fadling, geh, bleib do, bleib dengerscht do.
Was willst denn auffi in dei Preißenland?
I gilt nix mehr? I woaß! Bleib dengerscht no.
Mei Herz g'hert dir, i gib dir drauf mei Hand.
Host allweil g'sagt: du warst um mi so froh,
Die Luschtigst war i und fir di koan Schand.«
Und ihre großen braunen Augen trauern;
Der Abend senkt sich, Gras und Laub erschauern.
»Was weinst denn so? Seffi! Sieh doch! Die Leute!
Der ganze Wartesaal schaut auf uns her.
Nimm dich zusammen, bitte; nur noch heute.
Mach mir den Abschied doch nicht gar zu schwer.
Hör doch! Du tatst ja immer, was mich freute.
Komm! hör! es ist ja nicht auf nimmermehr.«
Ein langer Pfiff. Der Zug faucht in die Nacht.
So ist das Schicksal. Und ich bin erwacht.
Und schlafe wieder ein, und träume weiter:
Von Elefantenkampf, von Zwerg und Zwiebel,
Von Sichelwagen, Jakobs Himmelsleiter,
Von Läusesucht, von einem griechischen Giebel,
Von Eidechsen, von einem Sargbegleiter,
Und meine Mutter liest in ihrer Bibel.
Ich sehe einen großen sanften Stern,
Den Stern von Bethlehem, den Stern des Herrn.
Das Land lag wie aus Glas gesponnen um mich,
So rein, so klardurchsichtig war die Luft.
Ich stand auf einem sanften Haidehügel
In meiner Heimatinsel Schleswig-Holstein.
Rings Sonne; eine weite, leere Aussicht.
Die Himmelsschlüssel blühen überall,
Vergißmeinnicht und gelber Löwenzahn.
Der Tod hat sich ins Kraut zum Schlaf gestreckt,
Reumütig liegt die Sense neben ihm.
Kein Pflügerruf, kein Vogel läßt sich hören,
Kein Wagen ringt sich durch den dicken Sand,
Die Mühle selbst hält Rast: es ist Karfreitag.
Auf meinem kleinen Berge stehn drei Kiefern,
Ich schreite ab: sechs Fuß weit von einander.
An eine dieser Kiefern dann gelehnt,
Sah ich hinab in all die stille Landschaft
Und freute mich des wundervollen Friedens.
Ein Schwarm von Eintagsfliegen nur gab Leben,
Von feuchtem Ort im Wind hierher getrieben.
Er hob und senkte sich vor mir wie Rauch,
Glückselig in der Freude seines Daseins.
Mich drückt die Frühlingsluft, ich sitze nieder.
Der Mittag kam, ich saß noch immer da.
Die Sonne sticht, die Frühlingsluft wird schwerer,
Ich werde müde, meine Wimper fällt:
Aus den drei deutschen Kiefern werden Pinien,
Und die drei Pinien wandeln sich zu Palmen,
Und seltsam ändert sich um mich die Gegend:
Im Westen, Osten steigen Mauern auf,
Ein Tempel schimmert auf, ein Rathaus auf,
Fern eine fremde, nie gesehne Stadt:
Jerusalem! Die Burg Antonia,
Der Schloßbau von Herodes mit den Türmen,
Und Josaphat, das Tal mit seinem Kidron,
Gethsemane, der Ölberg, Golgatha!
Vor allen Toren glänzen Villen, Gärten,
Springbrunnen klatschen in die Marmorbecken,
Und Säulenhallen stehn: Jerusalem!
Der Schmerzensweg, die via dolorosa.
Und zieht den Weg nicht eine große Schar?
Grad auf mich zu? Und zieht nach Golgatha?
Steh ich auf Golgatha, der heiligen Stätte?
Laut schiebt sich, stößt sich alles durcheinander,
Barone, Priester, Staatsanwälte, Bader,
Doctores: Pöbel aller Stände folgt
Dem blassen, zarten Mann, der vorne geht.
Von bernsteingelben Haaren eingerahmt
Ist sein Gesicht; und große braune Augen
Schaun traurig, starr, verlassen in die Menge,
Die tobend, lachend, lärmend ihn umdrängt.
Und plötzlich bin ich auch mit im Gewühl,
Und höhne, lache mit . . .
Und der die bernsteingelben Haare hat,
Der blasse Mann schleppt sich mit einem Schragen,
Bis ihn die Kraft verläßt; er sinkt zusammen.
Ein andrer, stärkrer, nimmt die Last ihm ab,
Und weiter zieht der Zug nach Golgatha.
Und alles, was uns nun entgegenkommt,
Hält an: ein General, ein Bärenführer,
Die Purpursänfte einer Edeldame,
Ein Bauer, der sein Kalb zu Markte treibt,
Mit Staatsdepeschen ein Courier aus Rom,
Die alte Semmelfrau von Jericho,
Ein Handwerksbursch, zuletzt ein Trupp Soldaten,
Der eben von der Felddienstübung heimkehrt.
Und alles lacht und johlt und kreischt und brüllt:
»Hurra, da bringen sie den Judenkönig« –
Und trollt sich weiter auf dem Weg zur Stadt.
Und eine Geierschar, in Wolkenhöhe,
Gibt, langsam kreisend, unserm Zug Geleit.
Zwei Zimmerleute fügen aus den Kiefern,
Aus den drei Kiefern, meinen lieben Kiefern,
Drei plumpe, rohbehaune, kurze Kreuze.
Wir stürzen uns auf Jesum, packen ihn,
Wir schlagen ihn mit Nägeln an die Äste.
Und ein Geschrei klagt gräßlich in die Welt
Hinauf, so gräßlich, wies ein Mensch ausstößt,
Dem mit Gewalt ein großer rostiger Nagel
Durch Hand und Fuß gehämmert wird . . .
Und Jesus senkt die bernsteingelben Haare,
Daß sie sein blutiges Gesicht verdecken:
»Mich dürstet!« Ein Soldat der deutschen Wache
Steckt den getränkten Schwamm auf seinen Spieß
Und läßt den Heiland in Erbarmen trinken.
Und Barrabas erscheint, der Gassendichter,
Der wegen Straßenraubs verurteilt saß,
Doch den das Volk losbat, und grinst hinauf:
»Ja, hättest du wie unsereins verstanden,
Den Leuten Spaß zu machen, alter Freund,
Du hingest nicht, ein schwerer Sack, am Holz;
Kerl, dein Genie hat dich ans Kreuz gebracht!«
Und Jesus senkt die bernsteingelben Haare,
Daß sie sein blutiges Gesicht verdunkeln.
Ein rabenschwarz Gewölk kriecht vor die Sonne,
Nur einen schmalen, grellen Lichtrand lassend,
Der dem Erlöser in die Augen blinkt.
Ein Blick der Liebe trifft uns, seine Quäler,
Ein Schimmer, der uns anglänzt wie erstarrt,
Und Jesus schreit, der Marterpfahl erbebt,
Schreit: Eli, Eli, lama asabthani.
Da: seht doch, seht! da jagt, von Straßenstaub
Verhüllt, jetzt wieder frei, jagt einer her,
In rasendem Galopp jagt er hierher.
Sein Helm stürzt ab, sein Haar fliegt lang ihm nach.
Er spornt den Hengst auf unsern Blutplatz zu,
Er schwenkt ein weißes Tuch, er schwenkts, er schwenkts,
Er setzt die Zinken ein zum äußersten Sprung.
Auf unserm Hügel, an der Kante kommt
Des Fuchses wilde Mähnenwelle hoch:
Ein Adjutant von Pontius Pilatus.
Er und sein Syrer, wie getüncht von Schweiß,
Brechen zusammen, und ein Wort springt hörbar
Aus diesem wüsten Knäul von Mann und Gaul:
Begnadigt!
Stracks klettert einer das Gebälk hinan:
Er hebt die bernsteingelben Haare Jesu
Ihm von den Augen – er ist tot.
Auf meinem kleinen Berge stehn drei Kiefern,
Sie stehen noch; sechs Fuß weit von einander.
An eine dieser Kiefern angelehnt,
Sah ich hinab in all die stille Landschaft,
Und freute mich des wundervollen Friedens.
Ein Schwarm von Eintagsfliegen nur gab Leben,
Glückselig in der Freude seines Daseins . . .
Und wieder wirrer werden meine Träume:
Was will bei mir denn Monsignore Retz?
Kommt da nicht anspaziert Herr Dichter Seume?
Ein schlankes Mädchen schwingt sich am Trapez.
Wo bin ich? Welche rätselhaften Bäume?
Und mittendrin stürm ich bei Königgrätz?
Jetzt bin ich gar in Düsseldorf bei Krause;
Nie fand ich eine angenehmre Klause.
Und weiter zieh ich stromhinauf den Rhein:
»Sankta Maria,« Köln, »am Kapitol.«
Du mystisch Kirchlein, heimlich tret ich ein.
Was, Fredegunde? Und mit Vitriol
Begießt sie mich? Da brummt Hans Klapperbein:
Verbeuge dich und sage Lebewohl.
Und endlich wach ich auf, vom Unsinn satt;
Die Sonne spielt auf meiner Lagerstatt.
Und nun Trompeten, Trommeln, Schwerterstunden!
Bringt mir den Helm, die Schärpe! Zorn und Zank!
Die Weiber ins Verließ, bis sie die Wunden
Uns waschen; Dank, ihr himmlischen, habt Dank.
An meines Hengstes Schweif den Feind gebunden!
Heraus die Plempe! An die Fleischerbank!
Die Dörfer brennen, heulend stürmt die Wut,
Der Abend stirbt, getaucht in rote Glut.
Nicht will ich quälen lang mit Greueltaten,
Wie sie der Krieg, der scheußliche, gebiert;
Nicht allzulang will ich im Blute waten.
Saht ihr den Sterbenden? Sein Auge stiert:
Wasser! Wasser! Die Sonne will ihn braten.
Ist denn die ganze Welt verroht, vertiert?
Wird nie des Friedensengels Stab auf Erden
Der einzige Schlichter alles Streites werden?
Niemals, seit Kain Abeln hat erschlagen;
Tief ist der Sinn, den dieser Mord erzählt.
Schlug Brutus Cäsarn, edleres zu wagen?
Neid wars, und Scheelsucht hat ihn wüst gequält.
Ich lese immer wieder mit Behagen,
Was Mark Anton rief, als vor ihm entseelt
Der göttliche Julius lag, mit launiger Galle:
Ja, ehrenwerte Menschen sind wir alle.
Nie wird die Herrschsucht ihre Faust ablassen,
Die sie auf Andrer Nacken hat gelegt.
Vereinzelt säumt ein Schwärmer durch die Gassen,
Der Liebe predigt, segnet, sänftigt, pflegt,
Und wird verlacht, sie schneiden ihm Grimassen,
Bis sich das Volk mit ihm ans Kreuz bewegt.
Der Friede ist für Kinder ein Gedicht:
Werft nur die Waffen nieder, ich tus nicht.
Die große Schlacht gleicht einem Sintflutmeere,
Das wild bewegt ist, einem Götterkampf;
Wie Hagelwetter prasseln Spieß und Speere,
Der Staub vermischt sich mit dem Wolkendampf,
Schild klirrt an Schild, und Wehre blitzt auf Wehre,
Die Erde bebt von Ruf und Roßgestampf.
Doch nicht der Schlacht gilt heute meine Ode,
Ich nehm aus ihr nur eine Episode.
Der Mittag kam. Wir waren vorgedrungen.
So furchtbar klang ein einziger Knall und Schall,
Als hätten lautlos zwei im Sand gerungen,
Lautlos, bis endlich einer kommt zu Fall,
Die Arme um des Gegners Hals geschlungen:
Erdrosselung, Ersticken überall.
Der General, dem ich am Bügel reite,
Läßt seinen Gucker gleiten an die Seite:
»Noch immer ist der Hügel nicht besetzt,
Dort lauert auf uns eine Wetterhölle,
Bis wir hinaufgekommen sind, zerfetzt;
Und oben erst verlangen sie die Zölle
Höhnisch von uns. Kartätschen sinds zuletzt.
Und gäbs Lawinen oder Felsgerölle:
Trommler, schlag an! Was warten wir und zaudern,
Wir können jetzt nicht über Plato plaudern.«
Da plötzlich wimmeln droben Mann und Pferd,
In Emsigkeit wächst Schanze rasch an Schanze,
Die Bäume fallen, und ein Kugelherd
Wird aufgeworfen, Lanze drängt an Lanze.
Der Ritter stützt sich prahlig auf sein Schwert:
Beliebt es euch, ich bin bereit zum Tanze.
Ja, es beliebt; beginnt den Stein zu schmeißen!
Wir klettern gut und werden euch zerreißen.
Der Abend kam. Die Höhe ist genommen;
Fragt nicht, wie stark, unglaublich der Verlust.
Wir hatten sie, wir haben sie bekommen;
Die Kugel sitzt in manches Kühnen Brust.
Wir sind durch eine See von Blut geschwommen,
Uns selber nicht des Schrecklichen bewußt.
Ich hob im Sattel mich, ich warf die Hand:
Der König lebe und mein Vaterland!
Am Tagesende ritt mein General
Mit mir durch Traum und Tod und Schlaf und Leben;
Die Hingemähten ruhten gelb und fahl,
Und zwischen Erd und Wolken sah ich schweben
Die Sterbenden, den Raben bald zum Mahl.
Durch meine Seele zitterte ein Beben.
Der General blieb ruhig, blieb ein Mann,
Er lächelte; sah ich erregt ihn an?
An einer Stelle kamen wir vorbei,
Da drückte Leich auf Leiche, eng geschichtet,
Ein Turm von Leibern, Fetzen, Blei und Brei,
Von Freund und Feind zum Walle rasch verdichtet,
Als Schutzwehr in der Riesenbalgerei;
Vielleicht auch hat der Teufel sie errichtet.
Spitz lief sie zu wie eine Pyramide;
Es hätte sich entsetzt selbst der Pelide.
Und ihren Gipfel krönt ein alter Zuave,
Mit langem grauem Bart, mit bunten Litzen
An seiner Jacke. Grimmig hält der Brave
Die Fahne mit der Linken, denn besitzen
Will er sie noch im Tode: Cave, cave,
Zerschmettert sei der Dieb von tausend Blitzen!
Die Rechte streckt sich wie ein Flintenlauf,
Zur Faust geballt, drohend zum Himmel auf.
Die Sonne geht, gleichgültig allem Morden,
Sie siehts auf anderen Planeten auch.
Die Biwakfeuer flackern; still geworden
Ist rings der Hexensabbath. Dampf und Rauch
Der Brände qualmen; und Hyänenhorden,
Die Plündrer, brechen auf aus Rohr und Strauch.
Es kommt die Nacht und küßt auf ihrer Runde
Den letzten Erdenschmerz von mancher Wunde.
Und aus den Wunden sinkt der sanfte Saft
Und sickert durch und feuchtet warm die Erde;
In Wurzelwerk und Fasern wächst die Kraft
Und dehnt sich stark beim nächsten Frühlingswerde,
Und reckt den Weizenhalm zu hohem Schaft,
Und gierig frißt im üppigen Gras die Herde.
So wirkt des Menschenblutes teurer Dung
Und macht den alten Boden frisch und jung.
Der Frühling kommt; er muß, er muß sich zeigen!
Mit seinen Freuden springt er durch die Lande,
Und um den Maibaum flattert froh der Reigen.
Des Erntekindes Stirn im Silberbande
Taucht nächtens hoffnungsheimlich aus dem Schweigen
Der dichtgedrängten Frucht zu sicherm Pfande.
Ja, Frühling kommt, der Sommer bräunt die Nuß,
Der Herbst macht reichen Segens den Beschluß.
Dann ziehn vom Feld zur Scheuer volle Wagen.
Der Mäher nimmt, schweißtriefend, seinen Krug
Und gönnt sich einen Schluck; aus offnem Kragen
Trotzt seine freie Brust dem Windesflug.
Und wieder läßt er scharf die Sense schlagen,
Die schwerste Arbeit ist ihm kaum genug.
Die Ähre fällt, die Garbe steht gebunden,
Und Kriegsgeheul und Greuel sind verwunden.
O Friede du, mit deinen Seidenschwingen,
Wann spannst du sie von Pol zu Pole aus,
Daß klar ein einzig liebes Engelsingen,
Schalmeibegleitet, tönt durchs Weltenhaus,
Daß schreiend, nach verzweifelt letztem Ringen,
Sich in den Abgrund stürzen Gram und Graus?
Nun, Götter, frag ich, was ist euer Plan?
Ihr schweigt? Und alles wäre, ach, nur Wahn?
Ich schlief mit meinem General, durchfroren
Vom Tau, auf offnem Feld, der Mond schien hell.
Einmal erwacht ich, meine Augen bohren
Sich in die Schatten ein, da seh ich grell,
Vom Lagerflackerlicht à jour erkoren,
Den Zuaven auf dem Leichenhochgestell:
Die Rechte droht, steil wie ein Flintenlauf,
Zur Faust geballt, grausig zum Himmel auf.

Dritter Kantus: Großmutter Schlangenköchin.

Terzinen müssen wie granitne Mauern
Geprüft, gepaßt, gefügt, gemörtelt sein,
Damit sie jeden Sturmstoß überdauern.
Genau gepaßt, gefügt ruht Stein an Stein.
Nicht nur die Form, der Inhalt muß erst recht
»Wie angegossen« sich zusammenreihn.
Das konnte Dante nur! Ich Kleisterknecht
Dagegen: Welch ein mühsam Leimen, Schieben,
Und welch ein lochgeflicktes Felsgeflecht.
Nichts da von Dantes großen Hammerhieben!
Wie würde der die Nebelnornen zeigen,
Die sich in meinen Garten heut verlieben.
Poggfred im Nebel. Und er will nicht steigen.
Nur immer dichter hüllt er Strauch und Baum;
Naßgraue Tücher tröpfeln von den Zweigen.
Mein Herz treibt wie durch einen trägen Traum,
Mit schlaffen Segeln und gebrochnem Steuer,
Nach einem kahlen, feuchten Ufersaum.
Wo keine Sonne wärmt, kein Abendfeuer,
Wo jeder Herd schon längst zerfallen ist,
Zerfallen selbst die wetterfesteste Scheuer.
Trostlos schweigt dir das Meer zu: wer du bist:
Ein Nichts im Land der Hoffnungslosigkeit,
Wo Stunde nimmersatt die Stunde frißt.
Verschlingt der Nebel völlig Raum und Zeit?
Will er mich auch mit seinen Flossen fassen?
Durchs Fenster durch? Die Fenster auf! weit, weit!
Da hör ich eine Laute, lustverlassen,
Daß mir ein Schauder durch die Seele weht,
Weltfern aus irgend welchen Abgrundsgassen.
Ein Lied klingt her zur Laute, todberedt;
Es wird mit hoher Leidenschaft gesungen,
Dazwischen welkt ein süßes Veilchenbeet.
»Großmutter Schlangenköchin« ist erklungen:
Maria, wo bist du zur Stube gewesen?
Maria, mein einziges Kind!
Ich bin bei meiner Großmutter gewesen,
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Was hat sie dir dann zu essen gegeben?
Maria, mein einziges Kind!
Sie hat mir gebackne Fischlein gegeben,
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Wo hat sie dir dann das Fischlein gefangen?
Maria, mein einziges Kind!
Sie hat es in ihrem Krautgärtlein gefangen,
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Womit hat sie dann das Fischlein gefangen?
Maria, mein einziges Kind!
Sie hat es mit Stecken und Ruten gefangen,
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Wo ist dann das übrige vom Fischlein hinkommen?
Maria, mein einziges Kind!
Sie hats ihrem schwarzbraunen Hündlein gegeben,
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Wo ist dann das schwarzbraune Hündlein hinkommen?
Maria, mein einziges Kind!
Es ist in tausend Stücke zersprungen,
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
Maria, wo soll ich dein Bettlein hin machen?
Maria, mein einziges Kind!
Du sollst mirs auf den Kirchhof machen,
Ach weh! Frau Mutter, wie weh!
»Großmutter Schlangenköchin« ist verklungen.
Geheimnisvolle ewige Schicksalsmacht!
Mit deinen Rätseln hab ich stets gerungen:
Bei der Empfängnis trittst du aus der Nacht,
Das ist der grauenvolle Grundakkord;
Ein Tier, ein Stern, das Flämmchen ist entfacht.
Dein Lebensweg ist tausendfacher Mord
An dir, von dir, wenn nicht dein Kindermund
Zur rechten Zeit ins Grab hinunterdorrt.
Und selbst dem Kind ist schon das Herzchen wund
Von Zorn und Eigensinn, versagtem Willen;
Noch arglos, schreit es seinen Schmerz gesund.
Doch lebst du weiter, wird in vielen schrillen
Mißtönen deine Seele oft erschrecken;
Und sind es Greuel nicht, so sind es Grillen.
Und was schläft nicht bei dir in Schlupf und Ecken:
Dein Herz ist eine Senkgrube voll Schmutz
Und Eitelkeit und hundert andrer Flecken.
Und dieser Senkgrube nützt kein Verputz,
Und sie zu säubern, nützen keine Siebe,
Und keine Schirme bieten sichern Schutz.
Zuerst quält dich ein Hunger: der nach Liebe.
Der »Ersten Liebe« unbewußt Begehr?
Das ganz gemeine Anklopfen der Triebe!
Ist alles »Stimmung« nicht? Bald hin, bald her,
In jede Richtung weisen ihre Fahnen:
Ins Winterland, ins Frühlingsblütenmeer.
Und immer öder werden deine Bahnen –
Halt! Keinen Schritt mehr auf der Jammerrutsche!
Ich weiß ein Wort in wilden Ozeanen:
Non timeo!
Verdammt und zugenäht! Ich wohn auf Erden!
So lang der Tod mich nicht am Kragen hat,
Will ich schon mit dem Krempel fertig werden.
»Non timeo« bohrt bis ans Pallaschblatt.
Auf meiner Klinge stehts: I fercht mi net.
Non timeo: das macht den Dornbusch glatt.
Auf meiner Brust trag ichs als Amulett.
In meinem Herzen steht es wie ein Turm.
Wenn ich erwache, ruhts vor meinem Bett.
Mein lieber Morgen, gibt es heute Sturm?
Gleichviel, ich stehe wurzelfest, ich warte.
Und käme selbst der alte Tatzelwurm:
Non timeo!

Vierter Kantus: Mein Wald Herzebruch.

Aus Horsebrook, aus »Pferdebruch« entstanden,
Ist »Herzebruch« getauft vom Volksmund heute
Mein Eibenwäldchen in den Unterlanden.
Mein kleiner Wald, wie er von je mich freute!
Da bracht ich schon als Kind mein Herz zur Ruh,
Da barg ich mich, wenn mich die Welt bedräute.
Und immer wieder haucht er Trost mir zu,
Wenn schwere Wunden nicht vernarben wollen,
Wenn hart mich trat des Schicksals Eisenschuh.
Wo, nah, der Nordsee heilige Wogen grollen,
Wie kamen doch an diesen Strand die Eiben,
Wo Meerweib und Triton romantisch tollen.
So stehts in Sagen, alten Klosterschreiben:
Als einst »die Große Flut« von Frankreich riß
Old England, kam auch ein Geländ ins Treiben
Von Schottlands Küste, ostwärts, schwamm und biß
Sich in die fetten friesischen Marschen fest,
Als stünd es hier wie seit der Genesis.
Nur neunzehn Bäume hat mein Eibennest,
Von einer großen Waldnacht nur die Neige,
Von einstiger Märchennacht ein letzter Rest.
Seltsam, phantastisch starren ihre Zweige.
Sie streuen Gift dem, der darunter ruht;
Der Wald betäubt, betrittst du seine Steige.
Mir tut er nichts; mir sänftigt er das Blut,
Wenn ich in seinem kargen Schatten liege
Und mich vertraue seiner treuen Hut.
Mir ist er wie die kleine Kinderwiege,
Wo Mutterhände allem Unheil wehren,
Wo selbst des Teufels Fluch betroffen schwiege.
Als Knabe sah ich hier die ersten Zähren:
Verwundert horch ich auf, versteckt im Gras,
Und sehe eine junge Magd heimkehren.
Sie schluchzt und schluchzt und schluchzt ohn Unterlaß,
Sie hält die Stirn umkrampft mit beiden Händen,
Drin bebt ein Briefpapier, zerknittert, naß.
Und einst, jetzt ist es mir wie aus Legenden,
Sah ich mit meinen Eltern, noch nicht flügge,
Den Wald umglüht von Abendsonnenbränden.
Wie sonderbar: Tiefschwarz, in roter Lücke,
Umarmten weinend Männer sich und Frauen,
Als ob ein blutiger Abschied sie erdrücke.
Von Heimat, Hof und Herd ins Elendgrauen
Hat des Erobrers Strenge sie verbannt;
Sie dürfen ihren Himmel nicht mehr schauen.
Ein Schiff liegt fahrtbereit am äußersten Strand,
Ein Weltmeerschiff, die Fahnen halb gesenkt,
Das soll sie abstoßen ins fremde Land.
Wie Sklaven hat das Schicksal sie verschenkt.
Sie trennen sich, die Bootsmannspfeife tönt,
Ein weißes Tüchlein flattert noch und schwenkt.
Vorbei: Nur aus der Nacht fern singt es, stöhnt:
Leb wohl, mein Schleswig-Holstein meerumschlungen.
Dann hat der Mond die Leere kalt gekrönt.
Da fühlt ich tief das Wörtlein »notgedrungen«,
Und was es heißt, von seinem Eigen lassen,
Und daß hier Herzen brachen, die gerungen.
Da lernt ich auch den Feind von Grund aus hassen,
Und schwor in meiner jungen kühnen Seele:
Nie soll mein glühender Haß mir je verblassen!
Dann kam das Leben, kamen meine Fehle;
Ich rang und stritt, wie jeder ringen muß,
Und fühlte oft das Messer an der Kehle.
Und rang mich frei aus manchem Hagelguß,
Um fast in jedem Blutsee zu versinken:
Das Leben gab mir oft den Judaskuß.
Inzwischen sah ich froh mein Wäldchen winken,
Wenn ich mich sammeln wollte, mich verschnaufen
Und sah mein Schwert von neuem blitzblank blinken.
Doch endlich wars genug, dies ewige Raufen,
Es war genug, dies ewige Qui vive!
Ich war es satt, dies um die Wette laufen.
Und fußte fest, wohin mein Herz mich rief;
Nach Poggfred rief es mich, nach meinen Eiben,
Wo still im tiefen Gras der Friede schlief.
Da bin ich! bin zu Haus, hier will ich bleiben,
Bis meines Daseins Atemdocht verglommen,
Und keine Lockung soll mich mehr vertreiben.
Am ersten Abend noch, kaum angekommen,
Ging ich sofort zu meinem Wäldchen hin,
Und ward mit stummer Freude aufgenommen.
O Sommerzeit, du bunte Färberin!
Die Sonne, die Normaluhr der Natur,
Hing überm Meere kaum noch obenhin.
Die Dämmerung betastet schon die Flur;
Halb in Erinnerungen, halb in Träumen
Verfolg ich meines Lebens heiße Spur.
Wie? Träufelt wirklich Gift aus meinen Bäumen?
Wo, ach! wo blieben meine Ideale?
Sie mußten alle, alle längst verschäumen.
Die Erde ist des Himmels Tränenschale,
Das Bild von Sais schwindelt uns was vor,
Der Schleier fällt, und Dunst ist das Finale.
Die Luft ist schwül. Ein Hyazinthenflor,
Woher? hat mir mein freies Hirn umnebelt;
Das wache Leben schließt vor mir sein Tor.
Sein Kerkerknecht, der Schlaf, hat mich geknebelt:
Auf einer ungeheuern Ebne ging ich,
Und dunkle Nacht, schwarz wie ein großer Bär,
Des Zottelpelz mich eng umhängt, umhing mich.
Nur fern im Osten wogt ein Feuermeer,
Als wollts den Himmelsrand prall überfluten;
Oft schoß die Flamme hoch wie Spieß und Speer.
Ich ging dem Brand entgegen, bis die Gluten
Das Land, die Ebne morgenhell bestrahlten,
Daß selbst die Steine deutlich darauf ruhten.
Als wenn mit Purpur sie das Luftmeer malten,
So röteten sie seinen halben Kreis,
Daß selbst die Sterne wie Rubine prahlten.
Am Arme führte ich, wie Siegespreis,
Zwei Mädchen, eine links und eine rechts,
Und vorwärts tänzelten wir jugendheiß.
Zum Jahrmarktsball, im Aufzug eines Knechts,
Der sich ins Knopfloch einen Strauß geknüpft,
Bunt wie die Federn eines Kletterspechts.
So schritten wir, dem Werkeltag entschlüpft,
Dem Glanze zu, als läge dort das Heil,
Als hätten allen Schmutz wir überhüpft.
Zur Linken mir, im Haar den Liebespfeil,
War mein Genoß ein juches Bauernkind,
Von jedem Sprödetun das Gegenteil.
Lustig und lachend wie der Frühlingswind,
Mit großen Füßen und mit großen Händen,
Gesund, starkknochig, wie die Mägde sind.
Und muß ich mich zu meiner Rechten wenden,
Will mich, in immer munterm Weiterschreiten,
Ein junges, reizendes Prinzeßchen blenden.
So zart wie zäh kann sie die Füßchen spreiten.
Die schmalen Füßchen, klein wie welsche Nüsse,
Sind wahrhaft unermüdlich im Begleiten.
Was Wunder, wenn sich meine stürmischen Küsse
Nach beiden Seiten wahllos hinverirren!
Wer zieht denn daraus gleich die schlimmsten Schlüsse.
Und wie wir drei uns küssen und umgirren,
Ein wenig unbequem im steten Paß,
Scheint sich der Brandknäul vor uns zu entwirren.
Und sinkt in sich zusammen. Was ist das:
Erlischt. Und in demselben Augenblick
Enttaucht fern, fern, dem Osten silberblaß
Die Dämmerung. Ein dicker Nebelstrick,
Von unsichtbaren Fäusten weggezogen.
Dann bricht die Sonne durch, das Erdgeschick.
Und sie beginnt den alten Tagesbogen,
Und übergießt mit blitzendem Geleucht
Der Länder Feste und des Ozeans Wogen.
Sie hat den Schlaf und hat die Nacht verscheucht,
Und überall klingt nun der Peitschenknall
Und zeigt, daß Mensch und Tier im Joche keucht.
Was doch beblitzert fern der Sonnenball?
Da, wo vorhin das Feuer ist versunken?
Zwei Schlösser? Wie? Von Marmor und Kristall?
Dicht aneinander sahen wir sie prunken,
Als immer näher wir dem Märchen kamen,
Umzuckt, umglitzert von Rückglanz und Funken.
Wir blieben stehn, entsetzt: Im Himmelsrahmen
Zwei Sphinxe sahen wir, wie ausgeschnitten,
Groß wie zwei Dome aus zwei Riesendramen.
Doch statt der Türme strebten hoch und glitten
Steil in die Luft zwei Schlangenhälse auf,
Mit Vogelköpfen in der Wolken Mitten.
Kaum noch entdeckten wir des Endes Knauf,
So endlos reckten sie die Hälse weiter,
So endlos war der dünnen Hälse Lauf.
Was kann da sein! Nur vorwärts, hopp und heiter!
Und wacker schritten wir den Sphinxen zu,
Prinzeßchen, Bauernmädel und Begleiter.
Und wieder stutzen wir. Halt! Hahn in Ruh!
Welch schreckliches Geschrei klingt uns entgegen,
Gejohl, Gemurmel. Ists Theatercoup?
Wir horchen. Gräßlich. Wie ein Hagelregen.
Dazwischen Winseln, Hilferuf und Stöhnen.
Ein Todeskampf auf weit entlegnen Wegen?
Nun nimmt es ab in immer leisern Tönen,
Verstummt; und eine große Stille wird,
Als wollte sie den Höllensturm verhöhnen.
Der Lärm kam von den Sphinxen hergeklirrt;
Vielleicht liegt hinter ihnen eine Stadt,
Woher die Klänge sich zu uns verirrt.
Nur vorwärts! Jeder Furcht ein Pereat!
So rücken wir den Sphinxen auf die Leiber,
Wie ein Soldat, der »keine Bange« hat.
Und vor uns, dicht, sind jetzt die grausen Weiber;
Den Nacken biegen wir zurück, halt an –
Nun, Phantasie, verlaß nicht deinen Schreiber!
Wohl kaum ein Meter breit im breitsten Spann,
Trennt steil ein einziger Durchgang die Kolosse,
Durch den kein Elefant sich zwängen kann.
Hier hält ein greiser Landsknecht aus dem Trosse
Des Satans uns, halt stopp! die Lanze quer;
Und wir stehn da, na! wie Rhinozerosse.
»Wer seid ihr, Menschen? Und wo kommt ihr her?«
Nun, das ist unsre Sache, Wächterlein.
»Zurück und Kehrt! Sonst kitzelt euch mein Speer.«
Gemach, mein Freund! Wir bitten, laß uns ein,
Laß uns durch diesen schmalen Durchgang gehn,
Sonst haun dich meine Mädels kurz und klein!
Und es verwandelt sich, im Handumdrehn,
Der Landsknecht, was? in einen Bürstenbinder?
Den alten Janus sehn wir vor uns stehn.
Sanft fängt er an: »Was wollt ihr, meine Kinder;
Ich rat euch, geht nicht durch das Eingangstor.
Wen wollt ihr sehn? Den Schicksalsüberwinder?
Ihr glaubt wohl, daß der wie'n Tambourmajor
Da vor euch hermarschiert auf leichten Füßen
Und Fangball spielt mit dem verzierten Rohr?
So geht! Und wollt ihr eure Sünden büßen,
So steigt hinab ins Tal der Lebenspein,
Um jeden Dreck der Erde zu begrüßen.«
Der Alte schwand. Da standen wir allein.
Was sollten seine sonderbaren Worte?
Ob wir umkehren? Nein! Man to! Hinein!
Wir traten durch die rätselhafte Pforte.
Drei Hundert Meter, und vor uns ein Licht,
Daß uns das Denken die Gedanken dorrte.
War das die ganze Erde? Diese Schicht,
Die ausgebreitet, eine einzige Stadt,
Tief unten dampfte wie ein Breigericht?
Viel tausend Marmorstufen, weiß und glatt,
Zuweilen von Terrassen unterbrochen,
Führten hinab, ein schwindelerregender Pfad.
Es schaudert uns. Doch was wir uns versprochen:
Nicht bange sein! Nur angesetzt den Fuß!
Mag uns das Blut auch fieberpulsig kochen.
Die erste Stufe! »Schnettrengtengquaktuhs!«
Die dünnen Schlangenhälse drehten sich
Und schmetterten, wie Vögel, ihren Gruß.
Wie gräßlich sah das aus, wie fürchterlich:
Dies Hälsedrehn! Doch war ihr Ruf vergebens.
Wir stiegen abwärts ohn »Erbarmedich«
Und tauchten in die große Stadt des Lebens:
Die sieben Todsünden, verehrter Christ,
Sind Hochmut, Wollust, Völlerei, Geiz, Neid,
Auch Herzensträgheit gilt als Teufelslist,
Und schließlich noch der Zorn. Nun, bei Sankt Veit,
Wenn dies Register nicht sehr mäßig ist,
Dann weiß man über Sünden schlecht Bescheid.
Ich selber kannte nur ein paar davon
Die andern stehn in Meyers Lexikon.
Gibt es nicht Sünden, die viel schlimmer sind?
Die Heuchelei? Die Lüge? Doch was soll
Die Kramerei in diesem Höllenspind,
Was nützt selbst das genauste Protokoll,
Ob Sünde A. I. den Rekord gewinnt,
Ob B. II. bis zur höchsten Bosheit schwoll:
Wir haben einfach an die Brust zu schlagen
Und, daß wir, alle, Sünder sind, zu sagen.
Erklär mir einer doch: was ist denn Sünde?
Ist sie Vererbung, schuldlos eingeboren?
Sind unerschöpflich ihre Kraterschlünde,
Aus denen sie heraussteigt wie Ephoren,
Mit Allgewalt? Was haben wir für Gründe,
Daß wir nicht Sittenhelden sind, wir Toren.
In solch Gedankennetz gänzlich versunken,
Fühlt ich mich schlimmer dran als Molch und Unken.
Da sind wir angekommen! Noch ein Schritt:
Wir stehen mitten in des Lebens Fülle.
Wer stößt mich da? Wer gibt mir Tritt auf Tritt?
Wer reißt mich weg? Entsetzliches Gebrülle!
Wer schreit mich wütend an: »Gleich her damit!«
Und plötzlich hemmt uns eine Nebelhülle.
Wir werden zaghaft. Na! was kann da sein,
Wir wollen uns schon wieder mutig schrein!
Also: Los! Vorwärts, Mädels! Fürcht't euch nicht!
Da kreischt von neuem wer: »Marsch aus dem Wege!
Mach Platz, du Tölpel, du verdammter Wicht!
Du Lumpenhund!« Und wieder hagelts Schläge.
»Du willst nicht? Warte, du Radaugesicht.«
Und schwapp, da fliegt mir was ins Zahngehege.
Herrje, mir scheint, hier siegt man mit der Faust!
Nur zu! und immer muntrer wird gezaust.
So mach ich meinen Damen freie Bahn,
Und nutze tüchtig meine Ellenbogen.
Wer hier noch hängt an einem Himmelswahn,
Wird augenblicks in Sand und Sumpf gezogen.
Fest Aug in Auge, hurtig Zahn um Zahn,
Und nicht erst lange hin und her erwogen.
Da tickt mich einer artig an und zart.
»Was, Janus, du, mein alter Rauschebart?«
»Ich? Nein: ich bin ein Leierkastenmann,
Dem diese Jahrmarktsbude angehört,
Wo jeder für zehn Pfennig gaffen kann,
Wies ihm beliebt, vollkommen ungestört.
Nur fix herein! die Vorstellung begann.
Ich rat euch aber, stellt euch nicht empört!
Denn mein Guckkasten ist kein Heuchelbold.
Doch sagt mir erst, was ihr hier unten wollt?«
»Was wir hier wollen? Nun, das ganze Leben
Soll uns vorüberziehn in jedem Zug,
In jedem Schatten, jedem kleinsten Weben:
Der Schnecke Kriechen und des Adlers Flug,
Des Menschen Irren und des Menschen Streben,
Der Trägheit Faultierfell, des Fleißes Pflug.
Kurzum, das ganze Leben muß es sein;
So zeig es uns und laß uns schnell hinein!«
»Ihr Schafe ihr! ich glaub, ihr seid verrückt!
Die ganze Welt wollt ihr auf einen Schlag?
Wißt ihr, wie sich die Eintagsfliege schmückt,
Was sie durchlebt an diesem einen Tag?
Denkt euch zehntausend Jährchen überbrückt:
Und dann? was eure Neugier dann vermag?
Ihr kennt die Fliege nicht nach Jahrmillionen,
Nie, nie wird ihr Geheimnis euch belohnen.
Und ihr vermeßt euch, solch Geschwätz zu machen?
Der Mensch, das Tier, die Luft und Stein und Baum
Hat Alles seinen Schlaf und sein Erwachen,
Hat Alles seinen Aufgang, seinen Traum
Und seine Gruft: das sind die Siebensachen,
Die üblich sind im ganzen Weltenraum.
Warum sies sind? Das Weltall ist das Schweigen.
Doch etwas will ich wenigstens euch zeigen.
Kommt nur herein, die Bänke stehn bereit,
Und setzt euch vor den Kinematographen.
Jetzt mach ichs dunkel mit Beflissenheit,
Doch braucht ihr deshalb nicht grad einzuschlafen;
Mein Blitzlicht nämlich kürzt euch bald die Zeit,
Ihr werdet staunen, was die Strahlen trafen.
Nun aufgepaßt! Ihr seid schon halb behext!
Zu jedem Bilde geb ich euch den Text:
Klapp.
Viele Frauen gibts auf Erden,
Die sich wundervoll gebärden,
Anstand haben, Chic, Verstand,
Eine gütige Helfehand,
Grazie, Frühling, Edelfrucht,
Sinn für Kunst und Kinderzucht.
Aber, bitt ich, wer kommt da:
Ist das nicht Kleopatra?
Nein, sie fährt auf Gummirädern,
Fährt auf Springesprungefedern.
Seht, wie sie im Wagen sitzt
Und vor lauter Reichtum schwitzt.
Diamanten, hinten, vorn,
Funkelnd wie ein Wasserborn,
Der im Sonnenlichtbrand gleißt
Und das Auge niederschmeißt.
Hoch die Nase, übersieht
Sie den Pöbel auf der Gasse,
Der nicht so wie sie bei Kasse,
Und benimmt sich wie Granit.
Was sind Kunst ihr und die Armen;
Ja, wenns in die Zeitung kommt,
Hat auch sie gewiß Erbarmen,
Weil es ihrem Hochmut frommt.
Auf dem Bocke thront der Kutscher
Neben dem Lakaienrutscher.
Ungeheuer ist die Würde,
Ungeheuer ist die Bürde
Dieser beiden, sapperlot,
Im modernsten Ridingcoat.
Wahr bleibts immer: Wie der Herr,
Sagt das Sprichwort, sos Gescherr.
Klapp.

Klapp.
Ha, der hehrste aller Triebe,
Das ist sicherlich die Liebe.
Hier nun stellt sich vor ein Paar,
Schade, nicht vorm Traualtar.
Denn in chambre separee
Tändeln sie, o jemine.
Eine Flasche Sekt im Kübel
Glitzert durch das warme Stübel.
Er wird stürmisch und verwegen,
Sie wird leider nicht verlegen;
Und sein Feuer wird zur Wut,
Sie verliert dabei den Hut.
Weiter will ich euch nicht führen,
Denn ihr würdet sonst verspüren,
Daß die Liebe manchen Fleck hat,
Variatio delectat,
Daß der Liebe Myrtenzweige
Viele oft sehr dunkle Steige
Voller Schlamm und Schmutz umrändern;
Greulich, aber nicht zu ändern!
Doch moralisch werd ich itzt.
Und mit Tugend angespritzt.
Klapp.

Klapp.
Sehr vom Übel ist der Geiz;
Für so manchen hat es Reiz,
Wenn er scharrt in seinen Schätzen.
Niemand kann sich so ergetzen
Wie der Gute hier, o schaut,
Der in seinem Golde kraut.
Bald zählt er die blauen Lappen,
Bald zieht er aus schwarzen Mappen
Braune oder grüne Scheine
Bunt mit Wechseln im Vereine.
Nun gehts los mit Doppelkronen,
Talern, Gulden und Dublonen;
Endlich kommt der Pfennig dran,
Dieser kleine Bettelmann.
Jetzt von neuem solls beginnen,
Doch wer kann dem Tod entrinnen.
Seht, es schlich sich jemand ein:
Bitt dich, Lieber, spricht Freund Hein,
Folg mir eilig in die Gruft,
Du abscheulicher Beutelschuft!
Ach, die Gulden und die Taler,
Und die netten Zinsenzahler,
Alle stehn sie nun verwaist,
Der Papa ist abgereist.
Kannt er nichts von andern Dingen?
Von des Lebens Hurrasingen?
I bewahre, eben das:
Scheinezählen, Goldstückwägen,
Prüfend sehn nach den Geprägen,
Machte ihm den einzigen Spaß.
Also wars sein Frohgenügen;
Lassen wir ihm das Vergnügen!
Klapp.

Klapp.
In Berlin, wenn ich nicht irre,
Gibts im Häusermeergewirre
Ein Gebäude, stadtbekannt,
Welches Neidhaus ist benannt.
Eine große lange Zunge
Hängt heraus mit starkem Schwunge
Aus verzerrtem Angesicht,
Wie ein scheußlich Selbstgericht.
Diese Zunge ist der Neid,
Jeder weiß nun gleich Bescheid.
Hier stell ich euch einen vor,
Der vor Neid schier platzen möchte,
Sich ins Haar gern Schlangen flöchte,
So in Wut geriet der Tor.
Seht, nach außen zeigt er sich
Hämisch, höhnisch, essiglich.
Sitzt er dann im Kämmerlein
Und ist ganz für sich allein,
Knurrt er, knirscht er mit den Zähnen
Und vergießt Hyänentränen:
»Wart, du Racker, nicht mehr lange
Macht mich dein Emporgang bange,
Ich vernichte dich, paß auf,
Und verpurre deinen Lauf.
Klug verleumdet, ists gemacht:
Erst Erstaunen, dann Verdacht,
Öffentlich und im geheimen.
Töw, ich will dich Kerl schon leimen!«
Auf der kleinsten Erdenscholle
Spielt der Neid so Hundsfottsrolle.
Er ist überall zu treffen,
Überall ertönt sein Kläffen;
Jeden Stand, und ohne Lücke,
Peinigt seine Kötertücke.
Waaas? Auch bei den Literaten –
Ohhh, wo bin ich hingeraten!
Pfui der Deibel, nochmals pfui!
Schleunigst weiter, hoppla hui!
Klapp.
Genug für heut. Im Klappermühlenton
Hab ich vom Ernst des Lebens euch gesungen,
Im Tone von Hans Wurst, mit launischem Hohn.
Vielleicht hat einer mich als Clown gedungen,
Vielleicht hat Schwips, der Schalksnarren Patron,
Die Pritsche heimlich über mir geschwungen.
Humor, Humor, Landsleute! Laßt uns lachen!
Laßt uns nicht immer schiefe Mäuler machen.
Ist auch das Dasein voller harter Schmerzen,
Spielt ewig auch das Trauerspiel hinein,
Mein Gott, wir haben Sonnenschein im Herzen;
Laßt nur die Freude sommerfroh gedeihn!
Denn so viel Lust: sie ist nicht auszumerzen,
Sie soll, sie muß der Plagen uns befrein.
Hinauf, hinab, wie tolle Kinder spielen;
Wer sich das wahrt, der kommt zu hohen Zielen.
Singt durch den Wald! Seid Füllen auf der Wiese!
Geht mit dem Handwerksburschen, mit dem Jäger,
Besteigt den Hengst, tanzt mit der braunen Lise,
Seid meinethalb bei Bacchus Beckenschläger.
Reist durch die Welt, sie wird zum Paradiese,
Beelzebub dient euch als Kofferträger.
Habt ihr im Portemonnaie gar drei Mark achtzig,
Da gilt der alte Reim: die Sache macht sich.
Und mein Wald Herzebruch? Je nun, ich liege
Noch immer träumend unter seinen Eiben.
Von ihrem Gift betäubt? Nein, nein, ich fliege,
Fliege und laß mich selig heimwärts treiben
Zu Himmelshöhn! Da wieg ich mich im Siege:
Duck nieder, Erdenleid! Hier will ich bleiben!
Laßt nur die Elendshydra auf mich los,
Ich bin im Kopfabschlagen Virtuos.
Hoch! Sursum corda! Hurra, schwenkt die Mützen!
Schmeißt alle Sorgen in den Tartarus!
Dann wird der Frohsinn euer Zelt beschützen,
Im Sturm verfliegen Ärger und Verdruß.
Zum Schluß mag »folgende Moral« euch nützen,
Des Siebes letzter Tropfen nach dem Guß:
Des Lebens Blume heißt die Gegenwart;
Pflückst du sie nicht, hast du dich selbst genarrt.

Fünfter Kantus: Die kleine Fite.

In dieses Lebens ewigen Kümmernissen
Weiß ich ein Schloß, Chateau d'amour genannt.
Von Rosen rings umsponnen und Narzissen,
Träumt dort ein einsam stilles Wunderland.
Tagüber läßt es tausend Fahnen hissen,
Scharlachen brennend wie der Herzensbrand.
Nachts, wenn im blauen Schein die Berge hängen,
Horcht Eros kichernd auf den Marmorgängen.
Und schöne Paare wandeln auf den Steigen,
Von Liebesgöttchen selig überflogen.
Versteckte Lauben üben sich im Schweigen,
Von kleinen Silberwolken überzogen.
Ein Schumannlied von hundert sanften Geigen
Klingt aus den Sälen durch die Säulenbogen.
Und schwarzverhüllte, schwergeschiente Ritter
Behüten streng des Gartens goldne Gitter.
Und sie hieß Fite . . . Wie die Flocken toben
Und durch die Fenster hart um Einlaß bitten!
Ein neues Scheitholz, in die Glut geschoben,
Gibt ihnen Antwort: das wird nicht gelitten.
Und auch dem Sturme, der mit seiner groben
Gewalt klopft, hat den Eingang abgeschnitten
Behaglichkeit, die meinen Poggfredräumen
Die weichen Polster rückt zu Trost und Träumen.
Und sie hieß Fite . . . Kleines liebes Tier,
Wo kommst du jetzt nach dreißig Jahren her,
Und grade du aus aller Frauenzier,
Und grade du aus jenem Blütenmeer,
Das ich durchschwamm als loser Kavalier
Mit leichtem Sinn und glühendem Begehr.
Was willst du? Noch einmal dein Köpfchen lehnen
An meine Brust? Ich soll mich nach dir sehnen?
Und sie hieß Fite . . . Einfacher hat nie
Sich je so ein Affärchen eingeleitet.
Ich ritt durch meiner Felder Poesie,
Da steht sie mit der Sichel und bereitet
Der Garben segenschöne Symmetrie,
Und meine Augen haben sie begleitet.
Kennt sie mich schon? Ich hab sie kaum beachtet,
Doch blitzschnell hat mein Herz nach ihr geschmachtet.
Was ist die Liebe? Ists ein heller Stern,
Der plötzlich leuchtet, den wir nie geschaut?
Ists ein Erinnern, das unnennbar fern
Uns dünkt und nun in unsre Seele taut,
Jäh aus der Schale springt und einen Kern
Uns zeigt, so voller Süße, daß uns graut?
Ich bin dir gut. Du bist mir gut. Nichts weiter.
Dann klimmen wir hinauf die Himmelsleiter.
Was ist die Liebe? Nur ein schnelles Zittern,
Nur Hast und Drang zu flammendem Erguß.
Aus kurzem Wetterleuchten zu Gewittern
Führt uns den schwülen Weg ein heißer Kuß.
Es kracht im Forst, und unter tausend Splittern
Sprießt auf ein neues Reis, das ist der Schluß.
Was darauf folgt, ist, mäkelt oder lacht,
Philisterpunsch und der Gewohnheit Macht.
Was ist die Liebe? Komm, mein Weib, komm her,
Lehn dich an mich, ich lehne mich an dich
Und küsse dir die Hände, die ein Heer
Von Lebensgreueln wandten fürsorglich,
Mein bester Freund, mein Trost, wenn kummerschwer
Verzweiflung schrie, Verzagtheit mich beschlich.
Im Sterben noch, bin ich zum Tode krank,
Lall ich mein letztes Wort für dich: hab Dank.
Was ist die Liebe? Nur ein einziger Tag,
Gelebt, gejauchzt, gerast im Paradiese.
Dann folgen Bitternisse Schlag auf Schlag,
Wir seufzen: Hätt ich doch . . . o, die Bêtise!
Und was mir einer auch entgegnen mag,
Sie wird mir schal, die immer gleiche Lise.
Abwechslung muß ich haben. Und die Treue?
Kenn ich denn kein Gewissen, keine Reue?
Und sie hieß Fite . . . Kleine Reizende,
Wie zart du warst, wie blaß und schmal die Backen.
Am selben Abend schlugst du, ranke Fee,
Die dünnen Ärmchen schon um meinen Nacken.
Wir standen mondbeglänzt im Wiesenklee:
Komm an mein Herz, du sollst dich nicht mehr placken.
Als hättest du dich lang nach mir gesehnt,
Hast du dein Haupt an meine Brust gelehnt.
Und weißt du noch, wenn wir inkognito
In fremdem Städtchen, fremdem Dorf uns schwangen
Im Liebeswalzer, lebenstoll und froh,
Und wie wir dann uns durch die Wälder sangen,
Uns, ganz nur uns, in dulci jubilo!
In Poggfred hielt ich heimlich dich gefangen,
Und mich, den Schließer, legtest du in Ketten;
Mein Arrestant schlief aus in Seidenbetten.
Seltsam Geschöpfen, stehst du neben mir
Mit deinem kalten Blick, mit deinem Leuchten
Plötzlich aus dunklem Schleier, bist du hier?
Dein Eigensinn, dein Trotz, die oft mich scheuchten,
Und deine leidenschaftliche Begier,
Dein unheimliches Stummsein, die mich deuchten,
Als hätte dich ein kranker Stern verbannt,
In Wut auf unsre Erde dich gesandt.
Entsinn ich mich, es war ein feuchter Tag,
Ein Frühlingstag, die Nachtigallen schlugen.
Du spielst mit meinem Damaskdolche zag;
Wer weiß, wohin dich die Gedanken trugen.
Du hebst dich blitzend: in den Silberschlag
Stößt du zurück ihn, deine Augen lugen
Schräg, halbgeschlossen wieder, zu mir hin,
Die Wahnsinnsaugen einer Mörderin.
Dann kam ein schnelles, kindliches Gelächter,
Daß ich entsetzt dir beide Hände hielt,
Als klebte Blut daran: Bist du ein Schlächter?
Was wolltest du, sprich! Wer so furchtbar zielt,
Ist alles Lebens, aller Welt Verächter;
Hast du nach meinem Herzen hingeschielt?
»Das Messer? Da! Weg!« riefst du lachend aus,
Und klirrend flogs in einen Rosenstrauß.
In einen Krug, darin viel Rosen prangen,
Fiel es hinein; die gelben und die roten
Verbargen gütig, liebreich, und verschlangen
Den gierigen, fürchterlichen Todesboten,
Und hielten ihn wie einen Schatz gefangen,
Und ihre Feuerfarbenprächte lohten.
Du hingst an meinem Hals; wie eine Quelle
Hört ich dich schluchzen, eine leise Welle.
Und sie hieß Fite . . . Warum kann ich nur
Die blassen grauen Augen nicht vergessen?
Ihr lichtbraun Haar, und wie sie stumm und stur
Die Finger pflegte um den Hals zu pressen.
Ihr liebster Schmuck war eine Blütenschnur
Von rotgefleckten Kapuzinerkressen.
Dann war sie schön wie Lionardos Bilder.
Doch einmal sah ich sie noch schöner: wilder.
Zum Rennen war nach Hamburg ich gefahren
Und hatte, wie sich das von selbst versteht,
Ein Spiel nachher gemacht mit Turfhusaren.
Ich war, es bleibt mir einmal ein Magnet,
Nicht grade hingegangen, um zu sparen.
Und daß ichs immer sage, ganz diskret:
Nur fünfzig Pfennig nannt ich spät mein Eigen,
Doch mein Bankier weiß morgen schon zu schweigen.
So ging ich denn, der Sekt war mir bekommen,
Erleichtert und begeistert durch die Gassen,
Und hatte kreuz und quer den Weg genommen,
Und sah (es schlug drei Uhr) im ersten blassen
Frühschein die Stadt der lieben, guten, frommen
Beefsteakvertilger und gefüllten Kassen.
So gegen vier, in jeder Metropole,
Gibts wirklich Straßen ohne Saum und Sohle.
Es ragten über Brücken, Fluß und Fleete,
Gespenstisch, in geheimnisvollem Dämmer,
Neubauten, fern, wie Zinnen, Minarete;
Dumpf klang von weitem her Fabrikgehämmer,
Es heult der Schiffssirenen Dampftrompete,
Im Osten lagern rote Wolkenlämmer.
Ein kurzer, scharfer Wind kam mit der Sonne;
Nun ist ein guter Kognak eine Wonne.
Wo find ich diese Wonne? Dann ein Bad,
Und dann zu Bett, und bis zur Mittagszeit
Geschlafen. Bin ich müde, ach! So hat
Das Jeu mich nie erregt. Wie liegt so weit
Poggfred, und liegt so nah. Hätt ich die Stadt
Erst hinter mir, daß Fite mir verzeiht!
Glück in der Liebe, und ich bin verliebt,
Unglück im Spiel. Was? Träum ich schon? Wer gibt?
Und ich trat in ein Nachtkaffee hinein.
Was alles sitzt in solchem Nachtkaffee!
Louis, Verkommne, müde und gemein,
Lockspitzel, ein verkappter Attaché
Der Tingeltangelsänger Stutzenstein,
Herr Leutnant, in Zivil, von Igelsee,
Und Gott weiß wer, wie nenn ich Stand und Namen,
Natürlich bunter Reihe mit den Damen.
An einem Marmortischchen neben mir
Saß ein »pompöses« Weib mit einem Herrn,
Siebziger sicher, der als Busenzier
Von Fabelwert trug einen Nadelstern.
Und dieses öde alte Ekeltier
Trank mit ihr eine Flasche Haut-Sauternes.
Er hatte sich das Weib gekauft, nun ja,
Die Welt ist einmal so: Pecunia.
Ein Sirup- oder Saffianmakler, denk ich,
Mag er gewesen sein; was gings mich an.
Doch meine volle Aufmerksamkeit schenk ich
Der Nachbarin; auch sie wirft dann und wann
Mir einen Blitz, und immer stärker senk ich
Die Augen in der ihren Zauberbann.
Es wurden uns, was soll ihr noch der Greis,
Die Herzen und die Seelen siedeheiß.
Ein Lächeln, ganz verstohlen, hin und her;
Verständnisvoller werden unsre Blicke.
Sie liebäugelt mit mir, sie will noch mehr,
Sie bindet fester um mich ihre Stricke
Und sendet Fragen mir ein ganzes Heer,
Daß lebhaft Antwort ich hinüberschicke.
Und zappelnd steck ich in der Liebesmasche,
Und hatte fünfzig Pfennig in der Tasche.
Ein letzter Wink. Sie haben sich erhoben.
Ich hinterher. Wie? Ist ein Streit entstanden?
Etwas vergessen? Er kehrt um nach oben.
Und eh Sekunden zu Minuten schwanden,
Wars schon getan. Nun laß den Alten toben.
Wo werden wir in unsrer Droschke landen?
Ein wenig kleinlaut mußt ich ihr gestehn,
Daß ich zufällig nicht mit Geld versehn.
Sie lacht mich aus. Und wie zwei wilde Flüsse,
Die endlich, endlich ineinanderfließen,
Sind unsre Freuden, unsre Glutergüsse
Ein tosend wirbelndes Zusammengießen.
Halt ein, ich sticke! Küssen folgen Küsse,
Himmel und Hölle balgen ums Genießen.
Indessen rumpelt unser Cab gemächlich,
Worauf ich reime: Das ist nebensächlich.
Ah, ihre Wohnung! Alle Wetter auch!
Mit Pantherfellen, Bronzen und Likör.
Von heißer Platte zieht ein feiner Rauch
Aus Räucherwerk und Kiss-me-quick-Odeur.
Und was zum Leben, was zum Luxus Brauch,
Besitzt im Überfluß mein joli coeur.
Und hier im Hause meiner Favorite
Vergaß ich Poggfred und – die kleine Fite.
Vergaß sie eine ganze Woche lang
Und wachte auf im Venusberg und wollte,
Die Stirn mir reibend, weg aus diesem Zwang;
Doch Aphrodite litt es nicht und grollte,
Daß kläglich jeder Fluchtversuch mißlang,
Und wenn ich flehte, weinte sie und schmollte.
Ich raffte mich zusammen: Morgen früh,
Zum Geier, hört es auf, dies Impromptü.
Am letzten Abend, als ichs ihr gestand,
Daß ich durchaus nach meiner Heimat müßte,
Sah sie mich fragend, forschend an und schwand
Und kam zurück von einer fernen Küste,
Aus Gräcia, und trug ein reich Gewand,
Weingrün; es schloß ihr herrlich Hals und Büste.
Mit Perlen war ihr schwarzes Haar durchflochten.
Mein Herz, mein Hirn und meine Adern kochten.
Sie ließ sich nieder auf ein Taburett;
Ich sinke zu ihr, ihre Knie umschlungen.
Sie streichelt mir den Scheitel, sagt Valet,
Ganz leise, und ich habe schwer gerungen.
Da seh ich, in Gedanken? ein Stilett,
Und bin vom Boden jählings aufgesprungen.
Denn in der Tür, was starrst du, Aphrodite,
Steht fahl, steht totenbleich die kleine Fite.
Sie trug ihr einfach bäuerlich Gewand,
Wie damals ich sie fand im Ernteflor.
Den Dolch, von meinem Schreibtisch, in der Hand
Gesenkt, wie spielend, tritt sie langsam vor
Und sieht mich an, ich steh wie festgebannt,
Schaut lächelnd, wie zu Sternen, irr empor.
Ein Tigersatz, die Griechin schwimmt im Blute;
Das alles blitzt im Zehntel der Minute.
Und sie hieß Fite . . . Wie die Flocken toben
Und durch die Fenster hart um Einlaß bitten!
Ein neues Scheitholz, in die Glut geschoben,
Gibt ihnen Antwort: das wird nicht gelitten.
Und auch dem Sturme, der mit seiner groben
Gewalt klopft, hat den Zutritt abgeschnitten
Behaglichkeit, die meinen Poggfredräumen
Die weichen Polster rückt zu Trost und Träumen.
Und sie hieß Fite . . . Kleines liebes Tier,
Wo kommst du jetzt nach dreißig Jahren her,
Und grade du aus aller Frauenzier,
Und grade du aus jenem Blütenmeer,
Das ich durchschwamm als loser Kavalier
Mit leichtem Sinn und glühendem Begehr.
Was willst du? Noch einmal dein Köpfchen lehnen
An meine Brust? Ich soll mich nach dir sehnen?

Sechster Kantus: Professor Emil Wolff und der Dämon.

Aus Trotz begönn ich gern auch diesen »Sang«
Mit Evchen wieder; doch es wär zu viel
Der Ehre diesem heftigen Lebensdrang.
Es stößt der Sturm ins süße Glockenspiel,
Ich höre schrillen Ton im Harfenklang:
Rauh, barsch und borstig kratzt mein Gänsekiel:
Ich weiß, der Deutsche ist kein Don Juan,
Ich weiß, der Deutsche ist ein Saufian.
»Und sie hieß« – nein, halt an, um Gotteswillen,
Das wird uns Landsleuten denn doch zu arg!
Erhängt ihn, gebt ihm Belladonnapillen,
Hinein mit ihm, hinein, marsch, in den Sarg!
Da mag er seinen Liebeshunger stillen,
Den nie er züchtiglich vor uns verbarg.
Ich, ich der deutsche Leser, will durchaus:
Bleib uns mit Amor endlich nun zu Haus!
Und auch der »Hamburgsche Correspondent«,
Am dreiundzwanzigsten November war es
Im Jahre dreiundneunzig, macht ein End
Mit mir und findet, daß im Repertoire es
Bei mir nicht lammfromm sei und nicht dezent,
Und wünscht, daß mir ergeh wie Abailard es:
Ach, Heloise, ja, bin ich entmannt,
Dann werd ich deutscher Dichter erst genannt.
Ein deutscher Dichter, Lyriker zumal,
Ich glaube, lieber wär ich Eckensteher,
Gefangner König, Buschmann in Transvaal,
Ein Sklave lieber, lieber Tütendreher,
Glutschürer, Stiefelknecht im Höllental,
Und lieber Vogelscheuche, Galgenweher,
Als Lyrax, Lyrifax, Lyriculus,
Des Vaterlands verlachtester Verdruß.
Und wenn sie noch darüber lachten. Nein!
Die alten Tanten müssen Anstoß nehmen;
Und Staatsanwalt und Büttel im Verein,
Doch sonst so klug, sie müssen es verfehmen,
Schwimmt nicht der Vers im süßesten Wasserwein
Und kann er der »Moral« sich nicht bequemen.
Ohhh, diese »sittlichen« Poetenmäher;
Ich kenne jemand, prüfen wir ihn näher!
Professor Doktor Wolff, Emil, so heißt er,
In Schleswig wohnt er, ist Magister dort;
In »Oberlehrerdramen« ist er Meister,
Gedichte leimt er auch, salbt Wort an Wort,
Wie jeder Deutsche, aus dem ältesten Kleister,
Mit allem Epigonensenf an Bord.
Emil, Emil, kein Drache speit so giftig.
Was tat ich dir? Ist deine Wut denn triftig?
Hochmütiger Bakelschwinger, kannst du nie,
Auch im Genuß nicht, den Präzeptor lassen?
Legst du die ganze Welt denn übers Knie,
Willst du den Herrgott selbst in Regeln fassen?
Laß andern doch ihr armes Tirili,
Und bleibe hübsch in deinen Schulstaubklassen!
Zum erstenmal, durch dein Geschwätz, verlor
Beinah ich, hols der Satan, den Humor.
Verleumdet hast du mich, das war nicht fein;
Lies schnell, was Mark Aurel darüber sagt.
Erst steckst du, ein Anonymus, mich ein,
Dann hat die Zeitung nicht mein Wort gewagt.
So recht! Das ist ein schön Vermaledein,
Ist Antwort dem verwehrt, der angeklagt.
War denn die Angst so groß vor euern Leuten,
Daß du, dein Blatt die Gegenstimme scheuten?
»Und sie hieß,« Freunde, und sie hieß Lisette,
Und war die Vielgeliebte meines Ahnen,
Ging demnach, Freunde, nicht mit mir zu Bette.
Aha, ruft ihr, ja, zeigst du solche Fahnen,
Dann mag das Holdchen heißen Henriette,
Lisette, gut, das lieben wir Germanen.
Ein Mädel, unserthalb der Hottentotten,
Wir wollen nur nicht deine eignen Lotten.
Mein Ahn erzählt, daß beide, er und sie,
Daß ihre Liebe gar zu heiß gewesen.
Da hab er sich gesagt: Zum Nordpol flieh,
Um abzukühlen dort und zu genesen.
Gedacht, geschahs, daß ihm sein Wunsch gedieh:
Es führt ihn durch die Luft ein Zauberbesen,
Und er erwacht und treibt allein im Eise,
Auf einer großen Scholle ging die Reise.
Ich lasse besser selber ihn berichten
Von seiner wunderlichen Wikingfahrt,
Von dem, was er gesehn, von Spukgeschichten,
Von Abenteuern sonderlicher Art;
Denn täte ich den Kram zusammendichten,
Man würde rupfen Haare mir und Bart,
Wenn ich es wagte, solchen Kohl zu schreiben.
Mein Vorfahr, komm! Du sollst die Farben reiben.
Die Sonne sank, es schrumpft die letzte Helle;
Wie Blinkerart aufblitzt aus schwarzem Blut,
So blitzt aus dunkelrotem Meer die Welle.
Zuweilen zischt der Wind ein Wort der Wut,
Der erste Stern springt vor aus Himmelstüren,
Und über alles stülpt die Nacht den Hut.
Und auf dem dunkelroten Meere rühren
Geheimnisvolle weiße Berge sich,
Die Einsamkeit und Grausen mit sich führen.
Der Mond tritt vor aus fahlem Wolkenstrich.
Ich merkte bald: auf jener Berge einem
Fuhr ich, und einsam. Meine Stirn erblich.
Mich friert; ich kann nicht denken mehr, nicht weinen,
So fürchterlich droht mir der Todesschlund,
Selbst die Meduse kann nicht so versteinen.
Wohin ich trieb auf diesem Eisesrund?
Wie kann ichs wissen, wer gibt Auskunft mir?
Wahnsinn, zieh gnädig mich auf deinen Grund!
Entsetzen! Auf mich los watschelt ein Tier,
Ein großes Tier! Latscht es auf Gummischuhn?
Und eine Bärin ists in Zottelzier.
Ich spring ins Wasser, nein, was soll ich tun!
Da fällt mir eine Jägermäre ein:
Verstelle dich, die Leiche läßt sie ruhn.
Und sie kommt näher, nah, und wie ein Schwein
Beschnüffelt und beschnuppert sie mich armen,
Und legt sich brummend neben meine Pein.
Und schurrt mich an sich; Himmel, hab Erbarmen!
Und deckt mich zu mit ihren Vorderpfoten,
Daß ich an ihrem Pelze muß erwarmen.
So schlief ich unter ihren gütigen Poten,
Und träumte mild, von Paradiesespracht,
Von Freudenfeuern, die auf Zinnen lohten.
Am andern Morgen bin ich spät erwacht,
Auf einer Insel. Wo sind Eis und Schnee?
Wohin hat sich die Bärin aufgemacht?
Hier haucht die Hoffnung aus ihr langes Weh,
Denn solche Öde, solche »Ledernheit«
Sah ich noch nie. Lieb Leben du, ade!
Was muß ich sehn? Da wimmelts weit und breit.
Was sinds für Männer? sind das Lyriker?
Was soll die ängstliche Beweglichkeit?
Wie Knaben in der Pause, Plapperer,
So durcheinander; sie besprechen sich?
Ists gar das große Heer der Kritiker?
Djawoll, djawoll! sie sind es brüderlich!
Der eine hört den andern ab, ma foi;
Sie ochsen auswendig, das freute mich.
Der Marlitt »Werke«, ah, hurra, hurra,
Die müssen sie, eins nach dem andern, lernen,
Und Wort für Wort, o asa foetida!
Zuweilen schaun sie flehend zu den Sternen,
Ob nicht Erlösung kommen will. Nein, nein,
Sie dürfen niemals sich von hier entfernen.
Und unter ihnen, mit dem Glorienschein,
Stand Nicolai, und nicht weit davon
Hauptpastor Goeze; welch ein Stelldichein.
Doch wer schreibt dort ein wütend Distichon?
Professor Doktor Wolff, Emil, gewiß,
Er ists, er sucht just ein Epitheton.
Genug, ich lass ihn in Amphipolis,
In Sparta, Mantineia, in Athen
Und flüchte mich vor seinem Wanzenbiß.
Da stürzt ein Kritikaster, kein Mäcen,
Mit Zorn auf mich, und schreit mich tobend an:
»Der denkt Terzinen jetzt! könnt ihrs nicht sehn?
Hahhhh, Danten macht er nach, der Versemann;
Was Eignes können nie die Dichter bringen.
Fragt ihn nur aus, er eilt von hinnen dann.«
O je, wie komm ich weg aus diesen Schlingen.
Da fühl ich sanften Druck an meiner Hand,
Und konnte leicht mich in die Lüfte schwingen.
Und ließ mich nieder in ein Fabelland,
Auf einen weiten Rasen, der geschickt
Englisch geschoren war. Ich stand gebannt:
Kein irdisch Gras, so hatt ichs nie erblickt,
So frisch, so grün. Auf einer andern Welt
Muß ich wohl sein, die selig mich erquickt.
Und um den Rasen rings, wie hingestellt,
Durchsichtig blüht ein Birkenfrühlingsschmuck,
Den Saft und Kraft zu holdem Dasein schwellt
Ein Bächlein murmelt wo gluckgluckgluckgluck,
Erwartungsvoll will durch die Stille hin
Sich etwas regen; kommt das Männchen Puck?
Ich höre einer Drehorgel Beginn,
Fern, ferneher; der Zephyr trägt die Töne.
Sie spielt: Ich bin die kleine Kielerin.
Und aus den Bäumchen vor tanzt eine Schöne,
Unschuldig, nackt, mit höchst graziösem Pas,
Ein Kind, mit schwarzem Lockenkranzgekröne.
Sie wiegt und biegt sich, lacht: »Da bin ich ja.
Kennst du nicht deine erste Liebe mehr?
Ich elf, du zwölf, ich hieß Virginia.«
Ich staun entzückt ihr zu, doch hinterher
Sind andre Tänzerinnen bald erschienen,
Und sie verschwindet ohne Wiederkehr.
Ein Wogen ists von Braunen und Blondinen;
Sie winken mir und sind verschwunden schon.
Wer wirft zuletzt mir Kußhand zu von ihnen?
Die Landschaft bleibt, doch sitzt nun auf dem Thron
Der Sommer; meine Birken hängen steif,
Die Sonne brennt, der Frühling ist entflohn.
Und ernste Frauen kommen, früchtereif;
Sie gehn an mir vorbei mit großen Blicken,
Und sind verzittert wie ein Nebelstreif.
Kaum seh ich noch der letzten ruhiges Nicken,
Ich stütze meine Stirne in die Hand,
Ich fühls, Gedanken wollen mich umstricken:
Wen von den Frauen hab ich einst gekannt?
Doch blieb mir keine Zeit, viel nachzudenken;
Oktober hat die Fäden ausgespannt.
Wie sich der Birken braune Blätter senken.
Und auf die Wiesenflur sah ich hervor
Ein einzig Weib die sichern Schritte lenken.
Herb war ihr Angesicht, Herbst war ihr Flor;
So schritt sie kerzengrad an mir vorüber,
Bis sie sich auch am Waldessaum verlor.
Und um mich, in mir ward es wintertrüber
Und ganz allein, ich stand im Schneegestiebe,
Da spür ich einen zarten Nasenstüber:
»Ja, ja«, zirpt wer, »die Jugend und die Liebe.
Doch gibts auch andre angenehme Zeiten,
Als immerwährend Knospen, erste Triebe.
Noch eine Freude will ich dir bereiten:
Ein Bild aus wildester Erinnerung,
Es mag dir, ein Phantom, vorübergleiten.«
Und wieder um mich ist die Landschaft jung,
Die Birken blühen, Rasen treibt und Klee,
Darin sind Hürden, Hecken wie zum Sprung.
Trara, ein Jagdhorn, und en cavalier
Sprengt aus den Birken eine Reiterin.
Die Peitsche wirft sie, fängt sie auf: Gardez!
Ihr Herrenhut grüßt lachend zu mir hin.
Zwei Doggen, rechts und links, ein Edelpaar,
Begleiten sie mit stummem Mördersinn.
Und wenn sie springt, springt mit gesträubtem Haar,
Doch immer lautlos, ohne Hals zu geben,
Zugleich die Dogge, ihre Sklavenschar.
Ein wundervolles Bild: dies tolle Leben:
Das Weib, der Scheck, die beiden stummen Hunde,
Wie sie den Plan, im Kreise stets, durchbeben.
Da plötzlich tritt ein Mann in ihre Runde,
Er hebt den Arm, der einen Hammer hält:
»Aschtoret!« klingts und »Thor!« aus einem Munde.
»Laß mich, Aschtoret, wieder in die Welt!«
Doch sie: »Nie lass ich, Thor, dich von mir ziehn.«
Der Hammer fliegt, die schlanke Lilie fällt.
Es strömt ihr Blut, der Mann liegt auf den Knien,
Zu Boden rissen ihn die beiden Doggen;
Er schreit, er wehrt sich, sie zerreißen ihn.
Die Pulse wollen mir, der Herzstrom stocken;
Komm, Winter, rasch! Schnee, hüll mich ein, geschwind
Und es begraben mich viel tausend Flocken.
Doch wunderbar, im weißen Wirbelwind:
Ist das mein letzter süßer Erdentraum?
Noch einmal machte mich die Schönheit blind:
Madonna unter dem Akazienbaum.
Er steht in Blüte, heiße Jahreszeit,
Der Himmel blaut bis an den Meeressaum.
Und meine Herrin, hoch gebenedeit,
Säugt unser Töchterchen, die kleine Abel,
Und strahlt von rührendster Holdseligkeit.
Der ganze Garten weihraucht venerabel,
Und alle Blumen müssen sich verneigen;
Weit, weither tobt, tollt, grollt die Sündenbabel.
Weh, durch des Julis mittagliches Schweigen
Stößt jäh ein Lärm ins Horn, und Pforten schlagen,
Gestampf und Kiesgeknirsch, ein geller Reigen.
Barbaren – Menschen – nahn auf Sichelwagen,
Die Pfeile überschütten schon den Platz,
Und nackte Schwerter drohn und Spieße ragen.
Der Mutterbrust entreißen sie den Schatz;
Ich bin an ihrer Seite blitzgeschwind,
Doch bin verloren in der Hufenhatz.
Es trägt mich in die Luft ein jäher Wind
Und läßt mich nieder, fern in Felsenschlüften,
Da stürz ich hin und weine wie ein Kind.
Wie still ists hier in diesen finstern Klüften.
Hoch muß ich sein, vielleicht in Gottes Sphären;
Von unten tief dringt Grabgesang aus Grüften.
Und über mir schwebt über Land und Meeren
Ein Riesenvogel; dessen Flügel reichen
Von Pol zu Pol, gekrümmt wie Krebsesscheren.
Doch seiner Kraft und seines Schmuckes Zeichen
Sind an den Enden festgekeilt im Eise,
Er kann die Sonnenbahnen nicht erreichen.
Und darum sucht er gierig seine Speise
In unsern volkbesetzten Erdentalen
Und weidet Menschen, Kinder bis zum Greise.
Er sättigt sich im Dunstkreis unsrer Qualen,
Die unaufhörlich in den Gründen grausen,
Aus tränenüberströmten Opferschalen.
Es schwillt herauf zu mir ein dumpfes Sausen
Und Stampfen, wie von Hunderten Geschwadern,
Die rasend durch den Morgennebel brausen.
Und Feuer, Qualm und Schreien, Zank und Hadern,
Das alles lähmte albschwer mir die Glieder,
Ein Strom von Gift durchströmte meine Adern.
Ich schloß die Augen, offen sind sie wieder,
Und wieder seh ich jenen Vogel schweben;
Doch schiel ich nur, halboffen sind die Lider.
Und er erhob sich unter Wolkenbeben;
Gelöst ist jetzt sein Flügelpaar vom Eise.
Ach, könnt ich mit ihm in sein Ätherleben!
Als er nun zog die ungeheuern Kreise,
Fand ich von ihm mich mit emporgetragen
Und rauschte mit ihm seine Weltenreise.
Ich sah die Sterne durcheinanderjagen,
Als ob im Himmel goldne Kugeln schnellen,
Wie Gaukler tun an Sommerjahrmarktstagen,
Auch wie in warmen Nächten durch die Wellen
Ein Nachen leuchtend furcht auf Funkenschäumen,
Die rings das Boot mit ihrem Glanz erhellen.
Mein Auge starb in überhellen Räumen.
Und da saß Mose, der Gesetzegründer,
Umrahmt von purpurblauen Nebelsäumen.
Titanenkräftig blickt der Gotteskünder,
Ein erster Heiland aus dem Menschenpfuhle;
Mit seinen Brauen bändigt er die Sünder.
Und jetzt: ein Nordlicht krönt das Himmelsthule:
Der Nazarener wars im Lichterscheinen –
Tief tauchte der Koloß von seinem Stuhle.
Unsagbar war die Milde, die dem Reinen
Das schöne, heimatstille Antlitz prägte;
Nach Innen sah ich seine Schmerzen weinen.
Doch hinter ihm, als er sich fortbewegte,
Schritt grinsend, blutbespritzt der Menschenschnitter,
Des roter Mantel scharf die Erde fegte.
Im Wolkensaal unzählige Gewitter,
Ein Feuermeer im ganzen Weltenkreise;
Dann sank die alte Nacht, ein bleiern Gitter.
Ich fuhr erschrocken auf nach dieser Reise,
Und fand mich auf der höchsten Alpenspitze,
Verlassen und allein wie eine Waise.
Verlassen? Stand nicht auf dem Platz der Blitze,
An eine Fahnenstange festgebunden,
Ein Mann, ein Schemen, auf dem Donnersitze?
Erwartet der hier seine letzten Stunden?
Den Tod? Umschrien vom Sturm, von Kannibalen?
Am Folterpfahl die letzte seiner Wunden?
Wer bist du? rief ich. »Du – und deine Qualen,
Dein Leib und deine Seele! Siehst dus nicht?
Dein Leben mußt du hier zurückbezahlen.«
Da trat ich zu ihm hin, wie dicht ans Licht,
Und starr ihn an, und steh wie eine Säule:
Dann sollst du, Satan, mit mir ins Gericht!
Er aber reißt sich los mit Wutgeheule,
Und wirft mich nieder, würgt mich, kniet auf mir;
Wir kämpfen, doch er knebelt mich im Knäule.
Ich fühle seines heißen Atems Gier,
Stoßweise schreit er rasend auf mich ein,
Indessen er mich anglotzt wie ein Tier:
»Nie gabst du deinem Glück ein Stelldichein,
Vom Leichtsinn ließest du dich stets betören,
Des Weibes Keuschheit war dir leerer Schein.
Charakter fehlte dir, Dir zu gehören;
So wars ein jämmerliches Schwanken nur,
Und Wahnsinn mußte endlich dich zerstören.«
Fern ließ zu mir empor ein Ordensschwur
Den Hohenfriedeberger Marsch erschallen,
Da sprang ich auf, als hätt ich Kraft vom Ur,
Und ließ den Teufel in die Gründe fallen,
Daß klatschend er von Zacke zu Zacke schlug,
Im Echo muß ein greulich Wort verhallen:
»Selbstmörder –« – Schuld aus eignem Lug und Trug
Das Los von dem, der niemals Halt erklommen;
Die Sinne schwanden mir wie Rauch im Zug.
Doch eh mein Geist den schwarzen Weg genommen,
Fühlt ich von weichen Armen mich umschlungen,
Und eine süße Stimme sprach: »Willkommen!
Jetzt hast genug du mit dir selbst gerungen;
Hier reicht ein reines Weib dir Trost und Treue,
Die Liebe hat den bösen Feind bezwungen.«
Und himmlisch quoll das Tränenlied der Reue.

Siebenter Kantus: Unheilstage und Heilige Nacht.

Es strömt die Flut aus der Unendlichkeit;
Das Wasser wächst, es zieht zu Tal und Gründen,
Begießt das Land, so breit es kann, so weit,
Um in die Gräben trockner Marsch zu münden,
So hoch es kann, sich in Vermessenheit
Mit Bergeshaupt als Sintflut zu verbünden.
Kein Wind, kein Wetter hält die Urkraft auf,
Kein Wind, kein Wetter hindert ihren Lauf.
Es hat den Höhepunkt erreicht. Es sinkt
Und drängt und treibt zurück. Die Wasser ebben,
Bis die Unendlichkeit sie wieder trinkt.
Aus fernsten Bächen, vom Gebirge schleppen
Sich Stein, Geröll und Schutt, die Sandbank blinkt;
Es fallen, heben sich verschlammte Steppen.
Kein Wind, kein Wetter hält die Urkraft auf,
Kein Wind, kein Wetter hindert ihren Lauf.
Es schwillt und wächst, es ebbt das Menschenleben,
Ein Tag bei jedem ist die höchste Flut;
Dein ehern Schicksal hat ihn dir gegeben,
Den Tag, und unaufhaltsam muß dein Blut
Den Weg zurück. Dir hilft kein Widerstreben,
Du siehst die letzte Sonnenabendglut,
Ob hundert Jahre dir der Himmel sandte,
Ob eine Stunde nur dein Flämmlein brannte.
Und ja: was flutet und was ebbt nicht immer?
Dein Herz vor allem ist der Tummelplatz,
Wo auf und ab, in Angst und Hoffnungsschimmer,
Im Schwerschritt bald, und bald im Freudensatz,
Der Wechsel ewig macht den Seelenstimmer,
Der Wechsel Ruhe zeitigt oder Hatz.
Im Hin und Her rinnt deines Herzens Blut,
Im Hin und Her verrinnt dein Lebensmut.
Mein Herzblut rann, die Hochflut ist erreicht,
Strom ab: bis meines Lebens letzter Tag
In die Unendlichkeit zurück sich schleicht,
Bis ohne Spur im gierigen Wellenschlag
Auf dunklem Grunde langweilig verbleicht
So vieler reicher Stunden Fruchtertrag.
Doch Ebb und Flut sind jeden Augenblick
Noch mein! bis sich gesättigt mein Geschick.
Zwar ist die Lendenkraft nicht mehr so wild;
Des Alters Ruhe, Überlegenheit
Steht lächelnd vor dem furchtbarn Fieberbild,
Das überschoß in Trotz und Brünstigkeit.
Jetzt geh ich durch das herbstliche Gefild,
Ein Segnender, der wirren Welt so weit,
Daß ich nichts merke mehr von ihrem Rasen;
Ganz deutlich hör ich ein Nachhauseblasen.
Und doch, noch mächtig strömt zuweilen her
Die große Flotte, die auf meinen Adern
Durchfurcht der Leidenschaften rotes Meer;
Sie kämpft im Einzelkampf und in Geschwadern,
Und entert, trümmert, siegt, sinkt ohne Wehr,
Je nach dem Ausgang, wie sichs trifft beim Hadern.
Denn Ebb und Flut sind jeden Augenblick
Noch mein! bis sich gesättigt mein Geschick.
Wir nennens Übergang, wenn schon das Haar
Erbleichen will und dennoch Trieb und Wille
Sich oft gebärden wie ein Jünglingspaar.
Doch ach, rasch aufgesetzt Großvaters Brille,
Und flügellahm wird bald der falsche Aar;
Das Ganze war dann eine Faschingsgrille.
Wie? Ebb und Flut sind jeden Augenblick
Noch mein? bis sich gesättigt mein Geschick?
Sie sinds! Dem Satan Dank! Alt ist nur der,
Der andern, sich, sein Alter gern versteckt,
Der immer ist sein eigner Gläubiger,
Mit Angst vor Gram und Grab sich immer schreckt,
Des ewigen Gespenstes Märtyrer,
Das ihm die ekelgrünen Zähne bleckt.
Fällt mir nicht ein! Ich bleibe frisch und jung
Und mach durch Feld und Wald noch manchen Sprung.
Wars in Paris, wo ich zuerst sie sah?
Das schöne Mädchen mit den Dulderaugen?
Wild riefen meine Sinne gleich Hurra,
Die soll zu schnellem Liebesspiel mir taugen.
Allein ich war ihr nur soso lala,
Sie mochte nicht aus meinem Becher saugen,
Den ich mit Weinlaub ihr entgegen hielt;
Sie hat mich halb verächtlich angeschielt.
Ein Zufall wars, ein kleiner Scherz, nichts weiter,
Daß meine Freunde ihr nachher verrieten,
Ich sei, wirklich, Salto-mortale-Reiter,
Der seinem Namen Rücksicht müsse bieten,
Mit meiner Sippe deshalb ein Entzweiter,
Sonst aber reich versehn mit Geldkrediten;
Sie wüßten das aus ganz bestimmter Quelle,
Nur augenblicklich hätt ich keine »Stelle«.
Ich lachte, als ich das von jenen hörte;
Nicht grad genehm wars mir, doch ließ ichs gelten,
Als ich bemerkte, daß sies nicht empörte.
Im Gegenteil, ich schien aus andern Welten
Ihr nun zu sein, an dem sie nichts mehr störte;
So kams, daß wir uns ziemlich rasch gesellten.
Den Weibern ist ein »Künstleehr« immer echt,
Und kommt er aus dem Zirkus, dann erst recht.
Ists wunderbar? Je leerer solch ein Fant,
Je länger er die Locken trägt, die Nägel,
Tenort er »himmlisch« nur, schwatzt Zuckerkand,
Und ist er auch dabei der größte Flegel,
Sie sind dann bis zur Wut in ihn verrannt;
Wo bleiben Schopenhauer, Kant und Hegel!
Verrückt macht sie der dümmste Pianist,
Hat er nur Haar und Hände wie Franz Liszt.
Ich wußte meine Rolle gut zu fassen,
Ich lehrte reiten sie auf meinen Pferden,
Und brauchte bald nicht ängstlich aufzupassen,
Sie konnt allein schon mit sich fertig werden;
Als käm sie aus dem Lande der Zirkassen,
Saß sie im Sattel wie auf Mutter Erden.
Sie überritt des Teufels Knickebein;
Talent zum Reiten muß geboren sein.
Mein »Honorar« war holder Liebeslohn.
Nachts, durch ein Pförtchen, fand ich einen Garten,
Stets säuselt dort ein Äolsharfenton,
Und niemals ließ sie lange auf sich warten;
Dann saß ich bei ihr unterm Gnadenthron,
Um den sich tausend Amoretten scharten.
Die Pforte und den Garten werd ich nie
Vergessen. Manon? Hm, comme ça comme çi.
Nur eines machte Sorge mir zuweilen:
Sie ritt zu toll, ihr gabs kein Hindernis,
Sie schien den eingeholten Sturm zu speilen,
Der Blitz war gegen sie ein Schattenriß,
So blendend, o entzückend, war ihr Pfeilen.
So sehr ich krauser Stirn mich auch befliß,
Was konnt ich machen? doch als Feigling nicht
Vor ihr erscheinen? als ein Leichenlicht?
Es war ein Wintertag, der Märzschnee schmolz,
Und an den nackten, schwarzen Stämmen rann
Die Feuchtigkeit und malte grün das Holz.
Schon wäscht und koppelt Freya ihr Gespann,
Die ersten Frühlingsfahnen flattern stolz,
An Baum und Pflänzchen putzt der Wurzelmann.
Erstaunt erwachen Fledermaus und Kröten,
Die Knaben schnitzen erste Weidenflöten.
An solchem Tage ritten wir zu zweit,
Die Whiteheartstute sie, ich meinen Senner,
Den Sennerhengst Lippspringe. Weit und breit
Gab unsern Pferden ersten Preis der Kenner.
Wir trabten. Zwischen beiden schien ein Streit,
Wer wohl von ihnen sei der beste Renner.
Flach ausgefächert lag vor uns das Land,
Ein linder Wind fängt Manons Nackenband.
Fern zieht der Fluß, er treibt mit großen Schollen;
Grad auf ihn zu geht unser starker Trab,
Wir wollen wenden, aber was heißt wollen!
Die Tiere schrammen ab: Lebwohl, schab ab!
Hengst, Stute legen sich ins Zeug und tollen,
Es breitet sich vor uns das nasse Grab.
Mit letzter Kraft versuchen wir zu hemmen,
Mit aller Macht die Gäule abzuklemmen.
Vergebens! Ehe die Sekunde sich
Erneut, ein Sprung, klatsch, sind wir drin im Fluß.
Uns, unsern Rossen reißt sich fürchterlich
Das Eis ins Fleisch; der greulich kalte Guß
Sticht, schneidet uns wie Dolch und Messerstich,
Der niederträchtigste Willkommenskuß.
Die Vorderhufe schlagen immer wieder
Sich Bahn. Umsonst. Es zieht Neptun sie nieder.
Noch immer weiter arbeitet der Huf,
Auf morscher Decke festen Halt zu fassen
Wo knirschend sich das Treibeis Türme schuf
Und sich zu Mauern schob und festen Gassen;
Von neuem brichts! Weithin schallt unser Ruf,
Der Trost des Echos selbst hat uns verlassen.
Die Krähen nur, die äsend mit uns trieben,
Sind mürrisch, flügelplump, uns treu geblieben.
Wir konnten zu einander nicht gelangen,
Es dehnt sich mehr und mehr der Zwischenraum.
Ich sehe Manon mit schneeweißen Wangen,
Sie hält sich noch im Sattel und am Zaum,
Da sinkt sie, von den Wogen aufgefangen;
Aus Schlamm und Schilfgrund steigt ein schwarzer Schaum.
Mein Hengst drängt sich ans Ufer, klettert, trieft,
Und steht, und meine Rettung ist verbrieft.
Zwölf Ellen weit von mir ringt noch die Stute,
Erkämpft die Küste, rückenleer, und zittert,
Und schüttelt sich, als stünde sie im Blute,
Und jagt kopfhoch, die offne Nüster wittert,
Und jagt landein mit wagerechter Rute.
Es blitzt, ein erster Frühlingsdonner knittert,
Zerreißt den Wolkenflor. Ein Märzgebet,
Steht rings die Welt mit Veilchen übersät.
Ja, ja, »das sind so Sachen, sind so Sachen«.
Abscheulich, daß der nimmersatte Tod
Dazwischen kommt mit seinem Haifischrachen.
Und doch, er macht den Schluß von aller Not;
Er schleift, gutmütig ist dabei sein Lachen,
Uns in sein Endreich aus dem Erdenkot.
Da fällt vom Tod mir noch ein Liedchen ein;
Poetisch ist er stets, Hans Klapperbein.
Ein Kaufmann, der sich dreißig Jahr gequält,
Muß immer wieder in den Schlamm zurück,
Ein Selbstmann ists, der Sturm hat ihn gestählt;
Er klettert immer wieder Stück um Stück,
Bis er sich endlich zu den Reichsten zählt,
Bis seiner Klugheit sich gesellt das Glück.
Da denkt an Frieden er und häuslich Leben,
Sieht sich verwundert um in Hatz und Streben.
Behaglich richtet er ein Haus sich ein,
Er nimmt ein Weib, vortrefflich war die Wahl.
Wie mundet nun der selbstbezahlte Wein;
Gastfreundschaft schmückt ihm seinen hohen Saal.
Er kann, aufatmend, darf sein eigen sein,
Den Gästen schwingt er fröhlich den Pokal:
Seht, endlich will ich meine Glieder strecken,
Durch eigne Kraft mit Seide mich bedecken.
An ferner Küste hat er noch zu tun,
Zum letztenmal muß er die Koffer packen;
Dann will er endlich von der Arbeit ruhn,
Sich nicht mehr mit Geschäftsabschlüssen placken,
Dann schüttelt er den Staub sich von den Schuhn
Und lüftet sich das Hemd am straffen Nacken.
In froher Hoffnung auf den ersten Erben
Verläßt er Weib und Haus, Geschirr und Scherben.
Leicht ist getan, weshalb er ferne weilt:
Gold fließt zu Gold, er rafft den Schatz zusammen.
Ein Drahtbericht hat plötzlich ihn ereilt,
Sein Herz schlägt laut, die Stirn steht ihm in Flammen.
Hurra, ein Sohn! Den hat mir Gott erteilt!
Ein weit Geschlecht wird von mir niederstammen.
Er mietet sich den neusten Hochseedampfer,
Frech durch den Ozean furcht der Wogenstampfer.
Ists auf dem Mississippi eine Wette?
Gilts Tod und Leben, wer der Sieger ist?
Zur Höllenglut heizt er die Kesselstätte,
Daß sie die Haut vom Leib den Trimmern frißt.
Vorsicht? Ah was! bald klirrt die Ankerkette,
Dann streut er Trinkgeld, er ist Weltgrossist.
Der Blitzer schießt durch Zephyr und Teifun,
Er übertrumpft das schnellste Wasserhuhn.
Im Buge steht der Großkaufmann und starrt
Den Wellenwirrwarr an, der ab und auf
Und auf und ab das Schiff umlärmend narrt
Und zischend spritzt bis an den Mastenknauf.
Die Planke kracht in ihren Fugen, knarrt,
Und nimmt doch immer ihren sichern Lauf.
Die Sonne über ihm und Mond und Sterne
Verändern sich und tauchen in die Ferne.
Ein erster blasser Ufersaum, ein Strand
Wird sichtbar, immer sanfter weht der Wind.
Wenige Stunden, und er ist an Land
Und wird, ans Herz gepreßt sein erstes Kind,
Der Mutter dankbar küssen Mund und Hand,
Glückselig, wie die lieben Seligen sind.
Kaum hälts ihn ab, den Sprung in See zu wagen,
Um Heim und Herd noch rascher zu erjagen.
Endlich! Ein Wagen reißt ihn fort nach Haus,
An einem Blumenladen läßt er halten:
Zwei Rosen, vorwärts! zerrt er sich heraus,
Ein Zwanzigmarkstück für den Gärtner-Alten.
Zu, Kutscher! Vorwärts! Mit dem schönen Strauß
Vorwärts, daß links und rechts die Menschen prallten.
Vor seiner Villa hält der Wagen an,
So kurz: es bäumt sich knirschend das Gespann.
Ein Diener zeigt sich, neigt sich, steht verstört.
Sein Herr drängt ihn beiseite, stürmt die Türen,
Ruft, sieht sich um: hat keiner mich gehört?
Ruft noch einmal, kein Leben ist zu spüren.
Herrgott, was hat sich gegen ihn empört,
Was will ihm heimtückisch die Kehle schnüren?
Das Haus wie ausgestorben, wie verlassen:
Mein Weib! Mein Kind! Er fühlt sein Blut erblassen.
Er stößt den Saal auf! Da: im Sarge liegen,
Im offnen, seine Lieben, weiß gekleidet,
Starr, still in Blumen; an einander schmiegen
Sich Kind und Mutter – wie er sie beneidet.
Er nähert sich. Er kniet. Hsch. Hsch. Verschwiegen
Küßt er sie zärtlich, seufzt tief auf, und scheidet,
Und hat die beiden Rosen noch geschenkt;
Dann hat er schluchzend sie ins Grab gesenkt.
Ja, ja, »das sind so Sachen, sind so Sachen.«
Doch nun genug von Sorge, Qual und Pein;
Wir wollen wieder lustig sein und lachen.
Zerrissen ist der Schuldentilgungsschein,
Bezahlt ist alles; weg die Rechnungsdrachen!
Wir hatten heute grenzenloses Schwein:
Denn neunmalhundertneunzigtausend Pfund
Vermachte mir ein Freund aus Trapezunt.
In Poggfred bin ich, Schnee liegt rings umher,
Der Weihnachtsabend ist herangekommen;
Ein voller Wagen hält geschenkeschwer,
Für viele Kinder ist er angekommen.
Zu unsrer Freude und des Christkinds Ehr
Ist über Bethlehem der Stern entglommen.
Fern aus den Wäldern klingt ein leiser Sang,
Der klingt so süß, der klingt so liebebang:
»Es ist ein Reis entsprungen
Aus einer Wurzel zart;
Wie uns die Alten sungen,
Von Jesse kam die Art.
Und hat ein Blümlein bracht
Mitten im kalten Winter
Wohl zu der halben Nacht.«
Aus meinen Forsten einen Tannenbaum
So mächtiggroß wie möglich ließ ich bringen;
Dann schufen Bertouch, ich, den Wintertraum
Und ließen alles prächtig wohlgelingen.
Ein Honigkuchenruch durchzieht den Raum,
Die Tische sind bedeckt mit bunten Dingen.
Die Kerzen leuchten, und die Glocke tönt;
Herein, herein! hier ist die Welt versöhnt.
Ich hatte weit das Völkchen holen lassen,
Aus Tagelöhnerkaten, Haidehütten,
Die scheuen Kleinen aus den dürftigen Klassen,
Der Waschfrau kränklich Kind von dunstigen Bütten:
Sie alle soll die Liebe heut umfassen,
Sie alle soll die Fülle heut umschütten.
Ich selber nahm aus dem befangnen Schwarm
Ein lütt Zigeunermädel auf den Arm.
Halbjährig ist das Wurm, sie trappelt, trampelt;
Die braunen Händchen zittern, langen, greifen.
Sie macht ein Karpfenmäulchen, strappelt, strampelt;
Und wie erstaunt die schwarzen Augen schweifen,
Heb ich sie lichterhoch! Und wie sie ampelt!
Ho, jemine, kann schon ihr Finger kneifen!
Sie kreischt vor Lust, das war ihr erstes Juchzen;
Du, Dirnlein, käm dir später nie das Schluchzen.
Ach, schenken, schenken, könnt ich immer schenken!
Und lindern, wo die Not, die Armut haust.
Und braucht ich nie mein Geld erst zu bedenken,
Wo ein Verzweifelter den Bart sich zaust.
Und könnt ich alle Krämerhälse henken:
Pfeffer in euern Schlund! und meine Faust!
Könnt Allen ich ein Tannenreis entzünden:
Seid froh, vergeßt für immer eure Sünden!
Ist das ein Durcheinander: wie sie spielen
Und schleppen, ziehn, trompeten, trommeln, geigen.
Beschwert sind Stühle, Sofa, Teppich, Dielen;
Ein jedes schirmt und schützt für sich sein Eigen.
Mariechen, oh, seh ich nach Ännchen schielen,
Ei, ei! Doch wer kommt da? Und tiefes Schweigen:
Ein Engel mit gesenkten weißen Flügeln,
Der flog wohl eben her von Gottes Hügeln.
Seht! der jetzt hier vor euch steht,
Ist ein Engel aus dem Himmel,
Von den Sternen hergeweht,
Ach, ins irdische Gewimmel.
Mit Knecht Ruprecht ging ich viel
Vor den schönen Christkindtagen;
Immer neu war unser Ziel,
Seinen Rucksack half ich tragen.
Unsrer Gaben Fülle lag
Fest verschlossen in Verstecken,
Daß nicht vor dem Jesustag
Naseweischen sie entdecken.
Ein Klein-Lottchen konnt ich sehn,
Mit dem Brüderchen, dem Fritzen:
Suchten emsig auf den Zehn
Schlüsselloch und Türenritzen.
Kinder, ward der alte Mann
Böse, zeigte schon die Rute!
Doch ich sprach ihn freundlich an,
Bis ihm wieder lieb zumute.
Und nun trägt vom hellen Baum
Jeder seinen Schatz in Händen,
Und er läßt sich selbst im Traum
Die Geschenke nicht entwenden.
Ganz besonders diesmal fand
Märchenbuch ich und Geschichten;
Denn ich kam in jenes Land,
Wo die Menschen alle dichten.
Bleibt ihr artig, kleine Schar,
Wird Knecht Ruprecht an euch denken,
Bringt euch auch im nächsten Jahr
Einen Sack voll von Geschenken.
Und dann steht ihr wie im Traum,
Und von neuem seht ihr wieder
Kerzenglanz und Tannenbaum
Und hört alte Weihnachtslieder.
Die Fenster auf! Der Engel hebt die Hacken,
Langsam erhebt er zu den Sternen sich.
Wir biegen unsre Köpfe in den Nacken,
Hoch, höher schwebt er, silberweiß; ein Strich
Verschimmert an des Mondes Sichelzacken,
Die ganze Erde ruht nun feierlich.
Aus Poggfreds Wäldern, rings, wie Friedensklang
Klingt wunderbar ein Knabenzwiegesang:
Sanctu Dominus Deus Sabaoth,
Pleni sunt coeli et terra gloria tua,
Hosianna in excelsis!

Achter Kantus: Von Stern zu Stern.

Noch immer hat des Winters weißer Tod
Sein Hemd zum Bleichen übers Feld gelegt;
Noch hat sich nicht der Frost, der Behemot,
Der eingekrallt im Flußbett schläft, geregt,
Und eine rettungsleere Stille droht
Mit halber Wimper, lauernd, unbewegt.
Doch unterm Schnee in Wald und Gartenkrume
Rühren sich Krokus schon und Osterblume.
O Einsamkeit, violenblauer Friede,
Versiegle meines Hauses Eingangstor,
Daß keiner komme, selbst wenn ich verschiede.
Ich will allein sein, heute wie zuvor;
Ich bin ein armer Lebensinvalide,
Der froh ist, legt er sich aufs letzte Ohr.
Genug, genug! ich sah nur Haß und Hast,
Sah untersinken auch den kühnsten Mast.
Da öffnet sich die Türe, und herein
Tritt auf mich zu ein Weib an meinen Tisch.
Sie hält im Arm mein einzig Töchterlein
Und steht errötend, edel, träumerisch.
Das Kind kreischt lustig in den Lampenschein,
Die Mutter lächelt sanft und rosenfrisch.
Schnell leb ich wieder, denn es kam das Glück,
Und Mut und Kampflust kehren mir zurück.
Mama, Papa in Sesseln am Kamin,
Wo ein gewaltiger Buchenklotz verbrennt;
Mein Kindchen lass ich tanzen auf den Knien.
Dann meine Taschenuhr: Hör, wie sie rennt,
Paß auf, Tiktak, jetzt läuft sie nach Berlin,
Tiktak, Hurra, potz tausend Element!
Mein Töchterchen horcht ganz verwundert, und –
Jetzt soll die Uhr in ihren kleinen Mund.
»Kommst du? Wir wollten dich zum Essen holen;
Errate, was es gibt! Du ißt es gern.«
Wie? Mäuse mit gebratnen Stiefelsohlen?
Ein Kätzchen, hm? garniert mit Nudelstern?
Vielleicht ein Gulasch von Giraffenfohlen?
Rumpsteak vom Fuchs? Gefüllter Gurkenkern?
»Curry und Reis mit vielem Parmigiano.«
Il mondo subito va cosi piano.
Die kleine Abel liegt im Bettchen jetzt,
Lacht uns noch einmal an und schlummert ein.
Still haben wir uns an den Tisch gesetzt
Und schlürfen einen leichten Moselwein
Und essen Entenbraten. Und zuletzt
Bringt Bertouch uns die »Krone« noch herein:
Curry und Reis mit Parmesanerkäse.
Gebt mirs am Sterbetag und ich genese!
Nun gab die Nacht dem Tag den Schwesterkuß,
Die junge Mutter träumt von unserm Kinde.
Die kleine Abel träumt vom Sirius,
Sie träumt, daß sie es gar zu seltsam finde,
Jetzt hier zu sein; es macht ihr viel Verdruß,
Ihr Stirnchen runzelt sich wie Eichenrinde.
Sie schläft, ganz matt noch von der langen Reise.
Ja: man gewöhnt sich schwer in neue Kreise.
Auch Bertouch schläft. Und meine Teckel träumen.
Ich bin als einziger im Hause wach.
Was spinnt sich her zu mir aus Himmelsräumen?
Welch feines Tönen her vom Weltendach?
Ich geh ans Fenster: Hoch auf Nebelsäumen
Rollt sanft der Mond, die Sterne rollen nach.
Dort jene schneegetürmte Wolkenspitze
Erinnert mich an höchste Alpensitze.
Erinnert mich an einen Alpengrat,
Wo eine Platte bot dem Schlößchen Stütze,
Das da sein sturmvoll-einsam Dasein hat,
Bedeckt mit ewiger Regenhaubenmütze.
Hinauf zwängt sich ein einziger schmaler Pfad,
Im Zickzack, wie in Stein gehaune Blitze.
In grauenhafte Tiefe stürzt die Flucht,
Der Blick erlischt in schwarzer Felsenschlucht.
Doch einmal sah ich dieses Schlößchen liegen
Im allerhellsten Sommersonnenschein;
Zwei Adler sah ich kreisend drüber fliegen
In ruhevoller Hoheit, weltallein.
Italiens Lüfte sah ich mild umschmiegen
Des Gletschereises eingeklemmte Pein.
Im Lorbeergarten kerzende Zypressen;
Die Pinie läßt den Föhrenwald vergessen.
An diesem heitern Tage saßen oben,
Auf der Terrasse, klar vom Licht umblaut,
Drei Gentlemen, die Gläser hoch erhoben,
Und lärmten, übermütig, überlaut,
Und stießen an: Laßt uns den Geldsack loben.
Mammonia, lachten sie, heißt unsre Braut.
Wir können jeden unsrer Wünsche stillen,
Der Teufel selber tanzt nach unserm Willen.
Da: bebt der Berg? Sie merkens nicht, sie zechen.
Ein dünner Dampf zieht auf aus jenem Tal.
He! Mehr noch! Laßt die Flaschenhälse brechen!
Ein rotes Flämmchen zuckt; ists ein Signal?
Sie spein auf Armut, Qual und Not, die frechen.
Wer steigt empor aus unterirdischem Saal?
Und klimmt von Zacke zu Zacken, Stufe zu Stufen,
Und steht vor ihnen: Wer hat mich gerufen?
»Ihr Herren, seht, ein schwacher Straßengreis,
Dems nie gelang, der nie Besitz gehabt,
Dem nie das dürre Reis ward frisches Reis,
Den nie ein einziger freier Tag gelabt,
Der fleht euch an um kleinen Wegepreis,
Ihr seid mit Glück und Gnaden ja begabt.
Seht die verdorrte Hand, seid gut und hold,
Sie bittet schüchtern um ein wenig Gold.«
Da sprangen sie von ihren Stühlen auf
Und schmissen die Champagnergläser klirrend
Ihm an den Kopf: Sauf zu, Canaille, sauf!
Der schwere Silberkübel flog ihm schwirrend
Am Ohr vorbei: Pack dich, du Hundsfott, lauf!
Der Bettler, aus dem Bart die Scherben wirrend,
Stand ruhig, blieb. Der wüste Schloßherr schrie:
Die Hunde los! Elendes Lumpenvieh!
Da: Wunder: Aus den Lappen schlüpft gewandt
Ein Stutzer, hm, na ja, mit weißer Binde,
Frack, Lack und Claque, neumodisch-elegant.
Es schält sich aus dem schäbigen Flickgewinde
Ein allerfeinster Stoff, höchst imposant.
So steht er als ein Herrscher vorm Gesinde
Und hebt die Hand, die Finger stieben Funken,
Und schneidend höhnt er: »Nun paßt auf, Halunken!
Du da, mit deinem Hirn aus Kleisterbrei,
Zwar gab der Himmel deine Flachheit dir,
Ich will dir helfen aus der Döserei:
Da, nimm Verstand! so viel, du dummes Tier,
Daß du jetzt nie mehr wirst von Zweifeln frei
An Gottes Langmut, Christi Heilspanier.
Dein ganzes Leben soll dich damit plagen,
Die Stirne dir mit Folterqualen schlagen.
Und du mit deiner faden Albernheit,
Dich soll, so lang du atmest, immer quälen:
Sind meine Freunde von Beständigkeit?
Kann ich auf meine Auserkornen zählen?
Betrügt mich nicht das sicherste Geleit?
Wo find ich Wahrheit, Treue? Wen mir wählen?
Vor denen, die du liebst, sollst du erzittern,
Verrat und Hinterlist und Tücke wittern.
Und dich, den Schloßherrn, will ich also strafen:
Dein ungeheurer Reichtum ist nur Kot.
Nicht eine Nacht mehr sollst du ruhig schlafen
Vor Hunger, Schande, Schimpf und Beutelnot.
Vergeblich siehst du aus nach einem Hafen,
Umsonst ersehnst du jeden Tag den Tod.
Und deine Schulden sollen dich zerfressen,
Mit Greuelarmen dein Gehirn umpressen.
Euch allen Dreien soll dies Dasein dauern,
Gebt Acht, Messieurs, geschlagne hundert Jahre.
Ihr seid gefangen, Schufte! Aus den Mauern,
Die ich euch zog, erlöst euch nur die Bahre.
Und seid ihr endlich tot, wird keiner trauern;
Ins Grab sinkt stinkend ihr als faule Ware.
Addio, meine Herren, bleibts gesund,
Ich tauche wieder in den Höllenschlund.
Ein rotes Zünglein leckt vor seinen Füßen,
Er schwindet langsam weg in die Versenkung.
Noch einmal lüftet er den Hut zum Grüßen
Mit sehr fataler, maliziöser Schwenkung:
So müssen alle, die mich narren, büßen,
Ich mache jedem meine Gegenschenkung.
Ein leises Donnern, fünf Sekunden lang;
Die Uhr schlägt eins, die Welt geht ihren Gang.
Die Welt geht ihren Gang. Ich sitze nieder
In meinen Sessel am Kamin beim Feuer:
Familienvater, würdevoll und bieder.
Die See ist ruhig, gradaus steht mein Steuer.
Was tummeln sich mit einem Male wieder
In meiner Seele alte Abenteuer?
Zuvörderst eine Upmann, Espeziales;
Den Frieden birgt sie mir des heiligen Grales.
Ich will das einzige Glück mir nicht mehr rauben:
Das traute, höchste Glück: mit Weib und Kind.
Drum aus den Ecken her, wo sie verstauben,
Der Liebesbriefe rotgeschnürt Gebind.
Und in die Glut hinein die Turteltauben,
Dort tötet sie der heiße Flammenwind.
Wies brennt! Wies schwelt! Der Funken Angstgehasche!
All Lebens Ende ist ein bißchen Asche.
Thereschen, wie, was zögest du so lange,
Willst du nicht mit den Schwestern in den Tod?
Verbrenne! Rasch! Sonst komm ich mit der Zange
Und schüre, bis das Feuer hellauf loht.
O du, mit deiner weichen Mädchenwange,
»Prinzessin Lilienweiß und Rosenrot.«
Nun ist dein zärtlich Herz in Staub zerfallen.
Vergangenheit heißt unser Erdenwallen.
Geheimnisvoll im Straßennetzgewirre
Ein Stübchen, wo wir uns alleine trafen.
Gedämpft lärmt her der Handelsstadt Geschwirre,
Ein dumpfes Meer um unsern heitern Hafen.
Und sank die Nacht, ein Eden nach der Irre,
Sie ließ uns gern in ihrem Schoße schlafen.
Was helfen alle philosophischen Sprüche,
Es bleibt dabei: die Liebe und die Küche.
Herr, dieses Aufeinander, diese Reihe.
Die schwarzen, braunen Augen, blauen, grauen,
Der Lippen Küssedrang. Prosa, verzeihe!
Der Reigenschritt auf frischbeblümten Auen.
Die Kraft, die Jugend gaben uns die Weihe;
Ich kann den langen Zug kaum überschauen.
Wann jauchzte ich den letzten Balzerschnalzer?
Wann tanzte ich den allerletzten Walzer?
Ich weiß es wohl: Ein Tag im Juni war es,
Noch zeigten Wald und Feld die letzten Blüten.
Ein Kranz lag um den Scheitel deines Haares,
Der wollte dir den Mädchensinn behüten;
Doch an den Stufen seines Brautaltares
Wird dir der Lenz dein Opfer reich vergüten.
Die Schellentrommel klingt, die Sonne sticht.
Am andern Morgen schrieb ich ein Gedicht:
Das schönste Mädchen von der Welt,
Echt Mecklenburger Rasse,
Sitzt endlich mit mir unterm Zelt
Auf Oestmanns Elbterrasse.
Dies flimmergrüne Augenpaar,
In Rotdorn und Syringen,
Es ist ja Frühling ganz und gar,
Und alle Menschen singen.
Der dicke Zopf, dies schwarze Haar,
Ich muß es wütend packen;
Der Minnegöttchen muntre Schar
Spielt ihr um Brust und Nacken.
Und dieses Nackens herber Guß,
Stolz wie bei Königinnen.
Gleich taumel ich von Kuß zu Kuß
Und bin nicht mehr bei Sinnen.
Die Schellentrommel scholl so dumpf,
Die Fidel schrie dazwischen;
Wir machten fix uns auf den Strumpf,
Uns in den Kreis zu mischen.
Und schleiften ohne Ballhandschuh,
Halli, hallo, la Leben!
Ein Viertelstündchen immerzu
Ein einzig Drehn und Schweben.
Nun essen Spargel wir und Kalb,
Hammel à la Soubise.
Da schlägts vom Turme neun ein halb,
Wir wandern durch die Wiese.
Wir steigen in die Eisenbahn,
Die Zeit liegt an der Kette,
Und bald kreist Amor Guardian
Um unser Flammenbette.
Und schlummert sie ermattet ein,
Vom Liebespfeil getötet,
Dann leid ich endlos süße Pein,
Bis sich der Morgen rötet.
Nächtliche Stille überall,
Nur Flüstern und Geraune.
Komm, Tag, mit deinem Hall und Schall,
Blas in die Lärmposaune!
Der Sohn, den du mir, Nacht, bescherst:
Aus seinen Enkeln wieder,
Vielleicht am jüngsten Tage erst,
Wird einer Seifensieder,
Vielleicht ein großer Schlachtenheld,
Der alles wird entzünden,
Vielleicht wird er der Erdenwelt
Den ewigen Frieden künden.
Weg mit dem Plunder auf den Kohlenrost!
Die Locken kräuseln sich im Brand wie Schlänglein,
Parfüm entflieht aus mancher Amorspost,
Ein Rosabrief dreht sich zum Fahnenstänglein;
Viel hundert Schwüre sind der Lohe Kost,
Zu Ende ists mit all den lieben Englein.
Im Telegrammstil bringt die nächste Strophe
Nur ein Novellchen noch. O ziere Zofe!
Bankier-Palazzo. Herrschaft ist verreist.
Gut. Dienerschaft geht aus. Ein Kätzchen nur:
»Heut Abend. Komm. Um acht. Bin so verwaist.«
Ich kam. Das Herrenzimmer. Cour d'Amour.
Das Bismarcksofa. Stürmisch, zärtlich, dreist.
Kuß pflückt den Kuß. »Ach, laß!« »Laß!« Moll und Dur.
Der Morgen. Abschied. Exit Nachtvisite.
Ein langer Weg nach Haus. O ziere Lite!
Zerstört ist Alles. Kehricht. Katzenjammer
Durchfröstelt mich: Bin ich nun altes Eisen?
Gehör ich nunmehr in die Rumpelkammer?
Nunmehro in den Ratsstuhl zu den Greisen?
Hol mich der Styx, ich schwinge noch den Hammer,
Ich mag und will noch nicht nach Pfahlburg reisen.
Ich zahle lachend meinen Erdenzoll;
Sind mir nicht Herz und Hirn noch übervoll?
Nicht übervoll von Glück in meinen Lieben?
Genieß ich nicht den Rausch der Vaterfreude?
Ist nicht mein Testament schon unterschrieben?
Steht sicher nicht und festlich mein Gebäude?
Was will ich denn? Den Erdboden durchsieben,
Worin ich wurzle? Prahlen: »ich vergeude«?
Zufriedenheit ist wie ein zarter Schleier;
Was zupft und zerrt und zaust daran der Geier?
Der Geier heißt bei mir die Langeweile,
Bei Tage Geier, in der Nacht Hyäne.
Denn scheußlich ist der Schlund der Langenweile,
O scheußlich: nie sich gleich, stets gleich, ich gähne.
Ich sterbe noch einmal vor Langerweile.
In meinem Innersten, hör auf, Sirene,
Was singst du mir vom freien Tod das Lied –
Wer klopft mir auf die Schulter wie Granit?
Ich springe auf und stehe wie ein Baum,
Mit grenzenlosem Staunen stier ich, gaffe:
Das bronzefarbne Wams mit gelbem Saum
Umschließt ein blauer Gürtel mit Agraffe.
Wie märchenhafter Diamantentraum
Zittert am Gurt ein Dolch als Schmuck und Waffe.
Ein Wahngeschöpf? Woher? Er spricht wie wir.
Spricht vornehm, kalt, in höfischer Manier:
»Du kennst mich nicht. Ich bin vom Sirius.
Ich komme, um dein Töchterlein zu holen,
Das ihr beschmutzt mit euerm Erdenkuß.
Gib sie mir her! Ihr habt sie uns gestohlen!
In Gutem soll ich oder mit Gewalt
Sie wiederbringen, wurde mir befohlen.«
Was willst du, was? Bist du von Sinnen? Halt!
Mit einem Satze bin ich an der Türe
Und spanne meine Arme vor den Spalt.
»Und zögst du Riegel vor und zögest Schnüre,
Laß doch dein lächerlich Gebaren sein,
Nimm dich in acht, daß ich dich nicht berühre!«
Da sah ich seiner Augen fremden Schein,
Und grauenhaft! sie gingen wie zwei Röhren
Ihm ins Gehirn nach hinten tief hinein.
Sein Blick wird, lichterspielend, mich zerstören,
Seh ich noch länger hin; ich fall aufs Knie
Und muß, gebückt, starr, seine Worte hören.
Ich fühls, er beugt sich zu mir. Lautlos schrie
Mein Herz, mir trocknete mein Adernquell.
Doch sprach er sanft, es klang wie Melodie:
»Liebst du dein Kind, so segne den Appell,
Daß ich in unser herrlich Reich sie rufe.
Du schauderst? Nun, so höre mich, Gesell:
Die Erde ist nur eine Schinderhufe,
Voll Schmutz und Dünger, Schweiß und Schwierigkeit,
Sie steht im All auf sehr geringer Stufe.
Du kennst das Leben: lauter Angst und Streit.
Ihr kennt es alle. Euer Wunsch ist immer,
Erlöst zu sein aus dieser Peinigungszeit.
Wir lauschen euerm Schreien und Gewimmer,
Wir sehen eure nackten Arme flehn
Zum hohen Himmel, auf zum Ätherschimmer.«
Er schwieg. Ich schwieg. Ich hört ein seltsam Wehn
Durch meine Wälder raunen, um mein Haus,
Und wagte nicht, ihm ins Gesicht zu sehn.
Dann sprach er weiter, und sein Wort ward Graus,
Und einzeln ließ er sie wie Tropfen fallen,
Wie finstres Drohn klang seine Stimme aus:
»Die Menschen, jeder, haben Raubtierkrallen.
Erbärmliches Gesindel! Ekle Wichte!
Lieblosigkeit, Neid, Habsucht bei euch allen!
Herrschsucht, Gewalt sind eure Hochgerichte;
Der arme Dumme wälzt sich wie das Schwein,
Der reiche Kluge prunkt allein im Lichte.
In diesem Pfuhle soll dein Kind gedeihn?
Nein, es ist unser! Uns gehört ihr Leben.
Mach Platz! geh! laß mich in ihr Zimmer ein!«
Er schob mich weg, ich mußte mich ergeben,
Gebrochen waren Wille mir und Kraft;
Ein Häufchen Schatten, folgte ich mit Beben.
Die Mutter schlief in seliger Tempelhaft,
Im keuschen Tempel ihrer Opferliebe,
Und ruhig floß ihr Herzenspurpursaft.
Sanft, im verknüllten Bettchen, im Geschiebe
Der Spitzen schläft mein Mädel, angehaucht
Vom rosigen Engel ihrer Daseinstriebe.
Sie atmet. Sie erwacht. Ihr Köpfchen taucht
Empor. Sie breitet ihre Ärmchen weit,
Und ist die kleinste reizendste Durchlaucht.
Zeigt sie dem Vater ihre Munterkeit?
Sie sieht nicht mich: Herrgott, sie lächelt ja
Dem Andern zu in seinem Strahlenkleid.
Der neigt sich tief vor ihr con grazia;
Sie hascht nach ihm, sie streckt die Händchen vor.
Er nimmt sie auf, an seine Brust, und – ah:
Mein Kind! Mein Kind! Er richtet sich empor.
Sie fügt um seinen Hals die schwachen Finger;
Ich will – ich – will – und bin ein welkes Rohr.
Ein Schwert! Ich ringe, röchle. Mein Bezwinger
Steht steinfest. Nein! Ich schling mich um ihn. Eitel.
Ich spring ihn an – ach, ein gebrochner Ringer.
Mir steigt der Wahnsinn glühend bis zum Scheitel.
Am Boden lieg ich, angeschraubt in Ketten,
Versuche mich zu heben – Alles eitel.
Die Schläfer brüll ich auf aus ihren Betten.
Anita, unser Kind! Wach auf! Mord! Mord!
Quält mich zu Tode, kann ich sie nur retten!
Der Räuber aber schreitet ruhig fort,
Belächelt leidig meine Seelenwunden;
Die Mutter schläft und träumt am Himmelsbord.
Der Räuber, seine Beute sind verschwunden.
So lag ich Stunden wohl in dieser Nacht;
Allmählich endlich komm ich zum Besinnen,
Und habe weit die Augen aufgemacht.
Am Fenster steh ich, starr ich: Was beginnen?
Die lieben Sterne leuchten immer noch;
Vom Sirius seh ich ein Geflimmer rinnen.
Von meinem Nacken fällts wie schweres Joch.
Dem Diebe nach! Doch ach, ich kann nicht fliegen.
Vielleicht ist er im Holz, ich find ihn doch.
Schon bin ich unterwegs, auf Waldesstiegen,
Und komme atemlos an ein Rondel,
Wo blaß, versteckt, zwei Marmorsphinxe liegen.
Zwei Lebensbäume, jeder ein Juwel,
Einst hergepflanzt ans fernstem Orientlande,
Stehn kerzengrade hier wie auf Befehl.
Sie überragen eine Tann-Girlande,
Die krüpplig, stark verfitzt, sie fest umzäumt;
Der Wind erstickt in ihrem Schutzgewande.
Hier hab ich oft bei Tag, bei Nacht geträumt;
Der Platz ist für Mysterien wie erkoren,
Hier hab ich manche Wirklichkeit versäumt.
Zypressen, Sphinxe schlafen wie verloren
Im grellen weißen Wintermondenschein,
Den Unterbusch und schwarz Gesträuch umfloren.
Ein wunderlicher Kerl sitzt auf dem Stein,
Die Beine hat er überkreuz geschlagen.
Wer bist du? sprich! was will dein Stelldichein?
Er grinst: »Dear Sir, was soll ich Ihnen sagen,
Ich bin, hört hört, Depeschenüberbringer,
Ich muß von Stern zu Stern als Bote jagen.«
Was, Sternbriefträger bist du? Wolkenspringer?
Gleich nimm mich mit auf deinem Himmelsfluge:
Zum Sirius! Siehst du meinen Zeigefinger?
»Still, Monseigneur! und laß nur dein Geluge.
Am Sirius land ich morgen Abend an,
Erst hab ich mehr zu tun auf meinem Zuge.
Der Stern der Vorsicht kommt zuvörderst dran,
Der Stern der dummen Schwätzer kommt zu zweit,
Und viele andre Sterne folgen dann.
Willst du dich mäßigen in der Ewigkeit,
So nehm ich dich auf meine Reise mit,
Und auch zum Sirius bringt uns gute Zeit.
Drum, wie gesagt, verehrter Abderit,
Wenn du mir fest versprichst, Geduld zu haben.
So sollst du mit auf meinem Lüfteritt.«
Und ich versprach dem sonderbaren Knaben,
Ihn nicht mit Ungestüm noch Trieb zu quälen
Und artig mit ihm durch die Welt zu traben.
Wir fliegen schon. Den wir zuerst uns wählen,
Den Stern der Vorsicht haben wir erreicht.
Ich will von ihm ein Freskostück erzählen.
In Säcken schwingen hier an Ästen leicht
Die Menschen, zugenäht bis an den Hals,
Den loser, lauer Zephyrwind umstreicht.
Den Finger halten sie am Munde als
Gebotne Pflicht: schier endlos ist ihr Schweigen,
Mir schiens wie lässiger Spaß des Karnevals.
Auch Moltke hing in diesem drolligen Reigen.
Im Leben heißt es Vorsicht, schweigen können;
Man kann den höchsten Glücksberg dann ersteigen.
Auf daß wir andre Welten bald gewönnen,
Denn langweilig war dieses stumme Hängen,
Bat ich, mir einen Wechsel rasch zu gönnen.
Mein Führer ließ sich auch nicht lange drängen,
Wir hielten auf dem Stern der Schwätzer Rast,
Wo sie die Zungen durch die Zähne zwängen.
Ein Nagel, der genau vors Gatter paßt,
Hält diese Zungen so verflixt durchstochen,
Daß es zu Ende ist mit ihrer Hast.
Jetzt können sie nur Gift im Herzen kochen;
Sie sind gezwungen, stets das Maul zu halten,
Von keinem wird ein Wörtchen mehr gesprochen.
Indiskretion in tausend Mißgestalten,
Hier büßt sie. Schleunigst weg von diesem Spiel,
Und schon erhob er seine Flügelfalten.
Gedankenrasch ereilten wir ein Ziel:
Ich sah ein einziges Gefild sich dehnen,
Besät mit Häusern, all in einem Stil.
An diese Häuser fand ich Menschen lehnen,
Fast lauter alte Leute, Männer, Frauen,
Die keiner Hoffnung Blume mehr ersehnen.
Ich sah sie alle in den Abend schauen;
Der lag im letzten Sonnenuntergang,
Zufriedenheit beschirmte ihre Brauen.
Vernichtet hatten sie den Herzensdrang,
Den Schmerz, die Liebe, Haß und Lustgefühl,
Und wunschlos schlief in ihnen jeder Klang.
Wir schossen weiter dann durchs Sterngewühl
Und landeten in einem Eibengarten,
Der schatteneinsam stand und frühlingskühl.
In alten gotischen Bronzestühlen, harten,
Mit steilem, überhäupterhohem Rücken,
Sah ich unzählige junge Mädchen warten.
Sie waren tot. Es spielte ein Entzücken
Um ihren Mund, die sechzehnjährig starben;
Ein Seufzen schienen sie zu unterdrücken.
Mit Mohn von matten, rosahellen Farben
Umschlang ein Kranz ihr leichenruhig Haupt,
Das erste Liebesträume einst umwarben.
Da sah ich sie, die mir mein Herz geraubt,
Als ich ein Schüler war, die dann gestorben,
Die, ach, wie lange schon, im Sarg verstaubt.
Sie schlief hinüber frisch und unverdorben;
Nun saß sie hier in ihrem Unschuldshemd,
Um die ich, selbst ein Kind, so heiß geworben
Sanft küßt ich ihre Stirne, zage, fremd;
Da öffnete die Augen sie zu mir,
Und ihre Ärmchen hielten mich umklemmt.
Dann wieder schloß sich ihre Wimpernzier,
Die Arme fielen schlaff auf ihren Schoß,
Und wie vorhin saß leblos sie vor mir.
Mein Wegbegleiter drängte mitleidlos,
Er riß mich höhnisch weg aus meinen Tränen,
Und wieder ging die stürmische Reise los.
Wir sanken tief und flogen zwischen Schwänen
Und wilden Gänsen: ah, die Erde winkt,
Wir nähern uns dem Sterne der Hyänen.
Das erste, das an meine Ohren dringt,
Ist Schnattern zahmer Gänse, die nach oben
Den Brüdern Antwort geben aus Instinkt:
So fein ist ihr Gehör. Ein wirres Toben,
Ein wüstes summendes Geräusch erklang,
Aus dem schon drohend einzelne Flüche schnoben.
Jetzt teilte sich um uns der Dünstehang,
Und wir erschauten im gedämpften Licht
Der Straßenflammen einen Gassenstrang.
Und eine große Stadt kam zu Gesicht.
Ein scheußlicher Geruch von Äsern, Leichen
Quoll zu uns auf, ummantelte uns dicht.
Nun konnte alles unser Blick erreichen,
Mord, Unzucht, Roheit, jede Menschenqual;
Ich fühlte meines Lebens Rot erbleichen.
Hinweg aus diesem einzigen Schlachtersaal!
Nein, ich ertrug nicht länger diese Pein.
Hinweg, hinweg aus diesem Greueltal!
Und plötzlich tiefe Stille nach dem Schrein:
Wir flogen über nächtige Wälder fort,
Und Poggfred zeigte unten schwachen Schein.
Da lag mein lieber alter Zufluchtsort,
Am Fenster konnte ich Anita sehn,
Sah ihre wildgerungnen Hände dort.
Ich sah ihr loses Haar im Winde wehn,
Sie schrie nach unserm Kinde auf zu Gott,
Ich hörte ihre Bitten und ihr Flehn.
Mich rettet meines Führers scharfer Spott,
Und pfeilschnell schossen wir in höchste Fernen,
Befreit vom ewigen irdischen Schafott.
Wir taumeln zwischen wunderbarsten Sternen,
Die Rädern gleich, wie Feuerwerk getrieben,
Viel Spritzer schleuderten aus ihren Kernen.
In diesem Wirrwarr sind wir dann geblieben
Auf einem Doppelstern: Der eine trug
All jene keuschen Seelen, frommen, lieben,
Die kindlich schreiten hinterm Sklavenpflug
Der Erde, gottvertrauend auf »Ihn« bauen
Und herzensrein sich halten, sanft und klug.
Wenn diese sich hier in die Augen schauen,
Verneigen sie sich, und der Palmzweig sinkt,
Zum Gruße sinkt er, wie vor schönen Frauen.
Ein »Have, pia anima« verklingt.
Wir sind am zweiten Sterne angelangt,
Wo eine graue Regenstimmung ringt.
So ernst sind hier die Menschen, daß mir bangt.
Entsagung les ich ab von ihren Zügen,
Auch ihre letzte Freude ist verprangt.
Sie tragen an der Stirne ein Genügen:
Befreit sind von Enttäuschung wir und Wahn,
Erlöst aus Tand und Band, aus Trug und Lügen.
Und weiter schwebten wir auf unsrer Bahn,
Und hielten auf dem Sterne der Philister.
O laß uns weg von diesem öden Plan!
Skat, Politik, Gegröhl und Bier: Geschwister.
Geschwister: Subalterngedankler, Drohnen,
Angst, Ungeschmack, wie end ich das Register!
Schon sind wir dort, wo andre Geister wohnen:
Bei denen, die auf Erden untergingen,
Die ständig kämpfen mußten mit Dämonen.
Die endlich stürzten mit gebrochnen Schwingen
Und mit zerschossener Stirne unterlagen,
Weil sie nicht durch den Pöbel konnten dringen.
Euch lieb ich! und ich kenne eure Klagen!
Das Viehzeug konnte niemals euch verstehn;
Von feigen Heuchlern wurdet ihr erschlagen.
Lebt wohl! Vergeßt! Ihr wart ja Gotteslehn!
Hier seid ihr los von euern Folterbütteln,
Könnt unentweiht die große Flamme sehn.
Was konntet ihr sie denn nicht von euch schütteln,
Die Froschgesellschaft, diese Kunstvandalen!
Sie totschlagen mit guten Heckenknütteln!
Lebt wohl! Ich sehe eine Sonne strahlen,
Das ist der Sirius. Da will ich hin,
Zurückerobern, was die Räuber stahlen.
Wir landen. Es umschleiert sich mein Sinn
Vor all der Pracht, die hier den Morgen schmückt.
Ich sehe, daß ich nicht auf Erden bin.
Von Hügeln, regenbogenüberbrückt,
Steigt ab ein Zug: Auf einem Einhorn vorn,
Mit einem Lächeln, das die Welt beglückt,
Zieht mein Tochter her. Aus Hand und Horn
Streut rechts und links sie Blumen auf den Pfad.
Wie schnell sie wuchs an diesem Gnadenborn!
Unübersehbar, bunt, ein Pfauenrad
Von Farben, bläulichgrün folgt hinterdrein
Ein sonderbares Volk in Prunk und Staat.
Da sah ich ihrer Augen fremden Schein,
Und grauenhaft! sie gingen wie zwei Röhren
Weit ins Gehirn, bei allen, tief hinein.
Das wollte mir Verstand und Sinn zerstören.
Doch dacht ich nur, mein Kind mir zu erstreiten,
Und ließ mich nicht durch solchen Spuk betören.
Ich springe vor! ans Einhorn! Ewigkeiten!
Sekunden! Kampf! Gelächter! Harlekin!
Das Meer! O Fürstin! Ungeheure Weiten –
– – – – – – – – – – – – –
Da wach ich auf und sitze am Kamin
Im tiefverschneiten alten Poggfredhaus,
Und lass entsetzt die bösen Träume ziehn.
Es ist todstill. Ich höre eine Maus.
Der Wind klopft einmal leise an mein Tor
Und wirft die dumme Phantasie hinaus.
Dann schnell' aus meinem Sessel ich empor
Und eile in den Nebenraum geschwind,
Da schläft die Mutter ruhig wie zuvor:
In ihren Armen schlummert unser Kind.

Achter Kantus: Laterna magica coelestica.

Die Pforte zu, den Riegel vorgeschoben!
Sind schon die spanischen Reiter ausgelegt,
Wolfsgruben, tiefe Gräben ausgehoben,
Mit Pallisaden alles eingehegt?
Verhack, Verhau! Schießscharten unten, oben!
Ringsum die Bäume fallreif eingesägt!
Bertouch, mein Alter, du allein bleibst hier;
Ich möchte mich mal ausruhn vom Turnier.
Nimm mir die Waffen ab, kühl mir die Wunden,
Ich strecke mich aufs Bismarcksofa hin,
Und bin allein mit meinen Teckelhunden,
Mit Männes und Herrn Didels Knurrersinn;
Und fröhlich gehn die menschenleeren Stunden,
Kein Zeitungsblatt bringt meinem Spott Gewinn.
Die Post selbst stapel tagelang ich auf,
Und lass der Welt gelassen ihren Lauf.
Denn Umschau, Rückschau, Einkehr möcht ich halten.
Die Jugend floß ins breite Meer hinaus;
Die schönen bunten Flügel muß ich falten,
Der zarte Sonnenstaub fiel ihnen aus.
Nach heißem Tag ein abendlich Erkalten,
Ein Sehnen wie nach Heimat, Vaterhaus,
Nach Ruhehäfen, sichern Ankerplätzen,
Nach Abschiednehmen von des Lebens Schätzen.
Leiste Verzicht! So heißt das Drachenwort,
Und ist doch sanft, beruhigend und milde,
Und in uns Menschen klingt es immerfort.
Denn wir gehören zur Entsagergilde.
Die Blume blüht, wie bald ist sie verdorrt,
Und runzlig wird das lieblichste Gebilde.
Herr Gott, ich merke, und das ist vertrackt:
Ich werde alt: ich schreibe schon abstrakt.
Darum Konkreta her! Dees is mei Freid!
Vielleicht ein Stückchen aus dem Paradies?
Die Hände unterm Nacken, lieg ich breit
Auf meinem Sofa, denk an das und dies,
Schau in des Himmels ewige Ewigkeit,
Blau ist er heut, blaublau wie ein Türkis.
Halt, bei Türkisen werd ich Strophenschmied
Und sing mir schnell ein klein Türkisenlied.
Mein Lieblingsstein, der blaue Edelstein;
Als Diadem, ich brauchte nicht zu sparen,
Umbog er einst, ein blauer Heiligenschein,
Ein Haupt, rings kraus umglänzt von blonden Haaren.
Du blauer Stein, in himmelblauen Reihn,
Du wolltest mir die Schönheit offenbaren;
Die weiße Stirn, die dieser Kranz geschmückt,
Vor der hab ich mich selig einst gebückt.
Oft ging ich als Harun al Raschid aus,
Im Stadtgewühl, beim Scheine der Laternen.
Mit eingedrücktem Hut, im derben Flaus
Wirst du das Volk am besten kennen lernen.
Es macht mir Spaß, in Schenke, Kaffeehaus
Zu sitzen, in verräucherten Tavernen.
So fand ich eine Kneipe »Zum Korsaren«,
Mit Ale und Porter, die geschmuggelt waren.
Und Ale und Porter kann ich immer trinken,
Wenn edel sie zu haben sind und echt;
Der Trank bleibt edel, kann ich auch nicht sinken
An all und jede Brust, die mit mir zecht.
Denn oft sitzt mir ein Pferdedieb zur Linken,
Und rechts ein Raubschütz oder Schinderknecht.
Hauptsächlich, wie der Name das schon zeigt,
Ist diesem Krug das Schiffervolk geneigt.
Ein kleiner, sehr gewandter Ganymed
Vermittelt zwischen Toonbank und den Gästen.
»Zum Donner!« »Gleich, Herr, gleich,« wie das so geht,
Begleitet oft von hahnebüchnen Gesten.
Zuweilen endet, kommt ein Trinker spät,
Gelächter rasch mit Hieben, eisenfesten.
Wie Hekuba herab auf Ilium,
Schaut vom Buffett die Wirtin, starr und stumm.
Sie strickt, schenkt ein, und strickt, schenkt ein, und strickt,
Und ihre großen braunen Augen sehn
Gleich gleichgültig auf den, der eingenickt,
Auf den, in dem sich tausend Wirbel drehn,
Auf den, der lacht, und den, der finster blickt,
Und den, der glaubt noch auf dem Strich zu gehn.
Nein: Wirtin war sie nicht. Ich hört es bald:
»Die junge Witwe, drüben da vom Wald.«
Vom Walde da, vom Fluß, vom Berg, vom Tal;
Ich sah die Augen nur, die großen, braunen,
Die so viel Kummer bargen, so viel Qual,
Und doch so ruhig blieben, ohn Erstaunen,
Jedweden fremd begrüßten im Lokal,
Abhold den Scherzen und betrunknen Launen.
Aus Mitleid wird die Liebe oft geboren;
Folgt Mitleid, ist die Liebe bald verloren.
Und Mitleid hatt ich mit dem armen Ding,
Das hier vertrauern mußte und versauern,
Das wie der flügellahme Schmetterling
Hilflos verkam in dumpfen Bierhausmauern
Und, kaum mehr zappelnd, sich ins Netz verfing,
Wo still die Spinnen Not und Schande lauern.
Wie kam es, daß mich ihre Augen fragten
Und daß »Ich helfe dir« die meinen sagten?
Nichts weiß ich heiliger in allen Landen
Als das Genügen einer treuen Ehe,
Wenn Mann und Frau mit immer sichern Banden,
Bis eines stirbt, durch Glück vereint und Wehe,
Nach schwerer Tagesfahrt am Bettchen landen
Des Lieblings, daß ihm nachts kein Leid geschehe:
Ein Lichtreich ists, wo Kirchenkerzen brennen,
Wenn Mann und Frau nichts stören kann, nichts trennen.
Doch lieber eine Kugel durch die Brust,
Einsiedler werden auf dem Ararat,
Selbstpeiniger sein wie weiland Doktor Fust,
Ewig verbannt ein Fisch im Kattegat,
Als unglücklicher Ehemann, bewußt
Ein Leben führen, wies kein Teufel hat.
Der Gattin wegen hat sich wer entleibt,
So las ich jüngst. Dank: ich bin nicht verweibt.
In luftiger Vorstadt, ferne dem Gedränge,
Liegt ein bescheiden Häuschen eingereiht,
Darin ein Laden ohne viel Gepränge,
Wo Garn und Zwirn zu haben jeder Zeit,
Auch Wolle, Nadeln, Spitzen, Bettvorhänge
Zu kaufen sind, und feinste Handarbeit.
Die junge Witwe führt den Bänderkram,
Sie fühlt sich wohl, verschwunden ist ihr Gram.
Zuweilen überrasch ich sie bei Tage;
Wie freundlich ist des sanften Auges Glanz,
Aus dem nicht mehr wie früher schwere Klage
Blume an Blume flicht zum Leidenskranz.
Hier schnellt mich oft des Lebens närrische Wage
Aus Trübsal hoch zu lustigem Firlefanz.
Die schöne Frau erfüllt mir jeden Wunsch;
Wie braut sie wundervoll den Eierpunsch!
Und ihre weiße Stirn hatt ich geschmückt
Mit einem Kronenreifen von Türkisen,
Die blonden Härchen, ach, ich war entzückt –
Nun, Bertouch? Womit willst du mich verdrießen?
»Professor Doktor Wolff kommt angerückt.«
Emil kommt her? Was sagst du? Laß ihn spießen!
Er will mir Vortrag halten über Ethik,
Moral und Kunst und, gräßlich, auch Ästhetik.
Wie kam denn der durch unsre spanischen Reiter?
Gleichviel, er ist nun einmal da. Als Gast
Ist er für uns natürlich ein Geweihter.
So gib ein Essen ihm auf seiner Rast,
Und stimm ihn wohlig, mach den Doktor heiter;
Paß auf, was er dir kundgibt als Scholiast.
Sekt liebt er nicht; der, glaub ich, schafft ihm Weh.
Erquicke ihn darum mit Fliedertee!
Mir aber, Lieber, bringst du Pommery her,
Zwei Flaschen, ich will heute lustig sein.
Auf meines Lebens Höhe will ich leer
Sie trinken: meiner Jugend gilts allein.
In Scherben dann das Glas! und »nimmermehr«
Klingt mir als trübes Schlußwort hinterdrein.
Ich schreite still und ernst den Berg hinab,
Und vor mir, offen, gähnt mein hungrig Grab.
»Der Herr Professor hat sich wegbegeben.«
Gut, Bertouch; auch den Quäler bin ich los!
Zünd mir die Lichter an; von meinem Leben
Will ich dann träumen, meinem Schicksalslos,
Gesichte haben, in den Lüften schweben:
Die Geister kommen aus dem Wolkenschoß.
Geh nun zur Ruhe, Treuer, gute Nacht;
Zu frischem Tage sind wir bald erwacht.
Wo sind die Sterne? Ferne Blitze lohten,
Ich atmete in schwachen, matten Zügen,
Bedrängt vom Odemstrom der Wetterboten.
Erwartungsvoll, daß mich die Götter trügen
In eines Traumes bunt verschlungne Knoten,
Trank schlaflos ich aus der Erinnrung Krügen.
Und in die Türe treten zwei herein,
Die müssen oben aus dem Himmel sein.
Narzissen hält die eine in der Hand,
Sie trägt ein langes violettes Hemd;
Die andre drückt sich Lilien ans Gewand,
Ans lange, schwarze. Beide sind mir fremd.
Als hielte sie gemeinsam fest ein Band,
So stehn sie da, leicht Arm an Arm gestemmt.
Und beide sehn mir lächelnd ins Gesicht,
Seltsam umstrahlt von blauem Phosphorlicht.
»Du kennst mich nicht?« sprach leise erst die eine.
Die andre: »Hast du mich so schnell vergessen?«
Da sprangen meine Teckel auf die Beine
Und kläffend hoch an beiden, wie besessen
Vor Freude. Drauf die erste: »Und La Reyne
Ist tot? Wie würde die sich an mich pressen!«
Das Tier vergißt genossene Liebe nie,
Der Mensch ist undankbarer als das Vieh.
Leicht über ihren Häuptern, glanzumflogen,
Verwölbten sich die Lilien und Narzissen
Zu einem reizenden gotischen Blumenbogen.
Und immer leuchtender aus Dämmernissen
Sah ich den Schautanz Serpentine wogen;
Mir aber drückten Zentner mein Gewissen.
Sie schwanden, und aus Lüften klang ein Klagen:
Wir haben mit dir einst dein Leid getragen.
Ich streckte meine Arme aus: Bleibt hier,
Vergebt mir! Seht, heiß blutet meine Wunde.
Was sind die Erde und der Mensch auf ihr,
Sagt, sagt es mir in dieser stillen Stunde!
Kocht alles nur in ewiger Lebensgier,
Kocht ewiges Verderben nur im Grunde?
Winkt uns kein Palmenwald nach all den Qualen?
Verfaulte Reste nur, vergossene Schalen?
Und Flügel fühlte ich, und ihnen nach
Flog ich empor in reinere Regionen,
Fand mich auch bald als Ariel in mein Fach,
Als kennt ichs seit undenklichen Äonen;
Und strich umher nun unter einem Dach
Mit Cherubim und sittsamen Dämonen.
Der Teufel freilich nähm mich Huckepack
Und steckte mich in seinen Feuersack.
Doch rascher noch als er schöss ich koppheister,
Säh Satanas ich um die Ecke biegen.
Im Äther tumml ich mich wie selige Geister,
Lass wie der Vampyr mich auf Stürmen wiegen,
Und bin befreit von allem Schmutz und Kleister,
Und kann mich an die Sonnenschultern schmiegen:
Ich bitt dich flehentlich, Herr Zebaoth,
Schick mich nicht wieder weg in Not und Kot.
Dort unten schwankt die Seele hin und her,
Bald will sie dies, bald will sie das beginnen,
Bald sich verschwistern mit dem Strahlenmeer,
Aus Lebensüberdruß sich selbst entrinnen,
Sich wütend stürzen in ein Faß voll Teer,
Bald wieder heilige Himmelshemden spinnen.
Ich bin des ewigen Zwiespalts mir bewußt,
Echt deutsch, ein Grübler selbst an Gottes Brust.
Der Wind, der alte gute Püsterich,
Pfiff einen Kameraden mir zur Seite.
Wer warst du, bist du? frag ich; kenn ich dich?
»Titus Labienus gibt dir das Geleite,
Cäsars Hetman und Bruder Liederlich.«
Verräter, rief ich, scher dich weg ins Weite!
»Nur sacht,« erwidert er, »mit deiner Schere;
Sieh schnell hinunter, dort sind seine Speere.«
Und durch den gallischen Urwald sah ich gehn
Den göttlichen Julius an des Heeres Spitze,
Und sah den langen hagern Hals ihn drehn,
Und seine Augen schossen kalte Blitze.
Die Schiene ließ die nackten Kniee sehn,
Den Griechenhelm schob er zurück vom Sitze;
Ein Lagermensch, breitknochig, häßlich, wild,
Nie war er wählerisch, trug ihm den Schild.
Laterna magica – ein Lichtstrahl zuckt,
Und Schatten schwanken auf den Wolkenwänden;
Urwald und Römerheer sind weggeschluckt
Von bunten Strahlenwirbeln, die mich blenden.
Das Glanzgeschiebe um mich ruckt und ruckt,
Bild prallt auf Bild im Dunst; wohin mich wenden?
Ich lasse mich vom Wind noch höher blasen
Und seh manch Heldenstücklein unten rasen.
Bild: Caterina Sforza im Gefechte.
Von ihrer Brut den Jüngsten in der Linken,
Schwingt hoch den Flamberg die empörte Rechte.
Den Zaum im Zahn, sie will nicht untersinken,
Löst sich im Kampfe ihre rote Flechte
Und fließt aufs Panzerhemd wie Feuerblinken.
Nun, Borgia, pflück dir Rosen, wenns dir glückt,
Sonst hat sie dir die Rosen weggepflückt.
Caesar Borgia, wie heißen deine Waffen?
Erdrosselung, Gift, Dolch: das sind die drei.
Siehst du die Wunden deines Bruders klaffen?
Wer war der Mörder? Wer war mit dabei?
Ließ Eifersucht Juan Gandia hinraffen?
Hörst du Lucrezias, eurer Schwester, Schrei?
Incest? Zwei Brüder Borgia im Besitz?
Wars des Giovanni Sforza Racheblitz?
Duca di Gandia: Mondhell war die Nacht,
Die Maske hinter dir auf deinem Pferde
Flüstert ununterbrochen: Herr, gib Acht!
Da springen plötzlich Bravi von der Erde.
Neun Messerstöße, Gurgelschnitt. Vollbracht.
Und der, der sank, ist ledig aller Fährde.
Weg alles. Leer der Platz. Ein Käuzchen fliegt,
Wo einsam jetzt im Blut der Herzog liegt.
Weiter. Am Tiber huscht ein Kerl. Er hält.
Dann einer, der am Strick ein Maultier führt,
Dem eine Last nach beiden Seiten fällt:
Kopf, Arme rechts, die Beine links verschnürt.
Und wo der Kehricht sich dem Strom gesellt,
Ist bald die Leiche mit hineingerührt.
Der rote Mantel löst sich, schwimmt, hell, grell;
Durch nachgeworfne Steine sinkt er schnell.
Wer war der Mörder? Nie wards aufgeklärt.
Nur Alexander Sextus hats gewußt,
Doch niemals hat sein Schmerz Einblick gewährt,
Er trug ins Grab das Schweigen seiner Brust.
Nun, Cesare, hat dich der Mord beschwert?
Wars ein Orsini? Blöder Fragenwust.
O du genialer Unmensch, Gott und Tier,
In deinem Wappen weidet stur ein Stier.
Lucrezia Borgia, hätt ich dich gekannt!
Voll Anmut mitten drin im Satanskessel,
Flohst du an einen fernen Künstlerstrand
Und schmücktest frauenhaft Ferraras Sessel.
Weshalb bist ewig du von uns verbannt?
Weshalb erlöst dich niemand aus der Fessel?
Ich wills dir sagen: Das ist tief der Grund:
Wir Menschen sähn dich gern im Höllenschlund.
Wir Menschen: weil wir einen haben müssen,
Der unsre Schuld, für uns, zu tragen hat.
Frau Fama hilft uns, und mit Judasküssen
Verdammen wir ihn in die Sündenstadt,
Damit wir uns, lammgleich, in Erdgenüssen
Scheinheilig wiegen auf dem Lilienblatt.
Ein grauenhafter Zug in unserm Wesen;
Zwar ist das im Gesetzbuch nicht zu lesen.
Laterna magica: Napoleon!
Gelb, mager, Römer wie zu Rivoli.
Ein Maultier ist einstweil sein Purpurthron:
Sankt Bernhard! Schwindelnde Gebirgspartie.
Italien hat er in Gedanken schon,
Sein Genius träumt, und Traum ist Poesie.
Am Abgrund zieht er lächelnd seine Bahn:
Schauderndste Tiefe, höchster Kaiserwahn.
Ein neues Bild: Die Königin Luise.
Du herrliche, du reine deutsche Frau,
Ich seh dich auf der blutgetränkten Wiese,
Das Vaterland und seinen Tränentau.
Was sollt es noch, wenn ich dich weiter priese,
Wir kennen alle deinen Wert genau.
Das aber, Heilige, war dein höchstes Geben:
Dein Sieg im Kampf mit dem gemeinen Leben.
Und noch ein Bild: Prinz Louis Ferdinand.
Genialer Prinz, du rittest jung ins Sterben,
Dein Lebenskrug fiel früh dir aus der Hand,
Aus vierzehn Wunden höhnten vierzehn Scherben.
Wie, wenn dich nun des Schicksals Gängelband
Gnädig entrissen hätte dem Verderben?
Wärst du der Sonne in den Kranz geflogen?
Hätt dich die Hölle in den Schlund gesogen?
Laterna magica: Der Ozean wühlt
In langen, langen Wellen unter mir,
Ein fremder Ozean, der nichts umspült,
Leer, einsam, ohne Fisch und Fabeltier.
Es dämmert, donnert; hab ich Angst gefühlt?
Was da! Tief unten wogt, grad im Nadir,
Ein Panzerschiff, System Drakunkulus,
Ich sah ein Weltmeer auf dem Sirius.
Laterna magica: Ein freundlich Städtchen
In Schleswig-Holstein. Mondschein. Sonntagnacht.
Vom Tanz führ ich nach Haus das bleiche Gretchen,
Der heiße Sommertag hat Ruh gemacht.
Wos dunkel ist, küss ich das liebe Mädchen,
Das Mädel mich. Wir nehmen uns in Acht,
Denn viele Menschen, leider, sind noch auf
Und hindern unsrer Liebe letzten Lauf.
Wir sind am Ziel. Du, Kleine, ich bleib hier;
Die Mutter schläft, komm doch noch mal heraus.
»Nein, nein, das geht nicht; nein, mein Jaromir.«
Och was! man zu! es sieht uns keine Maus.
»Ach nein, die Mutter! ich hab Angst vor ihr.«
Dann schleich ich hinterdrein dir in dein Haus.
»Das geht nicht, nein; na warte, ich will sehn;
Vielleicht, ich komme, ja, bestimmt, um zehn.«
Glock zehn, Glock elf, Glock zwölf, Glock eins, Glock zwei,
Herrliche deutsche Vollmondsommernacht.
Im Garten einer Villa, bis Glock drei,
Verloren wir uns und sind aufgewacht
Von Orgelton und Trauerlitanei,
Und aus dem Schlößchen wird ein Sarg gebracht.
Sechs Männer tragen langsam ihn und schwer,
Ein einzelner schwankt schluchzend hinterher.
Wir haben hinter Rosen uns versteckt,
Die Nachtigallen fangen an zu schlagen;
Vorsichtig haben wir den Hals gereckt,
Das Mädchen schauert, will mich zitternd fragen,
Die Blumen hat ein Flüsterwind geweckt,
Es dämmert, heller, es beginnt zu tagen.
Die Morgenröte spielt sich in den Traum,
Beleuchtet über uns den Lindenbaum.
Und, ein verschobnes Herz, ein Lindenblatt,
Hellgrün, voll Tau, tropft auf die Bahre nieder,
Die ohne Schmuck ist, keine Zierde hat.
Und greller sticht Jasmin hervor und Flieder;
Der Sarg, die Männer sind schon in der Stadt;
Die Sonne steigt, die Lerchen jubeln wieder.
Komm, Mädchen, laß uns weggehn; frisch und rot
Ist unser Leben, welk und weiß der Tod.
Hoch, Freunde, hoch die hochgeschürzte Lust!
Der Walzer wirbelt und die Röcke fliegen!
Die Geige kreischt! Juchhei aus voller Brust!
– – – – – – – – – – – – – – –
Zwei Mörder schleichen: Herbst und Winter siegen.
Ich bin des Alters plötzlich mir bewußt,
Ein unabsehbar Schneefeld seh ich liegen.
Und ein Soldatenlied klingt fern mir her:
Schön ist die Ju-u-gend, sie kehrt nie mehr.

Zehnter Kantus: Unsre liebe Frau ob der Sintflut.

Verwünscht! Nimmt denn dies Einerlei kein Ende?
Will die Ottave mich zu Grabe läuten?
Verfluchte Muse, bändige deine Hände!
Was soll der ewige Klingelklang bedeuten!
Du häufst mir Bände stapelhoch auf Bände,
Daß ich mich schämen muß vor Land und Leuten.
Ich mag nicht mehr, ich hasse den Parnaß!
Und richtig zieht mich schon das Tintenfaß.
Doch plötzlich steh ich wie der Marabu,
Auf einem Beine, finster, sehr nachdenklich;
Es sträubt mein Schopf sich, wie beim Kakadu,
Hahhh! ein Gedanke! göttlich! überschwenglich!
Jetzt nur den Reim! o komm, du alte Kuh!
Nanu? Mir wird so bänglich, so bedränglich.
Den Reim, den Reim! My kingdom for a Reim!
Ich krieg ihn nicht; da kleb ich schön im Leim.
Das ist denn doch! Bertouch! Den Wagen vor!
Vielleicht find ich, rumplum, den Reim bei Pfordte.
Da feuchtet mir der Pommery den Humor,
Für meine Leber just die beste Sorte.
Er schickt mich an den Himmelsrand empor,
Er treibt in Hamburg mich an sanfte Orte,
Zum Beispiel ins Theater, und uijeh:
Nachher natürlich chambre separee.
Wie schade, daß Herr Wolff in Schleswig ist;
Wär er in Altona, dem wackern Städtchen,
Dort war er früher einmal Belletrist,
Umgehend brächt ich ihn zu hübschen Mädchen,
Ich brächt ihn hin, seis mit Gewalt, mit List,
Und ließ ihn spinnen da sein artig Fädchen.
Ich wette aber, daß er mir entwischte,
Sein »Lied der Treue« mir dafür auftischte.
Bei Leibe nicht: das wäre zu entsetzlich!
Da bleib ich lieber doch für mich allein.
Denn seine »Werke« sind nicht sehr ergetzlich,
Die Langeweile gähnt zu viel hinein.
Auch ist mein armes Hirn nicht unverletzlich,
Drum Vorsicht! es erläge sonst der Pein.
Die Rechnung, bitte. Auf! Ins Stadttheater!
Sie spielen Tütenmeiers Urgroßvater.
Na schön. In Poggfred endlich sitz ich wieder.
Wie frisch der Morgen nach der lustigen Nacht.
Die schnelle Fahrt. Herrlich, wie auf und nieder
Der Nebel stieg und fiel. Und dann die Pracht
Der Sonne. Und die hellen Lerchenlieder.
Die haben mich ins alte Gleis gebracht.
Ausleben, Mensch! Ausleben, ungemessen!
Doch sollst du nie den Lebensernst vergessen.
Der Ernst des Lebens. Furchtbar ist sein Schweigen,
Wie starrt es dich aus allen Ecken an:
Dein läppisch Tun, dein feiges Niedersteigen
In Schlamm und Schmutz, der roh dich überrann.
Bleib aufrecht, daß sie nicht mit Fingern zeigen:
Seht den! er ist nicht mehr sein Steuermann.
Gib Acht! Besinne dich! Trag deine Stirne
So unbefleckbar wie die Gletscherfirne.
Doch wir sind Menschen. Und von neuem fallen
Wir von der eisigen Höhe immerfort
Zurück ins Tal in arge Pantherkrallen.
Ach, dieser Pantherkrallen sanfter Mord.
Hörst du der Bestie Wutgeschrei verhallen?
Du kämpftest, siegtest! und den Schreckensort
Verläßt du, aufstrebend in reine Sphären.
Wie lange wird dein Aufenthalt dort währen?
Wahrhaftig! meine Trägheit ist bezwungen.
Du, Fraueuzimmer du, was willst du denn?
Ein Ritter, hab ich frisch mit dir gerungen.
Gehörst du, Muse, zu den Furien?
Na, meinetwegen! Also losgesungen!
Womit willst du mich heut belästigen?
»Ein Deich, ein Abschied, Sintflut, Erdenruhe,
Zuletzt zwei kleine Kinderfausthandschuhe.«
Lautlose Stille drückt den Meeresspiegel,
Der unabsehbar, Hochflut, vor mir gleißt,
Worin sich, wie in ungeheuerm Tiegel,
Flüssig Metall zu weißem Schilde schweißt.
Die Sonne hängt, ein großes goldnes Siegel,
Am Himmel und verwahrt den Großen Geist.
Am Abend schmilzt sie in die See hinab,
Dann drückt der Mond sein Petschaft auf ihr Grab.
Ich stehe auf dem Winterdeich und schaue
Auf diesen grenzenlosen toten Frieden,
Und schau hinauf ins unbegrenzt Blaue,
Wo Zeus einst runterschmiß die Titaniden;
Ich hätt es ansehn mögen, dies Gehaue,
Das war gewiß kein einfach Seifensieden.
Mein Auge wendet sich ins Inselland
Und wird durch einen Eilwagen gebannt.
Er fährt in grader Linie auf mich her,
Auf klinkerhartem Wege rollt sichs gut;
Ah, à la d'Aumont! Vornehm! »aber sehr«!
Die raschen Pferde sind von edelm Blut.
Das glitzert wie ein Diamantenmeer:
Geschirr und Schecken, Speichen, Hut und Glut.
Ein Dämchen lehnt sich in den Sitz bequem,
Ihr weißes Spitzenkleid ist ein Poem.
Noch immer steh ich auf der breiten Krone,
Der Viererzug kommt näher, näher, hält;
Hält unter mir. Ich steige wie vom Throne,
Und starre, stiere. Ist mein Blick verstellt?
Ein Märchen? Ob ich in Golkonda wohne?
Ja, Mädchen, du? Woher in aller Welt?
Sie springt heraus, eh ich mich noch besann;
Weit unterwegs ist schon das Viergespann.
Wir gehen beide auf den Deich nach oben,
Langsam, ich hab sie fast hinaufgetragen,
Und stehen tief in Seligkeiten droben
Und fühlen sprachlos unsre Herzen schlagen.
Da spricht sie traurig, sommerglanzumwoben:
»Ich muß für immer Lebewohl dir sagen.«
Ich schwieg. Dies Wort entschied mein ganz Geschick.
Noch seh ich ihren langen Schmerzensblick.
Einst schenkt ich ein Paar kleine Fausthandschuh
Aus Mitleid einem frierenden Bettlerkinde,
Und hörte lächelnd seinem Stammeln zu
Im eisigen Dezemberweihnachtswinde.
O dieses Kindes Himmelsblick! O du,
O hätt ich so von dir ein Angebinde,
Mit solchen Augen, solchem Wimpernsaum,
Von dir, von dir solch einen Unschuldstraum.
Sie löste sich von mir mit bangen Händen,
Ich hob die Stirn und starrte in die Weiten.
Da seh ich einen Kahn mit schwarzen Wänden,
Ein schweres Elbfahrzeug durchs Wasser gleiten.
Ganz ruhig schwamm es in den Glitzerbränden,
Delphine spielten ihm zu beiden Seiten.
Es war so breit wie eine Kohlenschute
In Hafenstädten auf der Speicherroute.
Plump, ungeschickt, aus düsterm Stamm gezimmert.
Zwölf ernste Rudrer schlugen gleichen Schlag
In langen Pausen. Wie das leise wimmert.
Ein hagrer Mann, der Führer, stand am Stag,
Ein wenig hat sein gelber Bart geflimmert,
Und schaute finster in den holden Tag.
Ein Taburett prunkt hinten, ein Geviert,
Mit blauem Band und Goldquasten verziert.
Der finstre Mann steigt aus, und an die Hand
Nimmt er mein Alles, führt sie in den Prahm,
Und gibt Befehle. Und er stößt vom Strand.
Ich will ihr nach, nach! ich bin gliederlahm,
Ich bin gebunden wie mit Hexenband,
Ich bin betäubt, zerknirscht von Scham und Gram.
Indessen währt die Fahrt, ein Trauerzug,
Der mir das Liebste in die Ferne trug.
Aus all dem dunklen Holz, aus Bank und Bord,
Aus jenen dreizehn nächtigen Gesellen,
Erglänzt sie mir auf ihrem Sessel dort.
Der rote Schirm, das weiße Kleid erhellen
Um sie den Platz wie einen Gnadenort;
Der Zephyr schickt ihr seine Fächerwellen.
Die dreizehn ziehen klagsingend die Bahn;
Klar, glockenrein liegt drüber ihr Sopran.
Sie schwindet. Und wo Meer und Himmel sich
Verbinden, klingt noch immer der Gesang
Von ihr, von ihr! und klingt so feierlich,
Bis auch der letzte liebe Ton verklang.
Nun spielt ein Wellchen, hart am Uferstrich,
Das flüsternd, fein am Deichring klatscht entlang.
Ich fiel ins Gras und barg mein Angesicht,
Mir schwanden Sonnenlicht und Sinnenlicht.
Als ich erwachte, ging die Mitternacht,
Nicht Sterne waren, nicht der Mond zu sehn,
Und eine Schwüle lag mit starker Macht.
Ich sah mich um: Seltsames muß geschehn:
Es zuckten Flämmchen auf der See, wie Lichter,
Wie Irrlichter, bald kommend, bald im Gehn.
Wie Oriflammen, lebende, bald dichter,
Bald weiter von einander, sprangen, schossen
Sie in die Höh, bald umgekehrt wie Trichter.
Sind sie verwesten Seeblumen entsprossen?
Nun teilen sie sich ab in gleiche Räume,
Gestickt ins Meer, und treiben ihre Possen.
Die See gerät in leichte Wirbelschäume.
Ganz unvermittelt ist es Tag geworden,
Ein einziger Blitz zerriß die Nebelsäume.
Von Süden kam er her und fuhr nach Norden,
Und plötzlich drang die Sonne prall und grell
Heraus, als wollt sie mir die Augen morden.
Und heult es nicht von fern her wie Gebell?
Ein böser Sturm stößt wütend in die Wogen
Und schimpft und zetert wie ein Zaungesell.
Und ein Koloß von Welle kommt gezogen,
In einer Länge, turmgroß, und die Kralle
Fällt nicht, bleibt immer gleichmäßig gebogen.
Hoch über diesem ungeheuern Schwalle
Hob in der Mitte sich ein Drachentier,
Mit endlos dünnem Hals, voll Gift und Galle.
Im offnen Entenschnabel prahlt die Zier
Gräßlicher Zähne. Seine Vipernzunge
Streckt sich heraus mit mörderlicher Gier.
Am Deiche hebt die Welle sich im Schwunge,
Und stürzt und platzt, und nieder kracht der Lurch
Und bäumt sich noch einmal zum letzten Sprunge
Und reißt mein Schleswig-Holstein mittendurch.
Wo schwimm ich denn? In welchem wilden Wasser?
Ich seh ein bergig Eiland, schroff und klein:
Da muß ich hin, ich armer pudelnasser.
Da steht ein hoher Turmbau, ganz allein;
Gewaltig ragt er auf im festen Land
Und spottet der Zerstörung, Stein auf Stein.
Als triefend ich erstiegen Sand und Strand,
Erreich ich ihn, der Weg war nicht zu weit,
Und dring ins Tor, wo ich viel Menschen fand.
Die retteten sich aus der Flüssigkeit;
Juristen warens, Büttel und Minister,
Die fanden hier selbst noch zum »Schreiben« Zeit.
Erlasse wurden aufgesetzt, Register
Und Titel angelegt: »Es hat die Flut
Sich nunmehr zu sistieren!« Thank you, Mister!
Das Wasser aber dachte absolut.
Zuletzt schrieb ein Kanzleirat: »Nunmehr hat –«
Da hat beim Wickel ihn die Wogenwut.
Hinweg, hinweg! Wo ist ein Ararat!
Und wieder schwimm ich, dräng ich mich durch Leichen,
Durch Trümmer jeder Art, die mich umringen,
Um endlich sichern Boden zu erreichen.
Ich kämpfe, kämpfe. Zu! Es muß gelingen!
Und meine Rechte greift nach Weidenzweigen,
Ich kann den Fuß auf eine Insel schwingen.
Ein dichter Nadelwald mit vielen Steigen
Empfängt mich. Mühsam kletter ich hinan
Die Höhen, die sich bucklig vor mir zeigen.
Rings, überall ein einziger großer Tann.
Darin stieß ich auf eine Pyramide;
Die hat gebaut der älteste Tyrann.
Würfel auf Würfel! Fest, wie Glied zu Gliede,
Nach oben sich verjüngend, treppengleich,
Und auf der höchsten Stufe wohnt der Friede.
Ich überblickte bald mein Marmorreich,
Ich konnte auf die Wipfel niederschauen,
Ein ausgedehntes Föhrenwälderreich.
Fern drüberweg sah ich die Wasser grauen,
Die langsam steigen, enger mich umschweifen;
Neptun hält mich in seinen feuchten Klauen.
Die Abenddämmrung kam. Hellgelbe Streifen
Säumten den Horizont. Ein Adler flog
Und setzte sich zu mir, ganz nah, zum greifen.
Wie sich der Königsvogel an mich bog!
Ich sollte meinen Mut nicht sinken lassen!
Die Nacht brach an, ein stummer Nekrolog.
Jetzt will ein einziger Brand die Welt umfassen.
Wild lohte eine Feuersbrunst empor,
Beleckte fast schon meine Steinterrassen.
Wer steht denn neben mir? zischt mir ins Ohr:
»Hat diese Plattform nicht für dreie Platz?«
Es ist Freund Hein; er grüßt und neigt sich vor
Und nennt die Sintflut eine Hasenhatz,
Sein Knochenfinger zeigt nach einer Stelle,
Und höhnisch klingt das Wort des Nimmersatts:
»Siehst du Atlantis tauchen in die Welle?«
Und Tod und Adler schwanden in die Glut.
Da kam, wie letzter Trost, die Morgenhelle.
Ich stand allein in dieser Höllenwut,
Nur sang ihr Lied auf einer Tannenspitze
Froh eine Drossel, wie in treuster Hut.
Um mich: Qualm, Strudel, Blasen, Gischt und Blitze.
Wohin, wohin mich wenden? Ich bin matt.
Da steur ich einem Felsen zu im Schaume.
Find ich hier endlich eine Ruhestatt?
Scheu halt ich Umschau vor dem engen Raume:
Auf einer Seite kämpften zwei Athleten,
Zwei Löwen würgten sich am andern Saume.
Auf eine Schlange wär ich fast getreten;
Die bog sich über eine Zacke nieder
Und schlang die Löwen erst, dann die Athleten.
Und wieder stürzt ich mich ins Meer, schwamm wieder,
Und landete auf einem öden Fleck,
Und reckte, streckte meine müden Glieder.
Zwei Menschen standen da in Tang und Dreck,
Die balgten sich um einen Affenknochen,
Mir wollte der Verstand stillstehn vor Schreck.
Es war um mich geschehn, wenn sie mich rochen.
Ein König war es, und ein Bettelmann,
Dem faul die Läuse durch den Schafspelz krochen.
Nun hielt der Hunger beide gleich im Bann;
Sie packten, schlugen sich auf Tod und Leben,
Daß mir der Frost durch alle Rippen rann.
Ich konnte mich vor Angst nicht mehr erheben,
Und fiel zurück und wurde lakenbleich,
Und wollte in mein Schicksal mich ergeben.
Vor meine Sinne schoß ein Farbenreich.
War ich auf tiefsten Meeresgrund gesunken?
Lieg ich in Algen eingebettet, weich?
Rochen beschnüffeln mich, Polyp und Unken,
Ein Haifisch schnappt nach mir, ich bin verloren.
Wo bin ich? Bin ich tot? Ich bin ertrunken.
Da schimmert was! Es saust mir in den Ohren!
Wie eine Blase wirbl ich hoch im Teich,
Und fühle lebend mich, wie neugeboren.
Es zieht die Kraft mich in ihr Eisenreich;
Die Höhen blinken, wo die Tiefe lag.
Ich wache auf, und lieg im Gras am Deich
An einem göttlich schönen Maientag,
Wo keiner denkt an Tod und Friedhofsruhe:
O Blütenschmelz, o Sonne, Finkenschlag!
Ach, Friede, Friede, Freude, Erdenruhe.
Ich bin ein Spökenkieker, das muß wahr sein;
An meiner Küste trifft sich das zuweilen.
Ich schau ins offne Meer, die Luft muß klar sein,
Da seh ich wunderbare Segel eilen.
Und wer nicht mit mir fühlt, muß ein Barbar sein;
Ich kann ihn nicht von seiner Prosa heilen.
Halloh! Schon wieder Stanzenwäscherei?
Hol doch der Teufel diese Drescherei.
An einem solchen schönen Frühlingsmorgen
Stand ich schon einmal hier an dieser Stelle.
Ich war noch jung, ich hatte keine Sorgen,
Für meine Schulden gab es eine Quelle:
Mein alter Levy mochte gern mir borgen.
Wie war ich oft in seiner Wechslerzelle.
Er liegt in Mainz, in Gott ruhend, begraben;
Ich hatte wirklich gern den alten Knaben.
Es war der herrlichste der Frühlingstage,
Der wunderlieblich die Schalmeien blies.
Es bleibt mir, ich beschwör es, keine Frage:
So denk ich mir das erste Paradies:
Noch fehlen Wunsch und Schmerz und Pein und Klage,
Noch fehlen Flinte, Tomahawk und Spieß,
Noch lieben Hund und Katze sich herzinnig,
Beim Lämmchen wohnt der Löwe biedersinnig.
Ich stützte mich auf meinen Stock und schaute
Auf diese schrankenlose Ozeanstille:
Kein Vögelchen, das sich zu fliegen traute,
Kaum wagt im Grase ihr Gezirp die Grille.
Da: hör ich recht? Ganz fern, wie Geisterlaute:
Kommen Najaden? Eine Meeridylle?
Ich sperre Mund auf, Augen auf und Ohr,
Und biege atemlos zur See mich vor.
(Chorgesang:)
Es klingt ein Knabenchor weither, weither,
Wohl über tiefe, tiefe Stromesbreiten;
Die Wikingharfe rauscht weither, weither
Erinnerung aus alten, alten Zeiten.
Doch Dein Gesang, hoch her, weither, weither,
Schwebt über Harfenton und Chor und Saiten.
Das Alles zieht, schwellend, weither, weither,
Wohl über stille, stille Wasserweiten.
Und näher schwillts. Und aus der Ferne graut:
Ein Schiff? Taucht eine Muschel auf? Ein Floß?
Ein Thron aus Laub und Rosen aufgebaut,
Voran fliegt königlich ein Albatros.
Inmitten, nackend, steht die schönste Braut,
Umringt von Amors Troß und Tulpensproß.
So naht sich, immer singend, mir der Zug,
Der zierlich meine heiße Sehnsucht trug.
Sie steigt, allein, ans Land und überreicht
Zwei Winter-Kinderfausthandschuhe mir,
Und lächelnd spricht sie und verneigt sich leicht:
»Dies letzte Angebinde schenk ich dir.«
Und wendet sich und geht, ich bin erbleicht,
Und tritt an Bord in ihre Blumenzier.
Die Fausthandschuhchen kosten grad drei Groschen;
Ob sie das sagte, ist in mir erloschen.
(Chorgesang:)
Es klingt ein Knabenchor fernhin, fernhin,
Wohl über tiefe, tiefe Stromesbreiten;
Die Wikingharfe rauscht fernhin, fernhin
Erinnerung aus alten, alten Zeiten.
Doch Dein Gesang, hoch her, hoch hin, fernhin,
Schwebt über Harfenton und Chor und Saiten.
Das Alles schwindet, zieht fernhin, fernhin,
Wohl über stille, stille Wasserweiten . . .
Ich bitt dich, Muse, olles Frauenzimmer,
Bist du zufrieden? He? Dann laß mich los!
Das ist ja Alles fades Versgewimmer,
Mir steckt im Hals ein großer Strophenkloß.
Entläßt du jetzt nicht deinen Stanzenschwimmer,
Dann werd ich endlich wirklich fuchsfurios.
Hurrje, mir tropft der Schweiß von Stirn und Haaren.
Den Wagen vor! Ich will nach Hamburg fahren.

Elfter Kantus: Die Leuchter.

In meinem Grabe hab ich heut gelegen
Den ganzen Tag. Stumm horchte die Natur,
Tief lag der Schnee ringsum auf allen Wegen.
Wenn nur ein Fuchs, wenn eine Krähe nur
Gekommen wäre durch den stillen Garten;
Er schwieg wie eine abgelaufne Uhr.
Kein Wind, kein Hauch. Und alles wie ein Warten,
Das nicht mehr Warten ist; es ist der Tod,
Um dessen Sense sich die Geister scharten,
Die unsichtbar, wie auf ein Machtgebot,
Geduldig, festgeschlossenen Auges schliefen,
Als hofften niemals sie ein Morgenrot.
Wenn meine Teckel nur im Traume liefen,
Als wären sie dem Rehbock hinterher
Und scheuchten ihn in dunkle Waldestiefen.
Der Himmel, überzogen kreuz und quer
Mit einem einzigen grauen Wolkenschleier,
Steht regungslos wie ein erstarrtes Meer.
Nun tritt die Dämmrung in die Trauerfeier;
Allmählich, nordisch, sinkt die schwere Nacht
Und frißt sich in die Erde wie ein Geier.
»Licht, Bertouch, Licht! Das Feuer angemacht!«
Ich klingle heftig. Und da hat er schon
Die schweren Schreibtischleuchter mir gebracht.
Licht stürzt sich wie von Gottes heiligem Thron
Durch meine Zimmer. Sonne, Mond und Sterne
Erheben sich für mich aus ihrer Fron.
Lebendig wirds in mir. In weite Ferne
Rückt mich wie über Zeit und Raum ein Sprung.
Es ist, als ob ich wieder fühlen lerne:
Die Leuchter brachten mir Erinnerung:
Wie lang ists her? Ah, Kirmes und Gedudel!
Ich war so knabenfrisch. Mein Herz, ein Quell,
Trug über Gold und Kiesel seine Strudel.
Spornstreichs mit Tralala und überschnell,
Das Leben wie ein junges Kalb genossen;
Wie Wind und Walzer war mein Naturell.
Den Liebesgöttern dient ich unverdrossen,
Vor schönen Frauen lag ich auf den Knien,
In jedes Mädel war ich gleich verschossen.
Glücklich und glücklos, wies der Tag verliehn:
Von Rosenketten allzugern umwunden,
Hab oft ich nachts aus Dornen aufgeschrien.
Der unglücklichen Liebe kahle Stunden,
Der Liebe auf den Strand geworfnes Wrack,
Ich habs, wie jeder Mensch, im Sand gefunden.
Was klingt mir da im Ohr? Ein Schabernack?
Mein Leuchter scheint die Arme auszubreiten.
Ein Orgelspiel? Äfft mich das Geisterpack?
Wo bin ich? Ach, in welchen Seligkeiten!
Ein unvergleichlich schöner Sommertag
Läßt seine Himmelswellen niedergleiten.
Des Luftzugs engelstiller Flügelschlag
Haucht über Gras und Beete seine Kühle
Und weckt viel tausend Rosen auf im Hag.
Und überall durchklingts im Stadtgewühle
Wie Lerchenjubel jede Menschenbrust,
Und selbst den Grämling stacheln Frohgefühle.
Zu klarem Denken wird Gedankenwust,
Die Seele führt den Geist zu Firnenplanen,
Das Herz entsetzt sich schier vor Liebeslust.
Vom blauen Äther hängen Seidenfahnen
Aufs grüne Blätterdach; im Teiche schnellt
Sich überwohl der Fisch aus seinen Bahnen.
So freut und weidet sich die ganze Welt.
Nur ich allein durchreite dies Entzücken
Mit tiefgesenkter Stirn, ich armer Held.
Ein schlechter Ritter, der auf Pferdesrücken
Sich Träumen hingibt und den Zügel schlafft
Und läßt den Gaul am Wegrand Gräser pflücken.
Ich steige ab. Und aus der Halfterhaft
Mag nun mein Tier sich selbst die Stalltür finden,
Ich geh zu Fuß auf meiner Pilgerschaft.
Die Sonne senkt den Lauf, die Stunden schwinden;
Versunken bleib ich immer wieder stehn
Und kann und kann die Qual nicht überwinden.
Verschmähter Liebe Qual. Unwürdig flehn
Mag ich nicht mehr. Mein Gott, wie halt ichs aus,
Daß du mich in die Wildnis ließest gehn.
Wo irr ich hin? Wie weit? Wo liegt mein Haus?
Ich such es, meid es, kann es nicht erreichen.
Bald macht die Nacht dem Tage den Garaus.
Wo bin ich nur? Die Wassertümpel bleichen,
Die ersten Sterne funkeln drohend auf.
Sind meine Leuchter da, die Gnadenzeichen?
Wer grinst mich an? Wer rennt um mich zu Hauf?
Hat mich des Wahnsinns Peitsche schon geschlagen?
Gestoßen wie von Furien ist mein Lauf.
Was blinkt das Lämpchen dort? Hör ich ein Klagen?
Aus dumpfen Mauern? Ach, es schweigt, es schweigt;
Ein Vogel hat den Ton wohl hergetragen.
Nun wieder ists, als wenn dort einer geigt,
Ein melancholisch Lied. Es ist verklungen;
Noch fern einmal, als wenns hinuntersteigt.
Mich friert; die ganze Welt ist frostdurchdrungen.
Taun nirgends denn die Veilchen vor mir auf?
Zum Kranze um dein schönes Haupt geschlungen?
Und ein Kapellentürchen tut sich auf.
Hinein! Zur mater dolorosa eil ich;
Wie tröstlich blinkt der Himmelskrone Knauf!
Und meine schweren Kümmernisse heil ich
Im Angesicht von Unsrer Lieben Frauen;
Auf Knien, in tiefer Andacht, Inbrunst weil ich.
Es gilt, das Allerheiligste zu schauen.
Der Kirchendämmer hemmt mir fast den Schritt,
Des Fliesenganges Echo macht mir Grauen.
Weit hinten steht, am Marmorrisalit,
Steht ein Altar mit welken Blumenkränzen,
Um den ein spärlich Lampenlabsal glitt.
Zwei große Leuchter, die wie Sterne glänzen,
Mit dicken Kerzen drin, die angezündet,
Rändern den schwarzen Tisch mit blassen Grenzen.
Und hinter diesen hellen Leuchtern kündet
Der Mutter Gottes und des Kindleins Bild
Das Wunder, das kein Sterblicher ergründet,
Das jeder Wunde schlimme Blutung stillt
Und sie beschützt mit einer sanften Decke,
Bis keine Quelle mehr des Schmerzes quillt.
Ich trete vor aus meinem Beichtverstecke,
Entwaffnet, wie sichs ziemt vor meinem Gott.
Da! Schlug ein Blitz ein, daß ich so erschrecke?
Was seh ich? Treiben meine Sinne Spott?
Ich wanke, wie geschubbst von einem Riesen,
Wie willenlos geschoben aufs Schafott.
Wer liegt da vor den Leuchtern auf den Fliesen?
Sie ists, die mir mein Herz in Stücke schlug,
Die mir den Weg der Einsamkeit gewiesen.
Ein Veilchenkranz schmückt, wie zum Frühlingszug,
Ihr schwarzes Haar, das um die bleichen Wangen
Verschleiernd bebt wie dunkler Schattenflug.
Die braunen Augen, tief voll Sehnsucht, fangen
Das süße Licht; fast sind sie ganz verdeckt,
Die weichen Wimpern zittern vor Verlangen.
Madonna hinterm Kerzenschein versteckt,
Erschimmert wie aus Paradiesesfluren,
Von keiner Erdensinnlichkeit befleckt.
Madonna vor den Leuchtern büßt die Spuren
Des schwachen Fleisches und der starken Triebe,
Wie sie gemein sind allen Kreaturen.
Doch beide bindet und vereint die Liebe.

Zwölfter Kantus: Fantasio Peregrin.

In meinem Lohholz lag er, an der Eiche;
Kühl durch die Stille plätscherte das Wehr,
Die Blätterschatten huschten auf der Leiche.
Wer war der Fremde, und wo kam er her?
Der sich, antik, den Dolch ins Herz getrieben.
War ihm der Lebensweg zu lebensschwer?
Wer waren seine Freunde, seine Lieben?
Kein Brief, kein Zeichen seiner letzten Stunde?
Doch! Auf dem Zettel da steht was geschrieben:
»Ich machte auf der Erde meine Runde,
Ich bin durch vieler Herren Land gezogen,
Ich sah nur stets die große Menschheitswunde.
Gleichgültig treiben Wolkenzug und Wogen.
Bringt auch die Schwalbe ab und zu den Frieden,
Nie baute sie an meinem Fensterbogen.«
Ich hätte gern den blutigen Ort gemieden,
Doch bannte mich die Pflicht; ich blieb und bog
Mich nieder zu dem Mann, der hier verschieden.
Um die gebrochnen offnen Augen flog
Und zitterte noch das verglaste Leid,
Der letzte Schmerz, der sie ums Licht betrog.
Still! Seine Seele floh ihr Pilgerkleid;
Ich sah, sie küßte seine weißen Wangen,
Bereit zum Fluge in die Ewigkeit.
Doch eh sie in die Ewigkeit gegangen,
Umschwebte sie den Ort noch, webernd, wehte
Auf einen Zweig, da saß sie wie gefangen.
Mir graute, denn es summte wie Gebete,
Als schwächte jeden Laut ein dichter Flor;
Ich hörte anfangs nicht, um was sie flehte.
Dann klang mirs immer deutlicher zu Ohr.
Es war kein Flehn, es waren ruhige Sätze.
Sie sang: »Leb wohl, mein edler Garde du Corps.
Das Leben gab dir alle seine Schätze:
Kraft, Mannheit, Schönheit, vornehme Geburt,
Des Reichtums goldbeperlte Fischernetze.
Was rittest du nicht fröhlich zum Buhurt?
Genossest nicht den Zufall deiner Rechte?
Was suchtest du nach Grund bei jeder Furt?
Ach! Grübelei zerfraß dein Hirngeflechte;
Beständig gabst du dich Gedanken hin,
Das machte dich vom Ritterherrn zum Knechte.
Die Schärpe, deines Muts Begleiterin,
Den Helm, den Küraß schobst du in die Ecke.
Und wem zu Liebe? Wonach stand dein Sinn?
Wie Don Quijote zogst du, armer Recke,
Ein Narr der Freiheit, über Berg und Tal,
Bis du, dein eigner Sklave, kamst zur Strecke.
Was trieb dich denn nach Spanien, Mann der Qual?
Da schoß Don Amor dir ins Herz den Pfeil,
Du aber warst ein tumber Parsifal.
Leb wohl, du zolltest deinem Fleisch sein Teil;
Die Erde wird dein Irdisches zerstören,
Ich aber schwebe auf zu meinem Heil.«
Die Seele wich; es wollte mich empören,
Wie schamlos sie von ihrem Bruder schied.
Muß selbst der Tod noch Sittenpredigt hören?
Verklungen war das sonderbare Lied,
Da schob sich vor die Sonne feuchtes Grau,
Ein plumper Nebel sank auf Rohr und Ried.
Ich kenn mein nordisch Wetter sehr genau,
Und hab mich dran gewöhnt; doch seit ich denke,
So schnell wie heute fiel noch nie der Tau.
Und immer dunkler wurde das Gesenke,
Bis Finsternis mich manteldicht umschloß.
Da plötzlich färbt ein Bild die Wolkenbänke:
Granada! Auf befranztem Berberroß
Seh ich Aïscha, Abul Hassans Kind,
Der Gotenfürstin Egilone Sproß.
Mit ihren schwarzen Haaren spielt der Wind,
Ein Stahlhelm schützt sie vor den Sonnenstrahlen,
Wie Schnee der Sierra gleißt ihr Brustgebind.
Ihr brauner Hals trägt reich an Milchopalen
Ein schwarzblau Band; die Arme sind geschmückt
Mit Saphirspangen, die den Himmel prahlen.
Die Menge neigt sich, bis zum Knie gebückt;
Ihr Zelter, Andalusiens Edelstute,
Bäumt auf, von seiner stolzen Last entzückt.
Plötzlich: Was giert sie unterm Eisenhute?
Die straffe Hand, weshalb? ergreift den Speer,
Der eben zierlich noch am Bügel ruhte.
Erspäht ihr Funkelblick ein Christenheer?
Ists Don Tellez, der sie zum Kampfe reizt?
Der fremde Don mit Augen wie das Meer.
Ists Liebe, ist es Ruhm, wonach sie geizt?
Ah, Weiberlaunen! Wie die Lippen spielen!
Wie sie sich nun graziös im Sattel spreizt!
Sie lacht! Die märchennächtigen Augen zielen,
Nach wem? Sie lacht, sie wiegt sich, und sie lacht,
Und galoppiert auf bunten Krokusdielen.
Sie galoppiert durch ernste Lorbeernacht,
Durch frohe, frühlingstolle Mandelbäume;
Der Gießbach stürzt durch Goldorangenpracht.
Sie fällt in Schritt, und fällt in Traum und Träume;
Verheißung, wem? Wem gilt ihr Mondesblick,
Nach Tag und Tau und Abendrotgesäume?
Venus geht auf; es knüpft sich ein Geschick.
Lautlos. Es lärmen nur noch die Fontänen.
Träg blinzelt Sphinx hinauf ins Sterngestick . . .
Ich bin nicht mehr im Land der Sarazenen:
Mein Frösteln mahnt, daß ich in Poggfred bin,
Wo sich die dicken, dummen Nebel dehnen.
Die Sonne, eine matte Siegerin,
Dringt mühsam wieder durch die Wolkendeiche;
Ich nehm ihr Licht mit Dank und Ruhe hin.
In meinem Lohholz lag er, an der Eiche;
Wer mag der Fremde sein, wo kam er her?
Die Blätterschatten huschten auf der Leiche.
Kühl durch die Stille plätscherte das Wehr.

Dreizehnter Kantus: Unsterbliche auf Reisen.

Es kam der Herbst, des Sommers Gluten bleichen;
Blatt fällt auf Blatt, vom Spiel im Winde müd,
Und sinkt, Addio! zu den andern Leichen.
Viel tiefer als des Frühlings sanfter Süd,
Als seine Lämmer, Veilchen, Nachtigallen,
Dringt mir der Herbst zu Sinnen und Gemüt.
Die Wälder stehn wie lauter Todeshallen,
Drin Sterbelieder klagen und verklingen:
Zu Ende gehts mit deinem Erdenwallen.
Ah was, mein Herz, sei taub dem trüben Singen!
Der Sommer ging, du bleibst und fliegst aufs neue
Im nächsten Frühjahr mit den Schmetterlingen.
Noch bist du jung, noch fühlst du keine Reue,
Wie sie in düstern Klosterzellen leidet;
Noch trotzt in dir die alte Lebenstreue.
Noch bist du viel vom Plärrertroß beneidet,
Weil Gram und Elend dich nicht niederzwangen,
Dein Tanzfuß dich von ihrem Plumpschuh scheidet.
Halloh, ich will heut keine Grillen fangen.
Bertouch! Den Wagen vor! Ich will zum Deich!
Ans Meer treibt mich ein ungestüm Verlangen.
Mir winkt mein ewig neues Wasserreich.
Schnell ziehn mich meine Orlow-Traber fort,
Es klopft ihr Huf im Gleichklang auf den Klinkern,
Die Mähnen schüttern Beifall meinem Sport.
Ein leiser Zuruf, und in immer flinkern,
Graziösern Sätzen laufen meine Stuten;
Geschirr, Laternen, Lack und Räder blinkern.
Von Koog zu Koog, und endlich sind wir »buten«
Im letzten angekommen, wo der Deich
Wie Festungsbollwerk widersteht den Fluten.
»De Butendiek,« der See-, der Winterdeich,
Der Hort der fetten Marsch, der goldnen Ähre,
Legt zwischen Land und Meer ein Zwischenreich.
Er ragt am Himmelsrand in Luft und Leere,
Wie eine lange Mauer scharf gerissen,
Und doch im Schleier einer Wundermäre.
Und immer näher eil ich den Kulissen
Des seltsamen Theaters Terramare,
Wo Land und Meer zugleich die Flaggen hissen.
Was zeigt sich da? Ich komme nicht ins Klare:
Ein Riesenedelweiß an seiner Lehne?
Nein, Gänse sinds, die liebe Tafelware.
Der erste Regenpfeifer auf der Szene.
Tütvögel fliegen scheu und klagend auf;
Schon riecht das Wasser her. Sieh, wilde Schwäne!
Ich hemme meiner Pferde heißen Lauf,
Der Wagen hält, ich springe aus dem Sitz.
Die Krone winkt. Ich stehe obenauf.
Holl Ebb! Nur ferne, fern ein Wellenblitz;
Holl Ebb, so weit wie meine Augen reichen.
Im Vorland Schafe und der Schäferspitz.
Und Schlick und Schlamm. Die Krabbenfischer streichen
Mit ihren Netzen langsam durch die Prile;
Ihr Schiffchen gibt der See ein mürrisch Zeichen.
Die Möwen necken sich in zänkischem Spiele,
Die Buhnen strecken sich wie Finger vor,
Der Ebbe Sinken ist am letzten Ziele.
Der ewige Weststurm knattert mir ums Ohr;
Musik des Windes! Odins Gruß und Kraft!
Neptun, Tritonen singen mit im Chor.
Die Schwalbe flitzt vom Land her meisterhaft;
Als wollt sie mir die grauen Haare stutzen,
So nah macht sie mit mir Gevatterschaft.
Doch hui, der Wind wird gleich die freche putzen;
Pfeilschnell wirft er sie wieder hintern Deich,
Bis sie von neuem anfängt aufzutrutzen.
»Bischuern« regnets. Sonnenschein zugleich.
Und überm Ozean ein Regenbogen,
Erst voller Farben, bleicher dann und bleich.
Und unter ihm, weit, weit, die grauen Wogen,
Im Gischt, im Kampf die wilden weißen Kämme,
Und alles ist von Glanz und Gold umzogen.
Ein rotes Segel tanzt in dieser Schwemme,
Ein großes weißes Segel tanzt dazu,
Grell fällt ein Streifen aus der Wolkenklemme.
Helldunkel, dunkelhell und ohne Ruh,
So tanzen dort die zwei im feuchten Saal;
Das eine Boot blitzt wie ein Silberschuh.
Aus schwarzen Ballen noch ein schräger Strahl,
Dann feiern Sturm und Regenguß ein Fest,
Die Fische halten ihre Königswahl.
Die Sonne hat ein wenig Hausarrest.
Da endlich sprengt sie wieder den Verschluß:
Genug! Vom Tag gehört jetzt mir der Rest!
Dem Abend schenkt sie ihren Scheidekuß,
Der Wind entschläft, ein Lüftchen kraust die Wogen;
Im Süden spannt sich, nun Ade Verdruß,
Just mitten übern Deich der Regenbogen.
Weit, weit in einer einzigen graden Flucht,
Liegt jetzt vor mir nach Norden und nach Süden
Der Winterdeich; nirgends die kleinste Bucht.
Und wenn mich auch die Engel vor sich lüden
Und mir bewiesen: »sieh, der Deich läuft schief,«
Er streckt sich kerzengrad von Nord nach Süden.
Doch unten, unterm Regenbogen tief,
Ganz fern im Süden: quirlt dort eine Masse?
Lebendig wirds, wo eben alles schlief.
Was krabbelt da? Bald eine schwarze? blasse?
Verschwommne? klare Richtung? Seltsamkeit?
Was nähert sich auf meiner schmalen Gasse?
Nun schrumpft es ein, dann wird es wieder breit.
Sinds Menschen? Tiere? Wie sichs vorwärts schiebt!
Was springt denn vor? Fast wie zum Flug bereit!
Nun quetscht sichs eng zum Ball. Dann wie zersiebt.
Ich werd nicht klug aus dieser Quallengruppe.
Wie alles wieder auseinander stiebt!
Da springt ein Panther aus der Nebelsuppe.
Was? Endlich wird es meinen Sinnen klar:
Natürlich eine Tier- und Tänzertruppe.
Zwei Männer. Ihnen folgt ein Löwe gar
Und, hungerdürr wie durch die Winteröde,
Ein Wolf noch. Oder Wölfin? Sonderbar,
Mein alter Jägerblick verläßt mich schnöde.
Wer sind die Männer bloß? Der eine hinkt,
Der andre geht hochauf. Mein Blick wird blöde:
Das ist . . . Ja . . . nein . . . ob mir das Tollhaus winkt?
Was? Hier im Dunst auf meinem Winterdeich,
Wo silbern, fern im Watt der Seehund blinkt,
Wie? hier in meinem ewigen Regenreich,
Wo nie ein Ölbaum in der Sonne brannte,
Wo feucht die Birken tropfen, nebelweich,
Im Lande der Barbaren find ich – Dante?
Und neben ihm? Das ist doch nicht Virgil,
Der da herhumpelt an der Wasserkante?
Die Feder sträubt sich meinem Gänsekiel.
Ich sehe Byron! Arme Oberlehrer,
Euch schaudert wohl bei diesem Gaukelspiel,
Des klaren zierlichen Virgils Verehrer.
Ich bin nun einmal nicht in ihn verrannt,
Er ist mir spaßig wie ein Pudelscherer.
Oh, jetzt erkenn ich all den bunten Tand:
»Das muntre Pardeltier,« des Löwen »Wut«,
Der magern Wölfin gierigen Wünschebrand.
Und vor mir steht der Zug: daß all mein Blut
Zum Herzen stößt in wirbelnder Erregung,
Und ganz entstürzen will mir Mark und Mut.
Und mir entstürzt auch jede Überlegung.
Nur, wie sichs ziemt vor so erlauchten Geistern,
Verneig ich mich mit ruhiger Bewegung.
Und warte, bis mich einer von den Meistern
Anredet; und inzwischen steh ich starr,
Kann aber meine Neugier kaum bemeistern.
Ich fühle mich ein wenig hier als Narr,
Und warte weiter, wer das Wort beginnt,
Und komm mir vor, als wär ich ein Scholar.
Und Dante fragt mich finster: »Menschenkind,
Wer bist du?« Ich: »Du hast noch nie gelogen,
So geb ich Antwort dir aus Dir geschwind:
Und wer durchs Leben ruhmlos hingezogen,
Der läßt nur so viel Spur in dieser Welt,
Wie in den Lüften Rauch, Schaum in den Wogen.«
Und Dante lächelt: »Wenns sich so verhält,
Da will ich deinen Weg nicht weiter stören;
Langweilig ist mir solch ein fader Held.«
»Halt, bitt ich, laß mich eins noch von dir hören:
Du warst mit deinem Urteil oft zu strenge,
Das muß mich immer wieder sehr empören.«
Und Dante sprach: »Als ich noch durch die Enge
Der vollen Lebensgassen friedlos schritt,
Fiel mir am meisten auf im Volksgedränge:
Neid, Haß und Geiz, der Streber, der Bandit,
Bestechlichkeit, die Lüge und das Laster;
Ich sah, daß Gold allein den Sieg erstritt.
Jetzt, durch den Himmelsfensteralabaster
Seh ich den Menschen tiefer auf den Grund
Und denke milder, wie ein müder Raster.«
Hehr, hoheitsvoll, mit weich verschlossenem Mund,
So stand vor mir der edle Ghibelline,
Verherrlicht von des Lorbeers schmalem Rund.
Und vorwärts will der Großherr der Terzine
Mit seinem Anhang weiter sich bewegen,
Ein Kaiser ohne Pomp und Paladine.
Doch flehend streck ich meine Hand entgegen:
»Bleibt noch ein wenig! Eine Frage nur
Möcht ich dem großen Lord zu Füßen legen:
Wo blieb dein Herz, wo find ich seine Spur?
Beim letzten Kampf vor Missolunghis Toren,
Beim letzten Ausfall auf der Schwerterflur,
Da fiels in Türkenhand und ging verloren.
Wo liegt die Kapsel, wo ist ihr Versteck?
Verrätst dus mir, Balsam wärs meinen Ohren.«
»Mein Herz glitt aus der Kapsel auf dem Fleck,
Wos dem Hellenenhäuflein ward entrungen,
Und Berberhengste stampftens in den Dreck.
Ein schielender Tartar kam angesprungen,
Und hob das Kästchen, das von Silber ist,
Und hat es freudebrüllend hochgeschwungen.
Dem fing es weg ein Kerl aus Carpovist;
Und diesem, ohne Namen wars und Zeichen,
Entriß es rasend ein Serail-Gardist.
Nach einer Stunde waren sie schon Leichen.
Dann sah die Nacht, in greller Mondeshelle,
Mit Dolch und Dulbend einen Neger schleichen.
Dem waren all die Toten eine Quelle,
Die Ringe sprudelt, Geld und andern Klang,
Und auch die Kapsel wechselt ihre Stelle.
Statt daß ihn schmückt am nächsten Tag der Strang,
Verkauft der Mohr dem Pascha seine Beute,
Der schleunigst seiner Fatme schickt den Fang.
Die sich in Suez bald des Schmuckstücks freute;
Dort war vernarrt sie in Count Whiskydeep,
Und ists vielleicht, ich weiß es nicht, noch heute.
Und schenkte diesem braven Herzenslieb
Manch Andenken, auch jenen kleinen Schrein,
Der nun dem edeln Whiskydeep verblieb.
Doch ach, wer wirds dem Guten nicht verzeihn:
Er trugs, als einst ihm fehlten neunzehn Pfund
Zu einem Wuchrer gegen Zins und Schein.
Es einzulösen sah er keinen Grund.
So hats nun Ibrahim in seinen Klauen
Und hält geduldig Haus mit seinem Pfund,
Bis ein Gelehrter kommt und will beschauen,
Was wohl im Laden Seltnes ist am Platz.
Dem nähert sich der Jud mit Gottvertrauen:
Seht, Herr, in Herzform hier, ein hoher Schatz:
Darin lag König Chufus menschlich Herz,
Bei seiner Mumie lags im Bänderlatz.
Und der Gelehrte bebt vor Scham und Schmerz,
Und kaufts, his name is Mister Rapplepool,
Und führt es nach Old-England heimatwärts.
Er ordnets ein, und steigt auf einen Stuhl
Und stellt es hoch ins Schränkchen Nummer Sieben,
Zum Stiefelknecht des Prinzen Wailawul.
Da ist das Kästchen nun bis heut geblieben,
Und ruht im Dunkeln, Darktown heißt das Städtchen,
Und »König Chufus Herz« steht drauf geschrieben.
Drollig: In Darktown hatt ich einst ein Mädchen.
Oft ritt ich nachts zu ihr durch Korn und Ginster,
Und küßte gern und küßte viel mein Kätchen.
Darktown bei London City und Westminster.
Wie hat mein England mir das einst verdacht,
Und schneidet mich noch heute, keusch und finster.«
So sprach Mylord, und hat dabei gelacht.
Und vor mir stand er leuchtend wie noch nie
Und schön wie Satan in der Sündennacht.
Und eine Tuba herrschte: Das Genie!
Und Lorbeerblätter schneiten um sein Haupt.
Da hör ich eine sanfte Melodie:
Bei König David hätt ich mich geglaubt,
So klingen zärtlich Flöten her und Harfen:
Beim alten David, als sein Stamm entlaubt.
Ein Schrecken schlug mich: Bin ich unter Larven?
Und dennoch Klänge einer andern Welt,
Die seligen Brand in meine Seele warfen.
Denn hier: auf meinem kahlen Heimatfeld
Steht Beatrice aus der »Himmelsrose«
Und hat den ganzen Abend weit erhellt.
»Nicht Reif noch Schnee« kann der Apotheose
Enthüllten Glanz an Reinheit überstrahlen,
Wie mir erschien die lieblichste Mimose.
Die Feder sinkt, es ist nicht auszumalen;
»Errang ein Künstler je sein letztes Ziel?«
So bitt ich euch, erlaßt mir diese Qualen!
Denn einen Pinsel braucht ich, einen Stil,
Der einem höhern Stern entrissen wäre,
Wollt ich euch schildern dieses Märchenspiel.
Nur daß ich eines stümperhaft erkläre,
Und ich versuchs mit innerlichem Beben,
So schwankt im Wind die hochgeschossene Ähre:
Die Schleierschwingen Beatricens leben,
Vom letzten Flug noch angestrengt, und zittern,
Wie überm Gartenteich Libellen schweben.
Und wie Libellenflügel silbern flittern,
Wenn Rast sie halten auf der Wasserrose
Und ihre Schatten kraus im See zerknittern.
Und Dante lehnte sanft die makellose,
Die junge, fromme Magd an seine Brust,
Die zu ihm trat aus Gottes ewigem Schoße.
War sie dereinst auch meine Jugendlust?
Dies süße Antlitz hab ich ja gekannt,
In jenem Drange, der uns kaum bewußt,
Der spät zurück uns bringt ins Kinderland
Und uns auf unserm schweren Lebenswege
Erinnrungshold in frühste Kreise bannt,
Und den wir hätscheln wie die Blumenpflege,
Die uns erfreut im rauhen Tagesreigen,
Oasenquell im Wüstensandgefege.
Der ersten Liebe scheues, blödes Schweigen,
Der ersten Liebe knospenhafte Blüte,
Wie sie unschuldig lacht aus Lilienzweigen.
Bis die Natur sie rücksichtslos versprühte;
Dann ists vorbei, das Rätsel ist gelöst,
Kein Engel wacht mehr, daß er sie behüte.
Doch was uns aus dem Paradiese stößt,
Wir wissens nicht; nur grausam wird uns klar,
Daß wir entheiligt wandern und entblößt.
Der Sphärenglanz erlosch. Das Dichterpaar
Bereitet sich zum Weitergehen vor,
Umringt wie früher von der Bestienschar.
Noch stand der Abend vor dem schwarzen Tor,
Den letzten Dämmer grenzten graue Ringe,
Und aus den Wassern zogs empor und gor.
Die Flut schwoll langsam. Eine Möwenschwinge,
Kaum noch erkennbar, zögert durch die Luft
Und rüttelt wild, als säß sie in der Schlinge.
Der Zug verliert sich schon im dichten Duft.
Noch seh ich Danten im Gespräch mit Byron,
Dann nimmt sie wieder auf die Geistergruft,
Wo sie sich ernst und würdevoll verschleiern;
Doch glüht lebendig ihre Ruhmespracht,
Und Kränze schmücken dankbar ihre Leiern.
Genug! Der trübe Tag hat ausgewacht;
Sanft decken Rabenflügel Näh und Ferne
Und sargen mich in unbegrenzte Nacht.
Hoch oben aber funkeln frech die Sterne.

Vierzehnter Kantus: Mein Paradies.

Nur ein paar Blätter aus dem Lebenstanze,
Aus meinem Lebenssturme fing ich ein;
Nur ein paar Blüten aus dem Schicksalskranze,
Aus meinem Kranze, legt ich Reih zu Reihn,
Schob zu Terzine sie zurecht und Stanze,
Vielleicht nur einiger Jahre Lust und Pein.
Erinnrung, Traum und Phantasie, drei Schemen,
Beglänzten sie mit ihren Diademen.
Zwar: was ist Schicksal? Jedes Erdenleben.
Und wenns so nichtig ist und inhaltlos,
Wie meines war, wozu erst Verse weben?
Ich finde das wahrhaftig selbst kurios.
Der Eintagsfliege Auf- und Niederschweben,
Das nennt der Mensch »Schicksal« und tut sich groß.
Doch alle Deutschen, wie bekannt, sind Dichter;
Darum erlaubt auch mir den alten Trichter.
So schrieb ich denn getrost drauf los, hurra,
Was mir der Tag, was mir die Stunde schenkte;
Bald sang mein Herz falleri fallerallerallera,
Bald, wenn die Seele sich auf Halbmast senkte,
Trug ich der Trauer schwarze Tunika,
Bis wieder mein Humor die Mütze schwenkte.
Auf a-a-a reimt sich auch Altona,
Der Sinn für Kunst ist nicht weither allda.
Wozu auch Kunst? Wem gibt die Kunst Genuß?
Wer hat für große Kunst den großen Sinn?
Das »Volk«? Vom König bis zum Rustikus
Schätzt sie fast jeder ein nur auf Gewinn,
Gewinn an nützlichem Gedankenfluß.
Nur wenigen ist sie die Priesterin.
Die Kunst dem Volke! schreit der Agitator.
Die Kunst den Künstlern! quakt der Deklamator.
Der eine ruft: Heil allen Idealisten!
Der zweite ruft: Weg mit den Ideologen!
Der eine ruft: Ich mag die Realisten!
Der zweite ruft: Bleibt mir damit gewogen!
Meint ihr, den Wolkenkampf um eure »Isten«
Umzöge je ein gnädiger Regenbogen?
Die Erde ist kein Rosenduftgerank,
Die Erde ist ein einziger Gestank.
Das alte Streiten! Und es wird erst enden,
Wenn einst der letzte Mensch auf Erden stirbt.
Drum will ich schleunig mich zu anderm wenden,
Das mir die Eßlust weniger verdirbt.
Professor Wolff mag euch Ästhetik spenden;
Der löst die Frage, wenn er sie umwirbt.
Er spinnt euch mit der Meisterschaft der Schule
Die schönsten Paragraphen von der Spule.
Beginnt dein Rachezug, mein werter Rektor?
Ich steh in deiner »Neueren Geschichte«.
Oh lest, lest, lest den Büchervivisektor,
Lest, lest in seiner »Neueren Geschichte«:
Es schleift Emil-Achill mich armen Hektor
Im Staube seiner »Neueren Geschichte«.
Er schleift um Ilium dreimal mich herum
Und zeigt mich dem entsetzten Publikum.
Kritik heißt: sachlich eine Sache packen,
Und nicht persönlich seinen Stank beigeben.
Es steht dir frei, so viel du willst zu schnacken,
Dein dummes Zeug ans Himmelszelt zu kleben,
Dein süßliches Gesäure auszubacken,
Doch noch einmal: Hand weg von meinem »Leben«.
Sonst – nun, ich will nicht weiter mit dir rechten;
Ich lasse mir die Kunst von niemand knechten.
Freiheit der Kunst! Freiheit der Kunst vor allen!
Frei sei sie wie der Cowboy im Far-West!
Laßt euch den gräßlichen Vergleich gefallen;
Wenn nicht, dann hol euch allesamt die Pest!
An Bucking-Bronchos und Revolverknallen
Denk ich, an Lynchen und Banditenfest,
An Lasso, Pferdediebstahl und Prairie!
Freiheit! Da lebst du, echte Poesie.
»Der Kunst die Freiheit« und »die Cowboysippe«?
No, Sir: das geht selbst mir zu weit fürwahr!
O tertium-comparationis-Klippe,
Ich scheiterte an dir, ein Vershusar,
Der sich schon hundertmal brach jede Rippe
Im Rennen mit der edeln Richterschar.
Doch immer steh ich noch auf beiden Beinen,
Und lache, und die Professoren weinen.
Satis superque! »Lieblich lacht der Lenz,«
Der alte Wintersmann zog ab nach Norden
Und hat beim Kimmernkönig Pol Audienz;
Der schenkt ihm seinen Stern zum Robbenorden.
Dann trinkt er Tran, und zwar in Permanenz,
Bis endlich Thules Kaiser er geworden.
Der Frühling, dieser liebenswürdige Junge,
Zeigt hinterher ihm seine Zwitscherzunge.
Der Buchfink trillert herrisch seine Liebe,
Die Nachbarn tauschen Gartenwunsch und -gruß,
Bettzeug und Teppich kriegen draußen Hiebe,
Ol Vadder Hansen sünnt sick all vör't Hus,
Die rote Tulpe prunkt im Beetgetriebe,
Der Lyrifex besteigt den Pegasus,
Die Schwalbe jagt die Gassen auf und ab,
Der Tod versteckt sich in ein leeres Grab.
Jetzt, Richard, hätt ich gern Dich an der Seite,
Dich Treusten! daß du mit mir fühlst die Welt,
Aufatmest mit mir nach dem wüsten Streite,
Der Kunst und Leben auseinanderspellt,
Und mit mir lachst in jauchzendem Geleite,
Wo Sonnensturm die stolzen Segel schwellt.
Komm, Richard! fernhin geb ich Dir die Hand:
Komm, Freund, ich zeige Dir mein Heimatland.
Ich bin im Wald an meiner Lieblingsstelle:
Durch eine Wiese, die von jungen Eichen
Umstanden ist, klungklingklangt eine Quelle.
Die Stille fuhr dem Weltlärm in die Speichen;
Hier ist des Paradieses Geisterschwelle,
Wo Engel sich die kühlen Hände reichen.
Ein Bienchen, oh der wählerische Rüssel,
Schwankt zwischen Teufelsmilch und Himmelsschlüssel.
Der Abend sinkt. Die Frösche quaken leise.
Im Birkenhain sinnt ein versteckter Platz.
Zu Neste fliegt die letzte kleine Meise;
Noch schwingt der dünne Stiel des Weidenblatts.
Und schwärzer drängen sich die Schattenkreise;
Wer wartet da im Busch auf seinen Schatz?
Es schiebt der Mond sich durch die weißen Stämme
Und macht sich schmal, als säß er in der Klemme.
Wer nähert sich? Wer naht auf scheuen Sohlen?
Schon liegt das Mädchen an des Trauten Brust.
Ich irre abseits, einsam und verstohlen;
Sie schien sich ihres Weges kaum bewußt.
Es öffnen sich die schämigen Violen
Und schäkern mit der flammenden Sternenlust.
Ganz ferne noch ein schwacher Peitschenknall,
Dann singt ihr Siegeslied die Nachtigall.
Wie stand das Dirnlein sanft zurückgeneigt,
Ihr Auge sah zum Himmel wie verklärt;
Die Nachtigall verstummt, und alles schweigt.
Wie ein Verräter kommt der Wind und fährt
Erkältend, rauh durchs Ästewerk und zeigt
Die wehenden Blätter um den Opferherd,
Auf dem ein Flämmchen eben geht zur Ruh;
Die Morgenröte schaut gelassen zu.
Der Tag ist da, ich bin an alter Stelle:
Auf jener Wiese, die von jungen Eichen
Umstanden ist, durchklungen von der Quelle.
Die Stille fuhr dem Weltlärm in die Speichen;
Hier ist des Paradieses Geisterschwelle,
Wo Engel sich die kühlen Hände reichen.
Die Sonne scheint durchs jungfräuliche Grün
Auf Glockenblumen, die wie Kinder glühn.
Und meine Seele wird so klar und gut,
Unschuldig wie das Gras, worauf ich stehe;
Ruhig bewegt sich meine Herzensflut,
Versunken sind die vielen Ach und Wehe.
Mir wird so froh, so seltsam wohlgemut,
Als ob mir Überirdisches geschehe.
Nur einmal klingt mir noch ein Sehnsuchtsleid,
Ein Lied fernher, schon aus der Ewigkeit:
»Na so wollnmrnochemal, wollnmrnochemal,
Heirassassa,
Lustig sein, fröhlich sein,
Rassassassa!«
Verflüstert ist es. Keine Störung mehr.
Neid, Rache, Bosheit läutern sich in Reinheit.
Den Menschen, wie sie schütteln Gift und Speer,
Vergebe ich, vergesse die Gemeinheit.
Verzeiht auch mir! Wollt ihr? Wir sind bons frères,
Wir alle bilden ja die große Einheit.
Emil selbst, komm! gib mir den Bruderkuß!
Und damit end ich. Punktum. Löschblatt. Schluß.

Zweiter Teil: Streifzüge um Poggfred.
Fünfzehnter Kantus: Die Rennbahn.

Ist unser Leben eine Rennbahn nicht,
Wo jeder jeden sucht zu überholen?
Und wenn der Vordermann den Hals sich bricht,
Wird voller Frohgefühl der Nächste johlen.
Er stürmt mit rücksichtsloser Zuversicht
Ans Ziel, erreichts mit seinen Siegersohlen,
Erreicht es nicht, denn eine Nasenlänge
Schlägt ihn sein Hintermann im Hufgedränge.
Ich glaube, dieses Thema hatten wir
Schon als Tertianer auf; ganz richtig, ja.
Drum: eh ich wiederkäue wie ein Stier,
Erzähl ich lieber die Historia
Von einem unbekannten Wett-Turnier,
Das ich vor Jahren irgendwo besah.
Es zeichnete der Ort durch nichts sich aus,
War eingerichtet wie bei uns zu Haus.
Tribünen, Sattelplatz, Steinmauer, Gräben,
Turfgigerln, Jockeys, Breaks, Paradewagen,
Sehr wichtige Männerchen mit Fahnenstäben,
Rotweingesichter, fettig vor Behagen,
Und magre Menschen, die ihr Alles gäben,
Vermöchten sie den Gegner totzujagen.
Die heilige Plebs darf rings den Platz umsäumen,
Die Straßenjungen hocken auf den Bäumen.
Kurzum, wir kennen alle den Klimbim,
Wir sahen manches Mal dem Rennen zu,
Und ritten selbst vielleicht den Ibrahim,
So hieß mein Hengst, vielleicht den Kakadu,
Vielleicht den forschen Wallach Isegrim,
Vielleicht die flinke Stute Blindekuh,
Und setzten auf Kujon dreihundert Louis,
Und dann gewann, verdammt, der Pui-Pui.
Bei jenem Run, von dem vorhin ich sprach,
Stand im Programm nur noch das Herrenreiten.
Am Start nun, der mir in die Augen stach:
Was muß ich sehn? leb ich zu andern Zeiten?
Ob im Gehirn mir eine Schraube brach?
Werd ich verrückt für alle Ewigkeiten?
Am Start, wo unsre Gentlemen schon halten,
Seh ich, weiß Gott, unglaubliche Gestalten:
Mazeppa, Seydlitz, Ziethen sind erschienen,
Der wilde Jäger hat sich eingefunden.
Und diese dort, mit ihren grausigen Mienen?
Die Reiter Sankt Johannis, des profunden,
Die Vier, in königlichen Hermelinen:
Pest, Hunger, Krieg, umringt von ihren Hunden,
Und bummlig sitzt auf seinem Klapperklepper
Mynheer der Tod mit seinem Sensenschnepper
Und alle diese warten mit den Herren.
Halloh! Wer kommt denn da noch angekrochen?
Ein Droschkengaul? Sie schieben und sie zerren.
Potztausend! Seht die ausgetretnen Knochen!
Sein Lenker sucht den Lärm zu überplerren;
Hat die Tarantel denn den Kerl gestochen?
Was will der unglückselige Lyrikus
Hier auf der Rennbahn mit dem Pegasus?
Ein rasendes Gelächter schwillt im Kreise
Und pflanzt sich bis zum letzten Stehplatz fort.
Der arme deutsche Dichter schauert leise
Und wünscht sich weg von dem verflixten Ort.
Sein Wams ist flickig wie nach böser Reise,
Backpflaumenähnlich ist er ausgedorrt.
Doch jetzt ermannt er sich und trabt gelassen
Zu jenen hin durch abgepfählte Gassen.
Und stellt getrost sich mit in ihre Reihe,
Und achtet ihrer spöttischen Lippen nicht.
Graf Pest begrüßt ihn: »Höre mal, verzeihe,
Was bist denn eigentlich du für ein Wicht?«
Der Hunger schnarrt: »Jeschtatten! Ich verleihe,
Herr Bruder, Ihnen eine Beefsteakschicht.«
Hans Ziethen schimpft: »Hinaus den Lendenlahmen
Die Kracke paßt durchaus nicht in den Rahmen!''
Nu los! Der erste Start gelang sogleich;
In wundervoller Linie bleibt der Schuß.
Die Spitze nimmt Baron von Himmelreich;
Sanft zuckelt nach, o weh, der Pegasus.
Mazeppa spielt dem Freiherrn einen Streich:
Sein Pferd geht durch, als brennts ein Teufelskuß.
Hans Joachim von Ziethen, das Genie,
Der schlägt das Feld, natürlich, tout prix.
So treibt sichs fort. Das liebe Publikum
Macht lange Hälse, furchtbar interessiert,
Und wird allmählich vor Erstaunen stumm,
Und ist nachgrade etwas indigniert,
Das heißt, es nimmt »die Sache« äußerst krumm,
Weil seine Wetten nicht all right placiert.
Hans Ziethen hält noch immer hoch den Kranz,
Doch Seydlitz packt schon seines Fuchses Schwanz.
So treibt sichs fort. Jetzt aber kommen wir.
Wir, wir, des heiligen Johannes Reiter!
Das schwarze, weiße, rote, falbe Tier
Sind um den »Großen Preis« die ersten Streiter.
In einer Flucht frontieren alle vier,
Voran der Hunger, Peter Pest ist Zweiter,
Scharf hinter ihnen jagt der Krieg, brandrot,
Da überflügelt sie Rittmeister Tod.
Und wie der Araber Fantasia, schwenkt
Er in der Rechten hoch die blanke Hippe.
Die Linke läßt den Zügel, schlägt und schlenkt:
»Mir nach! Die Mähren sollen an die Krippe!«
Und wie er so das Ganze lockt und lenkt,
Verschwindet alles hinter dem Gerippe.
Das Publikum gebärdet sich wie toll
Und haut dem Buchmacher das Leder voll.
Was's das? In Lüften geht das Rennen weiter,
Baron von Himmelschimmel ganz zuletzt.
Vor ihm Mazeppa, Ziethen und Begleiter,
Die Pferde sind schon gründlich abgehetzt.
Jetzt kommen des Evangelisten Reiter,
Jetzt der erlauchte Knorpelmann, und jetzt –
Der Dichter! vorneweg! die Lyra klingt,
Allmächtig ist sein Flügelroß beschwingt.
Hinauf, hinauf in immer höherm Flug,
Bis du empfangen wirst von Sternenchören:
Wie je dein Herz in Seligkeiten schlug,
Und durften Schmerz und Elend dich zerstören
Hier fallen irdische Freuden, irdischer Trug,
Niemals wird dich Gemeinheit mehr empören.
Ein dunkler Flammenmantel deckt die Zeit,
Still leuchtet drüber die Unsterblichkeit.
Nach einigen Tagen sah den Platz ich wieder;
Er lag karfreitagleer und einsam da,
Die Haubenlerchen schwirrten auf und nieder,
Ein Bauernmädel trillerte Trala,
Der Kuhhirt sang den Kühen seine Lieder,
So war es einstens in Arkadia.
Fern rumpelt eine städtische Droschke her;
Wen brachte die wohl in dies Gräsermeer?
Ein grauer Strich, verliert sich die Chaussee;
Der Strich ist eingefaßt mit weißen Steinen,
Und Telegraphenstangen stehn im Klee.
Ein deutscher Klub in Kremsern, mit den Beinen
Eng aneinander, kommt durch die Allee;
Oh »Generalversammlung« in Vereinen!
Gesang und Fahnen, Bier und Cervelat;
In jedem Wagen kloppt mau seinen Skat.
Geschmacklos. Aber dort der einzle Mann,
In greisem Haar, er sieht sehr vornehm aus,
Er geht im Grase, bückt sich dann und wann:
Ein Wiesensträußchen pflückt er sich fürs Haus.
Da hat er seine stille Freude dran,
Es dünkt ihn schöner als ein Modestrauß.
Ja, solch ein lieb unschuldig Feldbukett,
Das macht wahrhaftig manche Schmerzen wett.
Ich sitze unter Bäumen nun im Krug,
Und um mich ist ein holder Gartenfriede.
Ich seh den Wolken zu, dem Schwalbenflug,
Und fühle mich langweilig und solide.
Bringt mir zur Stelle einen rissigen Pflug,
Ich hämmr ihn selbst zustande in der Schmiede.
Die Knaben meines Wirtes spielen »Rennen«,
Auf einem Beet seh ich Geranien brennen.
Demütig, karg liegt vor mir dies Stück Land;
Ein altes Weib verscheucht vom Weg die Gänse,
Ein Bierfuhrwerk wird eben ausgespannt,
Ein Tagelöhner kommt mit seiner Sense.
Was? Maler Henry, der hier Skizzen fand?
Ein Knecht latscht nach dem Stall mit Gurt und Trense.
Weit, weit, kaum sichtbar kreisen Mühlenflügel:
Ein Türmchen guckt neugierig übern Hügel.
Bei mir vorüber schwappt ein Düngerwagen,
Die Jauche tropft und hinterläßt die Spur:
Das Gold wird auf den Acker hingetragen,
Da hilft es kräftig weiter der Natur.
Bald läßt der Frühling zarte Hälmchen ragen,
Im Sommerwinde weht die braune Flur.
Mit Hitze wechseln Regen und Gewitter.
Es schwillt die Frucht, der Herbst schickt seine Schnitter.
Drei Pappeln stehen müde dort am Wege;
Wie kommts, daß sie mich trüb und traurig machen?
Denk ich daran, daß sie im Sturmgefege
Wie Ruten Gottes unsern Pfad bewachen?
An ihr geheimnisflüsterndes Gerege,
Wenn unzählbare Sterne sie bedachen?
Sie sind mir Poesie; ich kanns nicht deuten,
Daß sie mein Herz mit Schwergefühl erfreuten.
Zu Ende geht ein glühend heißer Tag,
Ein Wolkental zeigt milchiggelbe Streifen.
Kein Blitz frohlockt, es labt kein Donnerschlag;
Wie hör ich gern des Himmels Orgelpfeifen!
Zu viele Sonne macht uns matt und zag,
Durch frische Wetter läßt sich besser schweifen.
Den Abend tröstet die erflehte Nacht,
Der Tag trank Blut wie in der Völkerschlacht.
Denn jeder Tag ist eine große Schlacht;
Und hab ich, fröhlich kämpfend, sie genossen,
Was tuts, sink ich in die willkommne Nacht,
Ob ich entführt bin auf Walkürenrossen
In Walhalls schildeblankbeblitzte Pracht,
Ob ich ins selige Nichts zurückgeflossen.
Noch leben wir! Drum auf nach Poggfred-Haus!
Dort schlürfen wir noch manchen Becher aus.

Sechzehnter Kantus: Idealer Spaziergang.

Der Vorfrühling zeigt seine matten Farben,
Ein Rosenhauch umschimmert Busch und Baum;
Die Schafe weiden auf den Winternarben
Von Feld und Wiese und am Waldessaum.
Es steigt der Saft, schon ahn ich reiche Garben;
Die Eiche stöhnt, die Birke seufzt im Traum.
Die Dichter fangen wieder an zu schwellen,
Doch hoff ich, nicht wie Uhland festzustellen:
»Was ich in Liedern manches Mal berichte,
Von Küssen in vertrauter Abendstunde,
Von der Umarmung wonnevollem Bunde,
Ach, Traum ist leider alles und Gedichte.«
Ei, ei, was hör ich da von einem Dichter!
Das ist ja greulich! Also Alles Posen?
Pfui Deibel! Alles Schein und Talmilichter?
Und aller Inhalt pure Wassersaucen?
Verdammt noch mal! Ich steh hier nicht als Richter,
Doch die »Entschuldigung« macht mich erbosen.
Mein Uhland, fast verlör ich deinen Faden,
Liebt ich nicht deine herrlichen Balladen.
Ein Dichter ist? Der, der mit leichten Beinen
In Schlamm und Blumen auf der Erde steht.
Dem Veilchenduft und Stallgestank von Schweinen,
Ob »schön,« ob »häßlich,« um die Nase weht.
Der Seidenhemden oder Bauernleinen
Gebraucht, wies ihm beliebt; Fluch wie Gebet.
Sein Erstes sei: den Boden recht begreifen,
In dem des Menschen Lebenskerne reifen.
Die Engel geigen ihm vom Himmelssaal,
Die Hölle muß ihm ihre Teufel schicken;
Tief muß er schaun in alle Pein und Qual,
Die Freude muß vor Freude ihn ersticken.
Er kämpft mit Gott, er ruft ihn im Choral,
Er will in Nacht und Not zusammenknicken.
Verleiht ihm dann die ewige Phantasie
Noch Sternenflügel, wird er ein Genie.
Und ist er ein Genie und nicht brutal:
Dann stürzt er unter Faust und Stiefelnägeln,
Er sitzt als Knecht bei jedem Siegesmahl,
Er krümmt sich unter den Banausenregeln.
Sein armes Hirn ist bald im Hospital;
Da kann mans, Einsatz twinti Penn, verkegeln.
Das bürdet dem Philister keine Sorgen.
Was las ich doch von Hermann Lingg heut Morgen:
»Dies Menschenkind ist ein Genie,
Das dürft ihr schelten, stoßen, schinden,
Es wird das alles überwinden,
Verzeihend, wie es stets verzieh;
Es kann bewundern nur und lieben,
Drum los darauf mit allen Hieben!
Am besten wärs, ihr schlügt es tot,
Als Sündenbock für eure Sünden!
Und ist es tot, dann hats nicht Not,
Dann könnt ihr seinen Ruhm verkünden,
Es gibt euch dann sogar noch Brot,
Denn über sein geniales Dichten
Könnt einen Lehrstuhl ihr errichten.«
Die Haide wehklagt leise: Tommy friert.
Vom vorigen Sommer welken noch die Glöckchen,
Verschrumpft, verdorrt, verblaßt und schmutzbeschmiert.
An einem hing verfitzt ein Haidschnuckflöckchen,
Das Blümchen schien dadurch rundum wattiert,
Und hat jetzt Tag und Nacht ein warmes Röckchen.
Hier bin ich fern von Menschen, Gott sei Dank!
Fern ihrer Klatschsucht, ihrer Schlachterbank.
Nun ist der volle Frühling eingezogen;
Die Fahne schwingt er hoch, der junge Held.
Die Schwalbe kam, der Storch kam angeflogen;
Zu Pfingsten haben alle Leute Geld.
In jedem Dorfkrug kratzt der Fidelbogen,
In tausend grellen Farben tanzt die Welt,
Und bunt sind Wiese, Hecken, Hain und Hasel,
So scheckig wie die Rathauswand in Basel.
Der erste Jahrmarkt und sein Hokuspokus!
Tür auf! Wer bleibt im »Wonnemond« zu Haus.
Der liebe Gott hat sicher seinen Jokus
Heut über Alles, Löwen oder Laus.
Im Garten prunken Tulpenstolz und Krokus
Und glühen ihre mächtige Sehnsucht aus.
Die Tiere sind ganz außer Rand und Band:
Der Hunger schweigt, die Liebe steht in Brand.
Die Kinder spielen um die Häuserecken,
Der Ausflugswandrer übt schon seine Beine.
Und Sonntags zeigen sich auf allen Strecken
(Deutschland, verzage niemals) die Vereine.
Der Jüngling tut sich häufig dann erkecken
Und wirbt um seine Eine, Kleine, Feine.
Der letzte Bahnzug pfeift: »eilt!« In den Lauben
Hört jählings leider auf das Küsserauben.
O Waldmeister! O Maibowle! Ihr Tröster!
Du Frühlingstrank in Haus und Buchenhallen!
Wie nimmt er uns die Sorgen, wie erlöst er!
Er läßt den Murrkopf selige Hymnen lallen.
Zuweilen macht er mutwillig, dann stößt er
Und läßt den reizendsten Liederschatz erschallen:
»Ich bin die Josefine von der Heilsarmee,
Durch mich bekam die Chose erst ihr Renommee.«
Ein Frühlingsregentag. Es ziehn schnurgrade
Die langen Fäden aus den Wolken nieder.
Aus Wipfeln singt, wie eine Abendgnade,
Die Drossel ihre trunknen Hochzeitslieder.
Stät plätscherts fort. In diesem warmen Bade
Dehnt wohlzumut die Erde ihre Glieder.
Es rühren mich die Töne in der Runde
Wie eine milde, stille Sterbestunde.
Und meine Haide? Ist auch die erwacht?
Sie ist erwacht und findet ihr Genügen.
Ein Tausendfüßchen hat sich aufgemacht
Und läuft zur Liebsten, rasend vor Vergnügen.
Die Ringelnatter ruht noch schwer in Nacht,
Ihr Zünglein schläft, sie träumt von Mäusezügen.
Hier bin ich fern von Menschen, Gott sei Dank!
Fern ihrer Scheelsucht, ihrer Mörderbank.
Der Trommelschlag des Frühlings geht durchs Land,
Schalmein und Flöten, Flieder, weiße Kleider;
Im Winde weht manch loses Nackenband.
Ich glaube, selbst Hans Beil, der Kopfabschneider,
Hängt heut sein artig Messer an die Wand.
Wie lange währt das wohl? Ach, leider, leider
Ist die Glückseligkeit von kurzer Dauer,
Ich sehe Wilhelm Jensen auf der Lauer:
»Fürwahr, ich mag es nicht mehr sehn,
Dies ewige Werden und Vergehn,
Dies Auferblühn in Zauberpracht
Und schon Verwelken über Nacht,
Daß keinen Herzschlag du vergißt,
Wie alles nur zum Sterben ist,
Und was als Glück uns schön bewegt,
Im Keime schon die Trauer hegt.«
Der Sommer, dieser grobe Triumphator,
Zog durch Syringen und Goldregenprunk.
Viel Kränze folgten ihm, dem Imperator,
So kam er mit prachtvollem Ehrenschwung.
Er brachte harsch die Hitze vom Äquator,
Und seine Ritter tranken manchen Trunk.
Am vierundzwanzigsten im Junischwall
Verlassen Spargel uns und Nachtigall.
»Das heißt,« die Nachtigall hört auf zu singen.
Und so genau soll auch der Tag nicht sein;
Noch gestern schlug ihr Kehlchen zum Zerspringen,
Voll Eifersucht und Wut und Liebespein.
Sie will den Nebenbuhler niederzwingen,
So klangs zu mir ins Fenster klar herein.
Ich hörte von Neu-Rahlstedt übern Grund
Das Tierchen, immer noch nicht schnabelwund.
O Nachtigall, gesungne Einsamkeit –
Die Einsamkeit und das Vergessenkönnen,
Schon wie gestorben sein zur Lebenszeit,
Ganz schon vergessen sein, wer kann sichs gönnen?
Das ist das einzige Glück im Erdenleid.
Und ob wir alles andre auch gewönnen,
Ruhm, Reichtum, Macht sich eint auf unserm Scheitel:
Das Glück bleibt aus, denn »das Glück« ist alleitel.
Die Eitelkeit, die Herrschsucht sind zwei Schwestern,
Verbrecherinnen sinds, die jede Straße
Durchstrolchen, unausweichbar heut wie gestern,
Durchstrolchen mit dem allerschärfsten Glase:
Man sieht uns doch? Glück ist uns euer Lästern!
Wir sehn durchs Augenglas euer Gerase:
Was protzen die in ihrer goldnen Kutsche?
Schimpft nur in eurer ganz gemeinen Rutsche!
Der Hochmut ist ein goldbefrackter Affe,
Der mit äh äh »den Pöbel« übersieht
Und ihn, wer glaubts, mit seiner einzigen Waffe,
Der Dummheit, wie im Schleppnetz nach sich zieht.
Je hohler, aufgeblasener dieser Laffe,
Je mehr singt er sich selbst sein Fahnenlied.
Ach, ach, er fällt: es fällt sein Nullenhaus,
Und alles geht vorbei und lacht ihn aus.
Der Neid stützt auf den Tisch die Ellenbogen,
Und seinen Kopf vergräbt er in die Hände,
Und stiert und stiert mit seinen »glupschen Oogen«;
Ah, wenn ich jetzt, du Hund, dich vor mir fände,
Fest krummgeschlossen und ins Joch gezogen,
Ich freute mich bis an mein Lebensende.
Und stürbest du vor mir, verfluchte Katze,
Ich schlüge dir noch in die welke Fratze.
Die Neugier ist ein allerliebstes Tier.
Gevatterin: Frau Klatschsucht: eine Ratte,
Die überall den Speck riecht im Revier,
Die Milch im Keller und die Bodensatte.
Die schnüffelnd überall hat ihr Quartier
Und ihre Dreckspur zeigt auf jeder Matte.
Nie kam mehr Unglück in die Welt hinein,
Als durch dies schmucke Pärchen im Verein.
Ins Zuchthaus! Und nicht unter zwanzig Jahren,
Mit Einzelhaft! Und Ehrverlust für immer:
Verleumdung, Klatschsucht, Neugier! Wie Pestscharen
Stürzt ab in Höllenpfuhl und Schwefelflimmer,
Ihr grausen drei, mit euern Schlangenhaaren,
Ihr drei verdammten, aasigen Frauenzimmer!
Es gilt, für euch ein Übermaß zu suchen,
Um es als härtestes Gesetz zu buchen.
Der Ruhm? Nehmt eine lange Flaggenstange
Und hißt dran eine grelle Fahne auf.
Dann freut die Fahne sich: ich prange, prange,
Und wickelt sich vor Lust selbst um den Knauf.
Doch eh der Tag sinkt, lauert schon am Strange:
Wer? Der sie niederholt in schnellem Lauf.
Die Erde ist des Himmels Folterkammer.
Die letzten Stanzen schrieb ich nur in Klammer.
Im Frühling sah ich heuer Prag und Wien.
In Hütteldorf bei Wien, im Wiener Wald,
Lag still ein Garten, den der Mond beschien;
Aufschwung von Schumann klingt woher, verhallt.
Ein wilder Nußbaum dämmert Phantasien;
Klein-Dagny singt, sie ist zehn Jahre alt,
Aus Steyermark, entzückend, Bauernweisen.
Leb wohl, mein Wien! ich muß nun weiter reisen.
In Prag bin ich entschieden mal geboren,
Vielleicht vor tausend Jahren, wer kanns wissen,
So ist mein Herz der alten Stadt verschworen;
Dort möcht ich immer meine Fahnen hissen.
Palerm und Ripen gehn mir nicht verloren,
Die waren auch von je mir Leckerbissen.
In Prag aß ich auch mal im Blauen Stern
Mit Oskar Wiener, einem Dichterherrn.
Du mußt es sehn, wenn sich der volle Mond
In seinen Gassen, Gäßchen eingefangen,
Wenn im Barock er auf den Kirchen thront,
Wenn seine Lichter den Hradschin umprangen,
Den silbernen Sarg Sankt Nepomuks umfangen,
Wenn er in Waldsteins großer Halle wohnt.
Viel hundert Sagen singen und Geschichten,
Ganz Praha ist ein Goldnetz von Gedichten.
Vorm Rathaus fand ich eine See von Blut:
Dreihunderteinundfünfzig Edelleute
Mit jedem ersten Sohn von ihrer Brut
Verstummten hier, dem Rachebeil zur Beute.
Versickert längst, versunken ist die Flut,
Doch sah mein geistig Auge sie noch heute.
Der Winterkönig floh, futsch, futsch, futsch, floh,
Bis er im Haag beim Brettspiel saß heilfroh.
Ich sah ein Kirchlein auch: »Marie im Schnee«
(Die Heilige Jungfrau, nordisch, tiefverschneit):
In einen Prozessionszug fällt, o weh,
Ein Stein. Tumult. Ade Besonnenheit.
Bautz: Martinez und Slavata. Herrje!
Der dreißigjährige Krieg steht schlachtbereit.
Ein Steinwurf nur, ein einziger Steinwurf nur.
Praha, na zdar! Dir gilt mein Liebesschwur.
Zurück aus Süd und seinen Herrlichkeiten.
In Holstein wieder. Kurze Sommernächte,
Wo sich die Lichter um den Vorrang streiten.
Die Ruhe heilt. Der Tag troff vom Gefechte,
Durch das ein jeder muß seit Olims Zeiten,
Vom Arbeitsstrauß- und Sorgenkranz-Geflechte.
Nach solcher Ernte geh ich gern spazieren,
Dann ruf ich: Hier darf niemand sonst passieren.
Und auch zur Winterzeit lieb ich die Nacht:
Wenn nicht zu arg die Stürme mich umreißen
Und mir der Schnee die Augen nicht verdacht.
Dann wandr ich oft, und lass die Welten kreißen,
Und freue mich der frechen Sternenpracht,
Und hör das Eis im Frost zusammenschweißen.
Meist bin ich dann allein mit meinem Schritt,
Zuweilen hab ich auch Begleitung mit:
Erinnerung: Es war am längsten Tage,
Wo Abendrot und Morgenrot sich küssen,
Mit blassen Armen, eine Sommersage,
Friedlich umhalst zu seligen Genüssen.
Ich sah sie auf der eingestellten Wage,
Die sich doch immer wieder trennen müssen.
Die Sonne hört ich schon die Pfeile schärfen
Und ihren Nachtsack in die Wogen werfen.
Um diese Zeit nun ging ich durchs Gelände,
Lautlos und weich lag um mich Marsch und Moor.
Wer ging denn neben mir und hielt die Hände
Und hielt den Arm als Augenschutz sich vor?
Ein zartes Mädchen. Wie? mit solcher Blende
An meiner Seite hier im Dämmerflor?
Ich setzte mich, um auszuruhen, nieder;
Auch sie blieb stehn, den Arm fest um die Lider.
Erhob ich mich, dann zog sie mit mir weiter,
Doch nahm sie von den Lidern nie den Arm.
Sag, liebes Mädel, schau mal hoch und heiter,
Sieh mir mal in die Augen liebewarm.
Weg mit dem Ärmchen! das ist viel gescheiter;
Vertrau mir deinen Kummer, deinen Harm.
»Ich bin die Scham,« sie sagte selbst es nicht,
Doch klangs von irgendwo ans Ohr mir dicht.
Und sie verschwand. Und neben mir, o Wunder,
Tanzt ein Geschöpf. Ein neues Abenteuer?
Sie braucht bei ihrem Tanz nicht Zaum noch Zunder,
So vornehm hält sie sich in ihrem Feuer.
Ich denke an Champagner und Burgunder.
Hat sies erraten? Gleich nimmt sie das Steuer:
»Ich meine, was denn braucht es lang der Worte,
Wir essen morgen Nachmittag bei Pfordte.«
Welch lachend Ding. Hör an, du sprudelndes Wesen,
Ich bleibe heut den ganzen Tag bei dir.
Wir setzen uns auf einen Zauberbesen
Und sind in einem Augenblick bei mir.
Ich biete Alles dir und auserlesen;
Glaub mir, ich bin ein mächtiger Vezier.
Wir schaukeln uns im Meer der Seligkeiten,
Wo wimpelfrohe Blumenschiffe gleiten.
Komm mit nach Poggfred! Da sind dichte Lauben,
Wo trefflich wir Verstecken spielen können.
Am besten schmecken stets verbotne Trauben,
Die uns die lieben Menschen niemals gönnen.
Allüberall dort girren Liebestauben,
Die gern zu jeder Lustbarkeit entbrönnen.
Und willst du mal die Nordsee toben sehen,
Sie liegt ganz nah dabei, im Handumdrehn.
Die Nordsee muß zuweilen auch verschnaufen,
Dann liegt sie wie ein silbern Teebrett da;
Die groben Wogen ruhn sich aus vom Raufen,
Und spiegelblank ist ihre Gloria.
So fand ich ihre Tropf- und Triefetraufen,
Als ich an einem Badestrand sie sah,
Wo sich die Herren tragen à la Haby;
Es reimt sich drauf, deutsch ausgesprochen, Baby.
Fern ab von meiner Stelle steht die Brandung,
Die Wellen werfen sich zornmütig auf.
Wer sich dort etwa wünscht gelinde Landung,
Der purzelt wie ein Kartenschloß zuhauf,
Und er erlebt die allerschönste Strandung,
Es brüllt die See ihm zu: Sauf und versauf!
Wie sich die weiße Marmorstadt begießt,
Die fort und fort sich aufbaut und zerfließt.
Wohl zwanzigtausend »Gäste« schoben sich
Auf einer Wandelbahn am Ufer fort,
Und hin und her auf diesem einen Strich.
Doch gabs daran auch manchen kühlen Ort,
Wo man, die Sonne schien heut fürchterlich,
Sich labt, wenn allzusehr die Zunge dorrt.
Wenn sich jedoch ein Handschuhladen fände,
So würden ihn verachten alle Hände.
Denn da gehörts, eitel Koketterie,
Zum guten Ton, daß Dandys sich und Damen
Die Haut verbrennen lassen wie das Vieh.
Indessen will ich nicht darüber blamen,
Mags einer Plunder nennen oder Pli.
Ich spanne also einen andern Rahmen
Um all die schönen, stolzen Mädchen, Frauen,
Die dort sich sonnten, aus ganz Deutschlands Gauen.
Vielviele Fläggchen flatterten im Sande,
Mit oft sehr drolliger Inschrift: »Hau ihm, Otto!«
Darum herum die liebe Kinderbande,
Die jauchzend gab die »Burg« dem Wellenlotto.
Selbst Gorm den Gamle war nicht mal imstande,
Die Flut zu hemmen. Weg da! ist ihr Motto.
In meinem Buch, dem Poggfred-Manifeste,
Sind Dehmels Motti, wie mir scheint, das Beste.
Am selben Abend traf ich ein Gedränge,
Die Sonne war in dickem Dunst verschwunden,
An einem Punkte staute sich die Menge
Und stand gespannt, wie Kopf an Kopf gebunden:
Ein seltsam Schiff kam an mit viel Gepränge,
Als wärs in einer andern Welt gefunden.
Es tönte von ihm her ein wirrer Sang,
Der übers Wasser wunderweich verklang.
Der Dampfer war elektrisch überhellt;
Langsam zog uns vorbei der Küstenkahn,
Dem sich Sardinen zahllos zugesellt,
Die hergesandt ein fremder Ozean.
Sie sind entsetzt oft aus der See geschnellt,
Denn die Makrele ist ein Fressian.
Die Sommernacht schläft ruhig wie ein Kind,
Da plötzlich hebt sich ein verflixter Wind.
Von Osten setzt er mit der Ebbe ein,
Die wüsten Wellen fangen an zu rollen.
»Das Publikum« beginnt sich zu entreihn
Und will sich schnell nach Haus und Halle trollen:
»Platz da! Wir wollen hier nicht länger sein!
Platz da! Was soll uns denn der Sturm umtollen!!«
Halt! rufen, Halt! auf einmal rauhe Riesen,
Langbeinige, schmale, sehnige Inselfriesen:
Es wird jetzt hier geblieben, Bummelleute!
Ihr seid uns Narrenvolk! Nur euer Geld,
Verdammich, nehmen wir als gute Beute.
Drum schleunig Halt! Von neuem aufgestellt!
Zehn Mark zahlt jeder nachträglich noch heute,
Dann zeigen wir euch eine Wiking-Welt.
Paßt auf! Doch prallt nicht zu sehr an die Leine,
Sonst gibt es gleich Au-Au-Schrein und Gegreine.
Ein König sitzt im Langschiff, aufgebahrt;
Knallgelb besäumte rote seidne Decken
(Gestohlen in Tarent) umhüllen hart
Das starre Gliedermaß des toten Recken.
Tief abwärts weht der lange weiße Bart,
Den schon die Tropfenspritzer leicht belecken.
Das Wiking-Schiff ist voll von reicher Beute,
Um die es keinen Normann je gereute.
Auf Bank und Bord sind viele Kostbarkeiten
Dem Häuptling auf die Reise mitgegeben:
Ein Skarabäus aus Egyptens Weiten,
Ein Demantschwertgriff loht noch lauter Leben,
Antike Vasen mußten ihn begleiten,
Und wundervolle Bronzen stehn daneben.
Ein goldnes Lamm von ungeheuerm Wert
Hat Pisa, mir nichts dir nichts, einst verehrt.
Sein Lieblingspferd liegt ihm vor seinen Füßen.
Das Kriegsschiff schwelt! Los! In den Schaum geschoben!
Die Skalden singen, seine Großen grüßen,
Die Harfen huldigen, die Luren loben.
Ein frommer Räuberheld braucht nichts zu büßen,
Er ist bei Thor bald in Walhalla oben.
Die Schildmaid führt ihn in den Gischt hinein
Und fährt ihn unter wildem Fackelschein.
Mit Ost und Ebbe geht es in die Nacht.
Die Lohe leichtert sternauf ihre Funken.
Die Möwen sind vor Schrecken aufgewacht
Und flattern ängstlich um den Brand, wie trunken.
Die Flamme sinkt, aus ist des Feuers Macht;
Die Schätze sind versandet und versunken
Und treiben trümmernd auf der salzenen See,
Die Morgenröte blinzelt ihr Ade.
Ja, wo ist denn die schöne Fee geblieben,
Die mir zur Seite ging? Sie ist verschwunden.
Die Langeweile hat sie weggetrieben.
Das muß ich leider brummig hier bekunden.
Was erst geschähe, säh sie mich »geschrieben«?
Ich bin deshalb allein an mich gebunden.
Allein ist jeder Mensch, allein, allein,
Und säß er im glückseligsten Verein.
Ich schlendre durch ein Dorf, wo Musikanten
Im Kinderkreise spielen, daß sie springen
Und hopsen, hei! an allen Ecken, Kanten,
Und sich im Reigen durcheinanderschlingen.
Ich sah in einen Wirtshaussaal, da bannten
Sich meine Augen an zwei Schmetterlingen:
Zwei Mädelchen, sechs, sieben Jahre gut,
Die tanzten hier ein Solo wohlgemut.
Na, so was Reizendes sah ich noch nie:
Im Trippeltakt mit ihren kleinen Füßen,
Gehorchen sie der Walzermelodie,
Derweil sie mich mit ihren Stirnen grüßen.
Ein Pärchen nur im Saale, wirbeln sie
Und lassen sich den Schulzwanggang versüßen.
Zerzaust ein wenig war ihr Haargeflecht,
Das Zöpfchen stand im Tänzchen wagerecht.
Das Zöpfchen stand im Tänzchen wagerecht:
Im Leben nie vergess ich dieses Bild.
Ein Unschuldstraum in unserm Sumpfgeflecht,
Ganz erdenselig und ganz himmelsmild.
Fast fühlt ich mich geduckt, ich Adamsknecht,
Doch bin ich für »Moral« noch nicht gedrillt.
Lebt wohl, ihr Kleinen, tanzt nur eifrig zu;
Bald kommt die Zeit, da drückt auch euch der Schuh.
Ich wandre weiter. Es ist Mittag schon.
An einem Kirchlein komm ich grad vorbei,
Daran, gleich einer kleinen Bastion,
Ein alt Kapellchen klebt, wie Flickerei.
Dort liegt ein Urgeschlecht, gestürzt sein Thron;
»Längst ausgestorben!« ruft die Sakristei.
Ein lieber Lehrer schloß die Tür mir auf:
Da türmten sich die Särge wüst zuhauf.
Ein Bär, zum Streit gerichtet, war ihr Wappen,
Ihr Haus- und Wahlspruch hieß: L'Ours détruit tout!
Das Wort klingt nicht wie Staub- und Scheuerlappen,
Nicht wie das Wiederkäuen einer Kuh.
Das Wort erinnert nicht an Fliegenklappen
Und nicht an Tante Bettys Gummischuh.
L'Ours détruit tout; welch Drohen und Gedröhn,
Ein krachendes Gebälk und Wutgestöhn.
Gleich vorn lag eine Mumie. Mumie? Was?
Sie war aus ihrem Sarg herausgerissen,
Wohl nicht aus Rache, Bosheit oder Haß.
Nein: Diebe hatten sich darum beflissen:
Im Schwedenkrieg kam ihnen das zupaß.
Die suchten Taler in den Finsternissen.
Der Kopf lag weit getrennt von seinem Rumpf,
Die Leiche trug nichts außer einem Strumpf.
Wir brachten sie in ihre Truhe wieder.
Die gute Mumie war in ihrem Leben
Ein Herr gewesen im Barockgefieder.
Als ich nun weitre Laden wollte heben,
Purzelt ein Kindersärglein auf mich nieder;
Das hat mir denn für heut den Rest gegeben.
Ich ging nach Poggfred heim. Am nächsten Tage
sah ich von neuem meine Sarkophage.
Mit Arbeitern. Nun holten wir heraus
Die bronzenen Betten, das zerfallne Linnen.
L'Ours détruit tout, drang ich jetzt in ihr Haus
Und störte Molche, tausendjährige Spinnen,
Und ließ die Sonne scheinen in den Graus
Und große Wassermassen drüber rinnen.
Nach Stammtafeln verglich ich dann die Namen
Und stellte in den Stand sie wieder. Amen.
Dann trank ich mitgebrachten Pommery
(Die Arbeiter vergaß ich nicht dabei):
Ein letztes Vivat und Krambambuli!
Ein letztes Hoch der Clanschaft, und Juchhei!
L'Ours détruit tout! Wer das einst munter schrie,
Der hört nun nimmermehr sein Feldgeschrei.
Auf eure Sporen senk ich einen Kranz,
Auf eure Fahnen, euern Ritterglanz.
Lebt wohl! Die Welt hat lang euch schon vergessen.
Ich tat es nicht. Ich bin aus euerm Blut.
Ihr saht das Licht noch einmal, ungemessen,
Das Sonnenlicht, das Licht der Lebensglut.
Auf euer Herz sollt ihr die Hände pressen:
Nun ists genug! Und über uns die Flut!
L'Ours détruit tout! Der Bär hat ausgerottet!
Ein Hundsfott jeder, der darüber spottet.
Tritt einer an die Eingangstür vertraut
Und rüttelt, klopft und spricht dreimal: Señor!
Und keiner antwortet – –
Dann ruft der Horcher, weg vom Tor das Ohr,
»No contesta, está muerto« laut –
Und tiefe Stille lächelt wie zuvor.
Ich höre fern die Schicksalsäxte schleifen;
Wohnsfleths, lebt wohl! ich will nun weiter schweifen.
Ein stiller, sanfter Abend hüllt mich ein,
Ich rauche meinen Stengel Eminentes.
Wird der »geneigte Leser« mir verzeihn,
Schwör ich ihm zu: es war was Exzellentes?
Kein besser Kraut mag jemals wo gedeihn
Im Orient, im Ring des Occidentes.
Vorbei ging ich dem Krug »Zum Blauen Auge«;
Ich sagte mir, daß ich dahin nicht tauge.
Schon naht sich leis der Herbst, der harte Schnitter,
Und langsam bräunelt sich die Haselnuß.
Herr Sonnenschein ist ein gefälliger Ritter,
Die Beere ist ganz rot von seinem Kuß.
Doch zeigen noch die Nachmittaggewitter,
Daß sich der Sommer wehrt vorm öden Schluß.
Die Spatzen raufen sich mit Zorn und Zank
In hübscher Villen grünem Weingerank.
An meinem Wege fand ich einen Garten,
Nein, einen Park voll alter Eichenbäume,
Mit Feldern drin und einem ganz aparten
Echten Lenôtre-Gärtchen, dessen Säume
Beschnittne Hecken waren. Alle Arten
Baumlanger Thujen flüstern hier wie Träume.
Inmitten ist ein Wasserspiel zu sehn
In Rhododendren, pontischen Azaleen.
Im Norden dieses Gärtchens, vor der Hecke,
Stand eine Säule, haushoch, und darauf
Steht riesenhaft, so daß ich fast erschrecke,
Steht Schillers Büste, als der Säule Knauf.
Sie ist von mir entfernt noch eine Strecke,
Und unverzüglich setz ich mich in Lauf.
Der Märchengarten ruht im Abendschein,
Ich nenn ihn unsers Schillers heiligen Hain.
Den herrlichen Dichter schirmen, eine Wand,
Hoch überragend himmelanstrebende Linden.
Und Kinder kommen. Leicht streut ihre Hand
Viel Julirosen unter Kranzgewinden.
Und reife Menschen nahn. Aus Griechenland?
Ein Chorgesang erschallt und will verschwinden.
Ich singe selig mit den Menschen mit,
Wie Geister wandeln wir im Feierschritt:
Da ihr noch die schöne Welt regiertet,
An der Freude leichtem Gängelband
Glücklichere Menschenalter führtet,
Schöne Wesen aus dem Fabelland!
Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte,
Wie ganz anders, anders war es da!
Da man deine Tempel noch bekränzte,
Venus Amathusia!
Nun neigten wir uns tief vor seiner Büste
Und schmückten uns mit Blumen vor ihm her;
Die Deutschen kamen selbst von fernster Küste,
Die Wolken glühten wie ein Flammenmeer.
Und als die Sonne endlich ging zur Rüste,
Fand ich allein mich stehn, der Platz war leer.
Da bog ich mich zur Erde vor ihm nieder
Und sprach (für mich das schönste seiner Lieder):
Der Pilgrim.
Noch in meines Lebens Lenze
War ich, und ich wandert aus,
Und der Jugend frohe Tänze
Ließ ich in des Vaters Haus.
All mein Erbteil, meine Habe
Warf ich fröhlich glaubend hin,
Und am leichten Pilgerstabe
Zog ich fort mit Kindersinn.
Denn mich trieb ein mächtig Hoffen
Und ein dunkles Glaubenswort:
Wandle, riefs, der Weg ist offen,
Immer nach dem Aufgang fort.
Bis zu einer goldnen Pforten
Du gelangst, da gehst du ein,
Denn das Irdische wird dorten
Himmlisch, unvergänglich sein.
Abend wards und wurde Morgen,
Nimmer, nimmer stand ich still;
Aber immer bliebs verborgen,
Was ich suche, was ich will.
Berge lagen mir im Wege,
Ströme hemmten meinen Fuß;
Über Schlünde baut ich Stege,
Brücken durch den wilden Fluß.
Und zu eines Stroms Gestaden
Kam ich, der nach Morgen floß;
Froh vertrauend seinem Faden,
Werf ich mich in seinen Schoß.
Hin zu einem großen Meere
Trieb mich seiner Wellen Spiel;
Vor mir liegts in weiter Leere,
Näher bin ich nicht dem Ziel.
Ach, kein Steg will dahin führen,
Ach, der Himmel über mir
Will die Erde nie berühren,
Und das Dort ist niemals hier!

Siebzehnter Kantus: Unterm Schirm.

Ich sitze auf des Deiches breiter Krone
In einem Armstuhl, den ich hergesandt;
Ich sitze wie der König auf dem Throne,
Vor mir mein Meer und hinter mir mein Land.
Ein Riesenregenschirm ist »gar nicht ohne«:
Er schützt mich vor des Julis Sonnenbrand.
Der leise Westwind meines Strandgedichts
Lullt mich in Träume, weiter will ich nichts.
Vor mir die See; allmählich wächst die Flut,
Unmerklich, tückisch ist ihr Höhersteigen.
Sie rillt heran, sie schwillt, sie rollt, sie ruht;
Nun klopft sie an den Deich, Halt, Horchen, Schweigen,
Und wieder rückwärts muß ihr stolzer Mut,
Gehorsam der Natur und tiefst leibeigen.
Der leise Westwind meines Strandgedichts
Lullt mich in Träume, weiter will ich nichts.
De solte See! Wie sanft sie heute gleißt:
Unendlich weit zieht eines Dampfers Rauch,
Ein Schmetterling fliegt über mich und reist,
He, Gaukelfritz, bleib du am Himbeerstrauch,
Und schaukelt überm Wasser dumm und dreist,
Bis ihn hinunterzieht ein Wellenhauch.
Der leise Westwind meines Strandgedichts
Lullt mich in Träume, weiter will ich nichts.
Um mich kein Laut, nicht einer Möwe Schrei;
Nur aus den Marschen hör ich ab und zu,
Als bändelt es die Fennenstille frei,
Das ferne, fernste Brüllen einer Kuh.
Ein Bienchen summt, ein Käferchen vorbei,
Sonst alles eine einzige große Ruh.
Der leise Westwind meines Strandgedichts
Lullt mich in Träume, weiter will ich nichts.
Ich fuhr durchs Schwarzatal mit raschen Pferden,
Das Flüßchen strudelte mit solcher Hast,
Als könnt es niemals mit sich fertig werden.
Ein herber Frühlingstag ging kalt zur Rast
Und zeigte tiefe Schatten schon auf Erden,
Von immer dunklern Strichen eingefaßt.
Nur oben um die höchsten Felsenspitzen
Schien noch die Sonne zögernd zu verblitzen.
Von Schwarzburg wollt ich just nach Ilm-Athen,
Und hielt auf meiner Fahrt in Rudolstadt,
Da sah ich einen Postbeamten stehn,
Der war vom Laufen gradezu schachmatt.
Nun lief er wieder, um am Zug zu spähn,
Lief hin und her, schwang ein Depeschenblatt
Und schrie, und immer blieb er im Galopp:
Wulff Detlev Benedictus Wittekopp.
Das rief er nicht, er rief nur meinen Namen.
»Hier bin ich, hier im Rauchabteil, allein,«
Und ich erschien in meinem Fensterrahmen.
Ein Telegramm für mich, was kann es sein?
Ein gutes Trinkgeld, Dank, und damit Amen.
Es pfiff. Ich weiß nicht, soll ich jetzt juchhein?
Ich öffne langsam die Depesche und –
»Ein Söhnchen, schreiend, zierlich und gesund.«
Auf diesem Stern der ewigen Kümmernisse
Hast du erdämmern müssen und erwachen,
Auf diesem Stern, wo schlimme Schlangenbisse
Der kleinsten Lust sofort den Garaus machen,
Wo selten nur durch schmale Wolkenrisse
Des Himmels heilige Tempeltore lachen,
Wo Widersprüche ohne Zahl und Enden
Geheimnisvolle Schleier sind und Blenden.
Bis, Wölfchen, du der Schule pflichtig bist,
Soll dir kein Zaum gezäumt sein und geschlungen.
Das ist, bedenk es, eine Galgenfrist,
Drum nutz sie aus: fix hin und her gesprungen!
Höchst gleichgültig, wer dein Gespiele ist,
Wer immer: Prinzen oder Bauernjungen.
Zuerst der Leib! Und immer in die Sonne!
Und Schnee und Regen sei dir eine Wonne.
Jetzt wird es Ernst. Es kommt der Bakelmeister;
Unglaublich vielen Krimskram mußt du schlucken.
Behüten mögen dich die guten Geister
Vor all zu viel »Materien« und Mucken.
Das Alles wird für dich ein dicker Kleister,
Aus dem nur wenige helle Blasen gucken.
Doch muß es sein! So setz dich auf die Buxen
Und lerne, lerne, ohne dich zu mucksen.
Hurra, die Freiheit! Und hinein ins Leben!
Zuerst schöpf einmal Atem, aber dann:
Die Zähne fest und sich die Sporen geben,
Nun kommts drauf an, nun wandle dich zum Mann!
Ein Ungeheuer will sich an dich kleben;
Hau ihm das Netz durch, das dich überspann.
Das Ungeheuer heißt der schwache Wille.
Sei stark, sei hart! Nimm diese Teufelspille.
Wenn dich der letzte Mutterkuß entlassen,
Dann wanderst du, wie jeder Mensch, allein.
Kein andrer mehr geht mit dir durch die Gassen:
Paß auf, da liegt für dich im Weg ein Stein.
Du mußt dich selber an die Nase fassen:
Halt, halt, gib Acht: wie trenn ich Sein und Schein?
Lern klug dein Schifflein durch den Ozean lenken;
Es wird dir keiner deine Fehler schenken.
Bewahre deine Ehre jederzeit!
Sei treu dem Kaiser, Dir, dem Vaterlande!
Tu deine Pflicht: die erste Schuldigkeit!
Zerreiß nie herzlos deine Liebesbande,
Sonst aber zeige Unerschrockenheit,
Ein guter Spritzenmann bei jedem Brande;
Sei lautern Sinns, klarfegend wie der Wind,
Denn »Selig sind, die reines Herzens sind.«
Und nun entlass ich dich; du kennst den Pfad,
Du siehst die Rosen und du siehst die Dornen,
Du bist dir selbst der beste Kamerad
Und wirst dich immer selbst am besten spornen.
Das übrige? Die Zeit geht ellengrad,
Und um das Schicksal wissen kaum die Nornen.
Zuletzt noch geb ich deiner Morgenröte
Ein wundervoll Erlöserwort von Goethe:
Feiger Gedanken
Bängliches Schwanken,
Weibisches Zagen,
Ängstliches Klagen
Wendet kein Elend,
Macht dich nicht frei.
Allen Gewalten
Zum Trotz sich erhalten,
Nimmer sich beugen,
Kräftig sich zeigen,
Ruft die Arme
Der Götter herbei.
Als ich in Weimar ankam, war es Nacht;
Der Mond hing wie ne alte Stalllaterne,
Ein wenig hoch im Viehstall angebracht.
In meinem Weimar bin ich immer gerne;
Da lebt sichs gut, da lebt sichs sittig, sacht,
Und man vergißt die Sehnsucht in die Ferne.
Besonders lieb ich spät das Künstlerhaus,
Die letzte Einkehr findet dort Applaus.
Zuerst macht ich im Park noch einen Gang:
An Goethes Gartenhäuschen blieb ich stehn,
Daraus manch hold Geheimnis mir erklang,
Das nie ein Buch verrät und Pergamen.
Da hört ich plötzlich irgendwo Gesang,
Von weitem leisen Ton herüberwehn:
Des großen Schweigers Gott und Selbstvertrauen:
Mein Lieblingslied: Wilhelmus von Nassauen.
Oranier! Genie aus deutschem Blut.
Ich habe mich im Leben oft an dir
Emporgerafft zu neuem Mannesmut.
Bläst mich das Schicksal an, das »spanische Tier«,
Denk ich an dich, an deine sichre Hut,
Und nehme Dienst bei dir als Offizier.
Die Weltgeschichte kennt kaum einen Helden,
Von dem sie so viel Treue weiß zu melden.
Dann lenkte ich ins Städtchen meine Schritte,
Und blieb am »Weißen Schwan« wie in Gedanken,
Und hatte an den Herrgott eine Bitte.
Und Goethe selber, meine Kniee wanken,
Zeigt sich in seiner dunklen Haustürmitte,
Die Bilder wirbeln, kreisen mir und schwanken:
Drei grelle Blitze zucken um sein Haupt,
Hat mir ein Donnerschlag den Sinn geraubt?
Der Genius sieht sich herrisch um und spricht
Mit seinem Eckermann ein mildes Wort;
Ein Wagen rasselt, es wird Sonnenlicht,
Und führt die beiden in die Gegend fort.
Ich steh noch immer: hab ich ein Gesicht?
Der Goetheplatz ward mir zum Gnadenort.
Und »artig« fährt die Kutsche durchs Gelände;
Ich steh noch immer, im Gebet die Hände.
Und wieder Nacht. Es hängen Wolkenmassen
Und decken zu den alten, treuen Mond.
Es pladdert auf die stillen, lieben Gassen,
Und selbst der Goetheplatz wird nicht verschont.
Ich werde wieder Ich und geh gelassen
Im Tropfenklatsch, als wär ichs stets gewohnt,
Gewohnt den Wolken wie den Sorgenregen,
Auch Goethe kannte diesen Himmelssegen.
Der Regen stoppt. Der Wolkenhang verschwindet;
Nur eine letzte kleine Schicht noch narrt
Wie eine Hand den Mond, daß er erblindet.
Die Fernen alle haben sich verwahrt;
Kein Funke, der den Nebel überwindet,
Kein Funke, der die Welten offenbart.
Doch da, was ists, ich gehe hügelauf:
Ein Licht nimmt zu mir seinen schnellen Lauf.
Ich weiß, woher das matte Leuchten fällt,
Ich weiß, woher des treuen Türmers Schimmer:
Ein Träumer, den nichts angeht mehr die Welt,
Ruht dort, von Liebe überwacht, im Zimmer,
Dem kein Geschrei mehr in die Ohren gellt;
Am Ufer nächtigt nun der kühnste Schwimmer.
Ich beuge dir mein Knie, du mächtiger Geist,
Der uns die Zukunft schüttelt und verheißt.
Wär ich dir, Friedrich Nietzsche, nah gewesen
In deiner fürchterlichen Einsamkeit:
Ich wär des großen Königs Narr gewesen.
Dich hätte sicher mein Humor befreit;
Es wär ein Freund zur Seite dir gewesen,
Ein Freund, demütig deiner Weltweisheit.
Ich hätte wettgemacht als Zeltkumpan,
Was Unverstand und Bosheit dir getan.
Zum Stern wird oben nun das Zimmerlicht,
Zu einem Stern, der stürmisch lebt und loht
Und aus der Dunkelheit ins Dunkel bricht.
Und andre Sterne, grün und weiß und rot,
Vasallen, schimmern um ihn los und dicht,
Von ihm entzündet, von der Welt bedroht.
Leb wohl! Dein schöner Traum zieht durch die Nacht,
Von treuer Schwesterliebe überwacht.
Ich wandte mich ergriffen weg und ging
Durch einen Frühlingsmorgen, den sich leise
Gott selbst zur Freude auf die Erde hing,
Zum Zeitvertreib auf seiner Weltenreise.
Die erste Röte stand am Himmelsring,
Die erste Lerche sang zu ihrem Preise,
Und Mandelblütenzweig und Tulpenbaum
Verbrämten diesen Paradiesestraum.
Marienblümchen äugen aus der Weide,
Das Goethe-Veilchen lugt am Waldesrand;
Wie lind die Luft sich legt aufs Taugeschmeide.
Der Löwenzahn durchwirkt das Wiesenland,
Und alles, alles prangt im Sonntagskleide
Und jubelt wie ein Kind zu seinem Tand.
Noch hat sich nicht die Sonne eingemischt;
Erscheint sie, ist das keusche Bild verwischt.
Ich ging und ging, da fand ich einen Garten,
Der lag wie all die andern tot und leer
Und schien auf einen Atemzug zu warten.
Doch dort, he, unterm grünen Blättermeer,
Wo sich die jungen Bäume dichter scharten:
Wer ist denn das, wie kommt denn der hierher?
Ich schaue scharf und seh im Morgenwind
An einen Ahornbaum gelehnt ein Kind.
Kaum vierzehn Jahre schienen ihm geschwunden;
Im bloßen Hemde stands, mit nackten Füßen,
Und weinte, schluchzte wie aus tausend Wunden,
Ganz blind und taub den lieben Frühlingsgrüßen.
Bist dus, Wulff Wittekopp? Und willst bekunden:
Du mußt die Sünden deiner Väter büßen?
Ich war erschüttert bis ins Mark hinein
Und fühlte tief des Lebens Schuld und Pein.
Holl Ebb! Es zanken sich auf Bank und Watten
Der Austernfischer und der Regenpfeifer.
Ich sitze noch in meines Schirmes Schatten
Als Märchenschwelger und Gedankenschweifer,
Und höre hinter mir auf satten Matten
Das Brummen und Gebrüll der Gräserstreifer.
Der leise Westwind meines Strandgedichts
Lullt mich in Träume, weiter will ich nichts.

Achtzehnter Kantus: Der sonderbare Herr vom Mars.

Ein warmer, wundervoller Tag der Ruth.
Ich streife, schußgehalten mein Gewehr,
Im Drillichkittel, mit dem Jägerhut,
Durch Stoppeln und an Knicken hin und her,
Durch Kohl, Kartoffeln, wies der Jäger tut,
Wenn er im Herbst den Hühnern macht Beschwer.
Die Hitze wächst, die Beute wuchs zu Hauf,
Ich suche wieder plane Wege auf.
Und mich begleitet bald ein Frauenzimmer,
Ein Weib in togaähnlichem Gewand,
Stumm, ernst; wie sticht sie ab vom Sonnenschimmer!
Und ich geriet nicht außer Rand und Band,
Erschrak auch nicht, ihr Trugbild stört mich nimmer,
Bis ich den Blick von ihr doch mißlich fand.
Wer bist du, fragt ich, bist du die Meduse,
Willst mich versteinern? »Ich bin deine Muse.«
Und langsam sprach sie weiter: »Höre mich,
Was schiltst du unaufhörlich meine Güte
Und machst mich lächerlich? Besinne dich,
Was soll dein Spott! Ich brach dir manche Blüte
Vom grünen Baum, und gab dir schwesterlich,
Und sah, wie deine Stirn begeistert glühte.
Und du, du schmähst mich eine alte Vettel,
Verlachst, wie du es nennst, den dummen Bettel.«
Und sie verschwand, verworren blieb ich halten,
Gern hätt ich um Verzeihung sie gebeten,
Doch wars zu spät, und meine Bitten schallten
In leere Luft; und hätt ich auch Trompeten
Ihr nachgeschickt, Gekrach aus Wolkenspalten,
Sie wäre nicht zu mir zurückgetreten.
Und sinnend ging ich fürder meinen Pfad:
Bleib, Muse du, mein guter Kamerad!
Zwar Dichter sein in Deutschland: ist die Zeit
Nicht längst vorbei, wer hört und liest Gesänge?
Wer ist zu stiller Einkehr noch bereit
In unsrer Tage wüstem Marktgedränge?
Und doch, wer sehnt sich nicht hinaus, weit, weit
In eines sanften Tales schattige Gänge,
Einmal der Weltenwirrnis zu entlaufen
Und sich im Dichtergarten zu verschnaufen.
Mir fällt aus Byron eben ein: »Denn wißt,
Den goldnen Fittich zarter Poesie
Zerzaust der Erde Sturm und Zank und Zwist.
Ein Paradiesesvogel, schmachtet sie,
Heimwärts zu fliehn; sie findet schnell und trist,
Ihr Flügel stimmt zum Erdennebel nie.«
So singt in Dantes Weissagung Mylord.
Und noch von ihm ein andres hohes Wort:
»Poeten gibts, die ihre Poesie
Niemals geschrieben, und vielleicht die besten;
Sie fühlten, liebten, und dann starben sie,
Sie liehn der Welt ihr Feuer nicht, sie preßten
Den Gott zurück, von dem die Seele schrie,
Und kehrten lorbeerlos zu sternigen Vesten.«
Das sang der Britte, von Apoll gefangen,
Und mir ist die Zigarre ausgegangen.
Nun brennt sie wieder. Und ich schreite zu
Und freue mich des letzten Sommertages,
Der Felder, die, in Wochenbettesruh,
Der Frucht befreit, befreit des Sichelschlages,
Die Scheunen füllten; und in Schrank und Truh
Liegt blinkerblank der Segen des Ertrages.
Der Bauer fährt ins Städtchen und kauft ein,
Der Taler wandert und der Kassenschein.
Die Stare fliegen schon in ganzen Scharen
Und fallen in die hohen Pappelbäume,
Wies immer war seit undenklichen Jahren,
Eh sie nach Süden in das Land der Träume
Sich wegbegeben. Und bei seinen Laren
Schlurft sehnsuchtsvoll der Mensch durch seine Räume.
An jener Esche mit den roten Beeren,
Wer steht da? Will er Zehrkosten begehren?
Zurück, Diana, her zu mir! Sie wittert,
Sie sträubt ihr Nackenhaar; was hast du, Alte?
Was ist dir denn geheuer nicht? Sie zittert,
Als wenn der Vogel Rock sie fest umkrallte.
Nun wieder gibt sie wütend Hals. Erbittert
Die Furcht sie? Her zu mir! Warte doch, halte!
Willst du wohl her, zum Donnerwetter auch,
Seit wann wird Ungehorsam bei dir Brauch?
Wie sonderbar! Wie sieht der Wicht denn aus?
Der hat ja Flügel, hat sie festgenommen.
Nun, Lieber, sprich, wo bist denn du zu Haus,
Aus welchem Fabelland bist du gekommen?
Wer schickte dich, verlangst du Streit und Strauß,
Gehörst du zu den Engeln, zu den Frommen?
Er glotzt mich an; genug nun des Gestarrs!
Ich bin Bewohner, hub er an, des Mars.
Nicht heute kam ich an, und auch nicht lange
Bin ich auf Erden, etwa hundert Wochen.
Doch wird mir hier noch immer angst und bange,
Und meine Schläfen, meine Adern pochen,
Und mir ist schwül auf diesem seltnen Gange;
Ich magre ab, denn keiner kann mir kochen.
Mich sandte her, was mußt du mich erinnern,
Mich sandte der Minister her des Innern.
Wie? Was? fragt ich; habt ihr Minister oben?
Doch möcht ich erst noch wissen: die Kanäle,
Die wir dort sehen, sind sie ausgehoben
Von Menschen? wollt ich sagen, welche Seele,
Nein, wollt ich sagen, sind Geschöpfe droben,
Die sie auswerfen? oder ists Geschäle
Natürlicher Gewalt, durch Windeswut,
Durch Feuerschrecken oder Ebb und Flut?
Und er: Den Ländern fehlt Bewässerung,
Wir leiden Wassermangel, und so haben,
Das ist Kommando bei uns, Alt und Jung,
Das ganze Volk, bald hier bald dort zu graben,
Je nach der zeitigen Erledigung.
Doch merkst du nicht? ich will bloß Rübchen schaben
Mit einem Wort: wollt ich dir das beschreiben,
Wo würde deine arme Denkkraft bleiben.
Nur das: wir graben nicht. Das sind Maschinen
So wunderbarer Einrichtung, daß du
Sofort den Taumel hättest, wenn von ihnen
Ich dir berichtete. Laß mich in Ruh,
Ich kann dir mit Erklärungen nicht dienen;
Du wähntest doch, es sei Theatercoup.
Im übrigen, im allgemeinen, ach,
Ists wie bei euch: viel Schmerz und Ungemach
Wir keilen uns, daß uns der Rücken singt,
Wir haben Staatsanwälte, Schuster, Schreiner,
Hanswürste, aber alles ist beschwingt,
Geheimrat, Plumpudding und Gravensteiner,
Auch Dichter, die uns aber unbedingt
Mehr sind als euch, denn ihr schätzt Penny-a-liner
Entschieden höher; ein Reporterheros
Ist ja bei euch berühmter als Homeros.
Und eure Gräber? Eine Pulvertonne
Sprengt lustig unsre Toten, simplement.
Nur eine Göttin haben wir, die Sonne,
Die bitten wir bei Auf- und Niedergang:
Gib, Mutter, uns, so viel du kannst, an Wonne,
So viel dir möglich, unser Lebenlang!
Und anders auch in unserem Getriebe
Behandeln wir das Futter und die Liebe.
Die Liebe, nein, wie lächerlich ihr seid,
Wie spröde! Ihr betrachtets ja wie Schande
Bei euch im Deutschen Reich, das heißt, verzeiht,
Wohl auch in jedem andern »feinen« Lande;
Die afrikanische Sphinx lag mir zu weit,
Ich hatte keine Zeit nach ihrem Strande.
Die Liebe auf dem Mars ist nur Natur,
Uns fehlen Tugendheld und Troubadour.
Doch ich verplaudre mich, ich wollte eben
Zum Fluge, als du kamest, mich bereiten,
In meine schöne Heimat mich begeben,
Wo sich viel Arme mir entgegenbreiten,
Wo, magst dus glauben oder nicht, das Leben
Vernünftiger ist als eure Nichtigkeiten;
Und mehr des Friedens auch, trotz alledem,
Verwirklicht sich in unserem System.
Du möchtest gar zu gerne einen Blick
In meine Wunderlandschaft tun, nicht wahr?
So beuge nur ein wenig dein Genick.
Sieh meinem Aufstieg nach, dann wirst du klar
Dort meine Ankunft schauen; nur erschrick
Nicht allzusehr. Leb wohl, Herr Erdbarbar.
Und wieder dann als kleiner roter Fleck
Verschrumpft sich dir der Mars zu Himmelsdreck.
Zu Himmelsdreck, pfui, scheußlich! Und es bauschen
Sich seine Flügel, und mit mächtigen Schlägen
Durchfurcht mein Freund die Luft, ich hör ihn rauschen.
Empor, durch milde Abendröte, schrägen
Sich seine Schwingen, Rosenwölkchen lauschen
Auf seine Fahrt; aus Herrlichkeitsgehägen
Taucht nun die Nacht, er segelt ruhig weiter,
Und Flimmergold umglänzt ihn als Begleiter.
Zornfunkelnd blitzt der Mars; da, nicht zu sagen,
Erweitert sich der Stern, die Sonne gießt
Mit einem Mal ihr Licht aus, läßt es tagen,
Und wie sie so die fremde Welt erschließt,
Seh nackt ich einen schroffen Felsen ragen,
Der meilenhoch aus schwarzen Schlünden schießt
Und dessen Fläche oben breit sich plattet,
Von keinem Baum, von keinem Dach beschattet.
Inmitten steht ein kleiner Opferherd,
Von Quadern aufgesetzt. Sein weißer Rauch
Strebt kerzengrad ins Blau; und schützend wehrt
Als Polizei, das scheint hier Volksgebrauch,
Ein Ungetüm den Zutritt, scharf bespeert
Mit Stacheln rings um Rücken, Bein und Bauch.
Nun reckts den langen Echsenhals empor,
Der sich noch höher als der Qualm verlor.
Das Ungeheuer tutet. Wie das klingt!
So bläst ein Ichthyosaur ins Horn hinein?
Von überall her flattert, flügelt, springt
Ein Heer mit farbigen Fittichen, groß und klein,
Das munter durcheinander schmetterlingt.
Und von Geschöpfen schwirrt der Riesenstein,
Die emsiglich sich hier zusammenscharten,
Um meinen Gönner eifrig zu erwarten.
Und richtig, wieder kommt er mir in Sicht;
Schon stemmt er, wie die Vögel tun, die Füße,
Wenn sie sich niederlassen, vor. Da bricht
Der Jubel los, bis die Willkommengrüße
Vertönen in ein mächtiges Gedicht,
In eine Hymne, eine friedenssüße.
Dann drängt sich das geehrte Publikum
Begierig um den Reisenden herum.
Und er erzählt. So ists, wenn Anekdoten
Im Kreise einer vorträgt; alle hören
Andächtig zu, bis beim gelösten Knoten
Der Beifall klatschend tobt in Dankeschören,
Daß Brust und Zwerchfell zu zerspringen drohten,
Doch ließ sich dadurch nicht der Sprecher stören.
Was gibt zum besten denn der Erdverächter?
Endlos erschallt ein rasendes Gelächter.
Wie bei der Diebslaterne, deren Blende
Sich plötzlich vorschiebt, ists auf einmal dunkel;
Und wieder leuchtet nach der raschen Wende
Das Pünktchen feuerrot im Sterngefunkel.
Vorbei ist mein Geschichtchen und zu Ende,
Im Blattwerk über mir raunt ein Gemunkel:
Geh mit Dianen ruhig jetzt nach Haus
Und schlafe tüchtig deine Märchen aus!
Den Herd erstrebe ich mit müden Schritten,
Und das Geheimnis all der tausend Welten
Legt mir die finstern Fragen vor und Bitten,
An wen? Wer wird die Leiden einst vergelten,
Die täglich, unaufhörlich wir erlitten,
Die uns um manche schöne Hoffnung prellten.
Kennst du der Stoiker klaglose Klage?
Sie lächelt fremd: Ertrage und entsage.
Ertragen und entsagen! Ohn Begehr!
Es wird die Jugend niemals daran glauben.
Ein blonder König, äugst du, hart am Speer,
Von hohem Riff. Und deine wilden Tauben
Schickst du im Sturm aufs offne, weite Meer:
Bringt mir das Glück in meine Frühlingslauben!
Ich koppel mir den Löwen an die Brust!
Mein, mein die Kraft, die Liebe und die Lust!
Der Kampf beginnt. Der Ringplatz zeigt sich schon.
Ich will das Glück; was schwindets immer wieder.
Der Mensch, ein jeder, kämpft um seinen Thron.
Der stolze Adler schüttelt sein Gefieder.
Die Fänge wehren sich. Zum letzten Lohn
Schleudert das Schicksal in den Sand dich nieder.
Ganz klein geworden, wirst du zitternd flehn:
Laßt mich allein, ich hab genug gesehn.
Ertragen und entsagen. Nun, was meinst du?
Ists, was wir wünschen können, nicht das Beste?
Um all dein töricht Unternehmen weinst du?
Aus jeder Hoffnung wurden Gräberfeste.
Noch stemmst du standhaft dich, wehrst ab, verneinst du?
Sieh endlich deine kargen, welken Reste.
Ertragen und entsagen. Dann der Tod.
Ein Glöckchen bimmelt: Aus ist alle Not.
Aus ists! Grandios und grausam war die Schlacht!
Mensch biß sich mit den Menschen, bestiengleich.
Der blaue Blitz? Die goldne Sternenpracht?
Zwei Farben gab es nur: purpurn und bleich.
Wer hat aus Wolken gnädig dich bewacht,
Wenn du, blutüberströmt, verlorst dein Reich?
Du grenzenloser Narr, was half dein Klagen?
Du konntest nicht ertragen und entsagen.
Schon gut. Nur positiver Glaube rettet.
Doch ruhig wandle, wer nicht glauben kann,
Den Distelweg, ob auch von Neid umklettet,
Mit edelstem Gemüt, ein ganzer Mann,
Der Pflicht gehorchend, die allein ihn kettet,
Frei, stolz und stark, kein Weichling, kein Tyrann,
Und tue Gutes, sei der Menschheit Stütze,
Und meide vornehm Sündenpfuhl und Pfütze.
Ei, wie mir scheint, ich werde höchst moralisch.
Schenkt nicht die Erde so viel Seligkeiten,
Schrieb ich nicht eben etwas theatralisch?
Das macht sich so, wenn sich gewisse Zeiten
Einfinden; werden wir nicht klerikalisch,
Wenn wir auf Mittagshöh? Was, Albernheiten!
Um Gotteswillen: Ich der heilige Anton?
Nein, lieber Kesselflicker doch in Kanton!
So sei es denn. Ich esse noch und trinke,
Ich bin voll Fröhlichkeit, bin voll Humor.
Und eh in Mystik ich und Deutung sinke,
Komm ich euch, Freunde, Skaal! das Kelchglas vor.
Da fällt mir ein, ich hasse jede Schminke,
Mir klingt ein altes Lagerlied im Ohr:
Wie ziehen die Soldaten in den Himmel?
Täusch ich mich nicht, auf einem weißen Schimmel.
Wie kommen die Soldaten in den Himmel?
Auf einem weißen Schimmel
Reiten die Soldaten in den Himmel.
Kapitän, Leutnant,
Fähnrich, Sergeant,
Nimm das Mädel, nimm das Mädel,
Nimm das Mädel bei der Hand,
Soldate, Kamerade!

Neunzehnter Kantus: Die zwölf Trakehner und zuletzt der Jäger.

Erinnrung lieb ich nicht; denn ist sie gut,
Fällt uns die Kappe Schwermut übers Haupt,
Und ist sie schlecht, gleich tobt uns dann das Blut,
Wir sind der frohen Stimmung schnell beraubt.
Drum bin ich immer sehr auf meiner Hut
Und hab ihr Eingang selten nur erlaubt.
Vergessenkönnen heißt die große Kunst;
Der, der sie kann, erfuhr der Götter Gunst.
Doch läßt Erinnern sich nur schwer vermeiden,
Auf Schritt und Tritt folgt uns der Leichnam nach
Und starrt uns an: sie möchte gerne weiden,
Die alte Kuh. Es werden Bilder wach,
Die oft zudringlich sind und unbescheiden;
Es springt ein Pförtchen im Gehirn, ein Fach.
So heute Abend, als ich, wie mir schien,
Unwichtiges verbrannte im Kamin.
Zwei Worte sah zuletzt ich in den Flammen:
»Der Liebesgartenschlüssel«, »Zwölf Trakehner«.
Die beiden paßten freilich nicht zusammen
Als Fetzen meines Tagebuches; jener
Nicht zu den Hengsten, diese auch verklammen
Sich mit dem Schlüssel nicht, sind nicht Entlehner.
Der Reim hat mich geplagt, ihm fehlt das Blut,
Verzeihung! diese Strophe klingt nicht gut.
Nie darf der Reim sich quälen. Wie die Katze
Zierlich mit dem gefangnen Mäuschen spielt,
Spielt auch der Dichter bei der Reimeshatze.
Wohl besser der Vergleich: er schiebt und zielt,
Wie man Maschinen auf dem Bahnhofsplatze
Einreiht, bis alles seinen Stand erhielt.
Entsetzlich, wenn der Reim sich unrein gattet;
Das ist den höchsten Meistern nur gestattet.
Daß manchmal richtig reimen schwierig ist,
Darf niemand merken, das ist erste Regel.
Es wäre der Poet ein schlechter Christ,
Der nicht sein Wort mit gutgestelltem Segel
Gewandt läßt kreuzen, wie ein Seeobrist,
Und nicht sein Auge hat auf Riff und Pegel.
Besonders soll bei Stanzen und Ottaven
Der Leser freundlich im Fauteuil einschlafen.
Mais retournons a nos moutons, das sind
Der Schlüssel und die Hengste. Diese zwo,
Als ich sie brennen sah, zeigten geschwind
Mir meine Villa, nicht in Mexiko,
Sondern am Elbestrand, wohin der Wind
Mich früher oft hinpustete, hallo!
Ich liebte, liebe nämlich unser Hamburg,
Betracht es fast, als wär es meine Stammburg.
Sie kostet hunderttausend Mark Kurant,
Liegt auf der Landstraße nach Blankenese,
Zu Anfang Flottbeker Chaussee genannt
Sie heißt, wer weiß weshalb, Cottage Therese;
Das war in Frühlingszeit vorweg mein Land,
Als ich mich noch nicht schund mit Exegese.
O Hamburg mein, besonders o Charles Neale!
Denn Ale und Porter trink ich gern und viel.
In Frühlingszeit! und dann die Metropole!
Ich meine Frühling hier dahin verstanden,
Daß ich noch jung war, mit der Tänzersohle,
Mit Blut im Herzen, wo noch Wellen branden,
Wellen der Leidenschaft, die Aureole,
Der Glutglanz meines Leichtsinns noch vorhanden.
Wohin die Zeiten, wo sind sie geblieben,
Als ich zugleich konnt zwanzig Madels lieben!
Ich übertreibe, denn die Prüderie,
Der wir in Deutschland immer sehr gewogen,
Kann ich vertragen nimmermehr und nie.
Die schärfsten Pfeile sendet dann mein Bogen,
Denn häufig ist es nur Bigotterie,
Von falschen Zielsystemen großgezogen.
Das nebenbei; nun komm ich zu den Hengsten,
Auch mir hat die Geduld gewährt am längsten.
Bei meinem Landhaus wohnt als Nachbarin,
»Gleich links,« Geheime Rätin Regentropf,
Kommerzienrätin; das liegt schon mit drin,
Faßt einer Handelsstädten an den Schopf.
Kommerz, Kommerz, o golden ist dein Sinn!
Sogar die Tugend trägt dort goldnen Zopf.
Die Reiter selbst, wir wollen das beherzen,
Wie Falke schreibt, sind »reitende Kommerzen«.
Ich weiß nicht, was soll stets das Übelreden
Auf einen reichen Kaufherrn; hat der nicht
Durch seine Klugheit Speicher voll und Reeden,
Durch seine Vorsicht, durch sein Suchelicht?
Wenn vom Äquator schwimmt sein Schiff nach Schweden
Und wohin noch, ist das nicht ein Gedicht?
Und wenn er klüger ist als andre, nun,
Wir würden alle ja dasselbe tun.
Die Frau Geheimerat war überreich,
Sie hatte hundertneunzig Millionen.
Doch ihr Gemüt blieb lieblich, gütig, weich,
Trotz des Gefolgs von Grafen und Baronen.
Sie gab und schenkte ohne Rangvergleich
Fortwährend ungezählte Doppelkronen.
Ein kleiner Schalk im Nacken stand ihr gut,
Witz, Laune, und ein leichter Übermut.
Nur eines konnte nicht die alte Dame
Vertragen: daß ich bessre Pferde schirrte.
Das deuchte, seltsamlich, ihr eine Blame,
Daß mein Geläut am Schlitten heller klirrte,
Daß, wehe, meiner Wagen wonnesame
Lack-Eleganz den Pöbel mehr verwirrte.
Wir nannten sie die Königin der Chaussee,
Das wußten sie und ihre Hauslivree.
Wir haben Alle unsre schwachen Seiten,
Wir Menschen. Dieser sammelt Münzen, Pflanzen,
Der Meißner Porzellan, der Nichtigkeiten,
Ein andrer sieht gern Balleteusen tanzen,
Ein andrer wieder muß die Welt durchschreiten,
Und der hat nur Gefühl für seinen Ranzen,
Der ist Cellist, und der Gedichteschreiber;
Ich liebe Grogk von Rum, Hasard und Weiber.
Nun kommts: Ich saß, es war noch früh am Morgen,
An einem heitern Sommertag im Parke,
Und hatte wahrlich keine weitern Sorgen,
Als daß mich stört des Gärtners Kratzeharke.
Ich brauchte nicht zu hungern, nicht zu borgen,
Da sah ich auf der Elbe eine Barke,
Ein winzig Boot; ein Mann aus Övelgönne
Ruderts, der Finkenwerder gern gewönne.
Kein Schiff ist sichtbar sonst, nur er allein
Zieht durch den Strom; so stand wohl jener Alte,
Der zu den Römern einst durch Dämmerschein
Im Einbaum fuhr, mit tiefer Kummerfalte,
Ein Seher seines Volkes, aus den Reihn
Der Edeln ausgewählt, zum Aufenthalte
Bei ihnen, um sie flehend zu bestimmen,
Den heiligen Fluß nicht feindlich zu durchschwimmen.
Und eine Stille wars, da schoß ein Satan,
Torpedodampfer, lautlos durch die Flut;
Von Wilhelmshaven kam der Leviathan,
Trotz seiner Kleinheit Leviathansbrut.
Er kam im allerschwärzesten Ornat an,
Bezaubernd sah er aus in seiner Wut.
Unheimlich wars, es schien kein Mann an Bord,
So pfeilt er durch das gelbe Wasser fort.
Wie war der Friedensmorgen wundervoll!
Die Nachtigallen schlugen wie verrückt.
Da dacht ich: ob ich heut nicht fahren soll
Den Sechserzug, die Hellfüchse, geschmückt
Wie Pferd und Muschelwagen von Apoll,
Wenn er den Himmel durch sein Pli entzückt
Bei Jakob will ich frühstücken. Holla,
Anspannen, Zügel her! Hurra, hurra!
Um freie Bahn zu haben, muß ein Neger
Aus meiner Dienerschaft vorgaloppieren,
Bimbo auf meinem Schimmel Paukenschläger.
Der Mohr, der Gaul, den türkische Flitter zieren,
Sind jedem stets Bewunderungerreger,
Fahr ich mit all dem bunten Zeug spazieren.
Ich auf den Bock, die Welt ist mein, nun los
Zeus hopst vor Freude aus dem Wolkenschoß.
O köstlich ists, im langen schlanken Trabe
So durch den Maienhag dahinzuflitzen.
Im Sonngefunkel schmollt der Tod am Grabe,
Wenn vierundzwanzig Silberhufe blitzen,
Die adelichen Rosse, Rad und Nabe
Ihn im Vorbei mit Kies und Sand bespritzen.
Dann wird er böse sich nach mir erkunden,
Doch lachend bin ich ihm schon längst entschwunden.
Das muß ich nachholen: Sehr aufgestört,
Vernahm ich, sollte Frau Geheimrat sein,
Als sie von meinem neuen Kauf gehört.
Flugs in Trakehnen traf ihr Käufer ein,
Ihr Stallmeister; sie war erzürnt, empört,
Und konnte mir den Handel nicht verzeihn.
Ein Sonderzug bringt bald, kostbare Ware,
Sechs Dunkelfüchse an, Prachtexemplare.
Bei Jenisch-Park, bei Teufelsbrück geschahs,
Den Vorreiter hat keine Schuld getroffen,
Da raste um die Ecke, ohne Maß,
Von Flottbek kommend, scharf, in wildem schroffen
Tollkühnen Henkersjagen, Dieu nous grâce,
Ein Ablenken war nicht mehr zu erhoffen,
Der Frau Geheimrat funkelnd Sechsgespann
In eins mit meinem, wie durch Hexenbann.
Und ein Geschling von Hälsen, Mähnen, Schwänzen,
Das wie das Chaos webert, wogt und ampelt.
Ich seh des einen Fuchses Lefzen glänzen,
Weitauf, der Zähne Schnee; er schlägt, er trampelt.
Ein herrlich Bild! vergebt, ich muß es kränzen.
Und alles zuckt und zappelt, strebt und strampelt.
Der aufgeputzte Schimmel steht dazwischen
Steilhoch, wo hell- und dunkelgelb sich mischen.
Ich spring zu Boden, eile an den Schlag
Der gnädigen Frau, doch ist sie schon entstiegen.
Sie lächelt wie ein milder Januartag:
»Nur meine Schuld, Baron.« Ich: »O, Sie siegen
Ein ander Mal. Nun zu den Hengsten! Plag
Mich Gott!« Sie: »Wie sie jämmerlich daliegen!«
Ihr Hoffräulein, getroffen wie vom Blitz,
Lag reizend ohnmächtig im Wagensitz.
In dieser heikelen Minute zogen
Grad über uns zwölf Schwäne hin durchs Blau.
Die Märchenprinzen? die einst fernher flogen,
Ihr Schwesterchen zu holen? Doch zu flau
War ihnen wohl das Hoffräulein; sie bogen,
Rechts steuernd, fort, wohin, wer sagts?
Und schau: Merkwürdig, schon nach kürzest kurzer Zeit
Ist Alles flott, zur Weiterfahrt bereit.
Am Nachmittag besuchte ich die Damen,
Mich zu erkundigen, wie die Angst bekommen.
Die Herrin schien ein wenig noch zu lahmen,
Das Fräulein hatte Hoffmannstrost genommen,
Sie dankten mir für Vorfrag und Examen;
Und wenn auch noch natürlich stark beklommen,
Bat mich die Rätin doch, sie zu verbinden,
Mich morgen Abend bei ihr einzufinden.
»Herr Meier bückt sich tief: Ich bin so frei.«
Es war Gesellschaft, eine große, volle;
Großhändler, Diplomaten, Maler Klei,
Baronin Obenaus und Gräfin Bolle,
Ein Literaturprofessor, Doktor Brei,
Den seit elf Jahren die Idee, die tolle,
Nicht losläßt, einen Dichter auszugraben,
Fritz Semmelhack, den langweiligsten Knaben
Von anno Tobak; gräßlich, wirklich gräßlich.
Dann Tante Mimi, Herr Assessor Starz,
Die Opernsängerin, sehr alt und häßlich,
Frau Colorat, Herr Pastor Siebenschwarz;
In Hamburg fehlt der Prediger nie. Unpäßlich
Hatte sich nur gemeldet Bankherr Harz.
Ein General, der Oberleutnant Blander;
Für Leutnants hab ich bis ans Grab ein Tendre.
Ein Flor von hübschen Mädchen, lauter Rosen,
Und jungen Herrn, natürlich vom Kommerz.
Daß ich ihn nicht vergesse: Rentner Plosen,
Ein Lebemann, war auch dabei. Und Herz,
Der fromme Kaffeemakler. Hannchen Klosen
Verreiste leider gestern, o der Schmerz!
Und außer diesen waren, Sternenlichter,
Geladen auch zwei »hehre« teutsche Tichter.
Der eine, mittelgroß, sah einem Jäger
Nicht unähnlich, mit derben Schulterknochen
Und blauen Augen; wars ein Pikenträger
Aus Landsknechtszeit? Dem mochte stürmisch pochen
Voll Leidenschaft der Puls; ein Harfenschläger
Der? hier? nein, niemals hätt ich das gerochen.
Er trinkt und tanzt und lacht wie jedermann,
Und keiner merkt ihm was Besondres an.
Der andre war ein Süßling, lang und schlank.
Er dreht sich hin, er dreht sich her, o je,
Die blasse Wangenfarbe macht mich krank;
Und gar die Löwenlocken, jemine!
Er flüstert, Augen hoch: »Ja, Gott sei Dank«
Und äfft geziert ein grauenhaftes Weh,
Und lehnt gedankentief an eine Säule,
Und düstert wie bei Tag die Kircheneule.
Den Pikenträger überrascht ich heute,
Grad als er hinter grünen Samtportieren
Heiß einem Dämchen, der Komteß zur Peute,
Die Hände küßte, und sie mochts nicht wehren.
Er bittet: »Darf ich, meine holde Beute,
Wenn sie von mir jetzt ein Gedicht begehren,
Darf ich, das ich heut morgen schrieb, dann sagen?
Es ist an dich, ein wildes; darf ichs wagen?«
Und sie: »Das sollst du, Fred, du mußt, ich will,
Es weiß ja keiner –« eine Ampel schwankte,
Sie lag in seinen Armen, stumm und still
Vor Seligkeit; ein Palmenbäumchen rankte
Sich um die zwei, aus Eden ein Idyll,
Und eine Nachtigall im Garten dankte.
Ich schlich mich weg, als hätt ich Gift gesehn,
Und blieb erst wieder am Büffette stehn.
Entzückenderes hab ich nie geschaut
Als dies Komteßchen: von des Ganges Fluten
Ein Hindumädchen, eine Hindubraut.
Der Himalaya-Augen dunkle Gluten!
Wie auf dem Helfant, dem sie sich vertraut,
Die kleinen Hände allerliebst sich sputen,
Gold, Perlen, Blumen unters Volk zu streuen,
Um am Gewimmel kindlich sich zu freuen.
Und diese Fürstentochter will ein Dichter,
Der Kerl, wie soll ich sagen, frech blamieren,
Dem ihre Gunst sie schenkte? Wär ich Richter,
Ich ließ ihn peitschen, ließ ihn strangulieren.
Begreif ihn, wer es kann, den Ehrvernichter;
Taktvoller sind Bekunkas und Baschkiren.
Doch las ich irgendwo, daß die Poeten
Aus Wahnsinn und Genie den Teig sich kneten.
Sei ihm verziehn. Am Ende auch: wer ahnt,
Daß, wenn nun sein Poem vom Stapel gleitet,
Daß er grad ihr die Huldigung geplant,
Daß grad für sie er seinen Teppich breitet,
Daß grad für sie er tausend Wimpel fahnt,
Für sie der Hölle Schrecknisse durchschreitet.
Ich bin ein Gentleman, ich weiß zu schweigen
Und stumm mich vorm Geheimnis zu verneigen.
Die Opernsängerin sang majestoso,
Ich glaube eine Arie von Gluck.
Assessor Starz gluckst würdevoll-pomposo
Sein Immerlied: Fern auf der Donaubruck.
Herr Plosen, stets ein bißchen spirituoso
Auf Soireen, lallt: Mädel, ruck, ruck, ruck.
Bis Tante Mimi vorschlägt, daß Musik
Sich jetzt verwandeln soll in Versgequiek.
Der Pikenträger wird zuerst gebeten,
Und er verbeugt sich. Was? Ist das der Jäger?
Wo sind ihm Hirsch und Hasen? Sie verwehten;
Das ist ein veritabler Harfenschläger!
Bescheiden sprach er, ohne Lärmtrompeten;
Nur ganz zuletzt ward er zum Himmelsfeger.
Und glühend schloß er: »Uns beschützt, bewacht
Heimlich und huldvoll die herrlichste Nacht!«
Aus einem Raubzug.
Nahst du aus Ninive, schimmernde Schöne?
Nicht einen Schritt mehr, sofort machst du Halt!
Gleich auf den Thron hinauf, daß ich dich kröne!
Sperrst du dich, hab ich des Sultans Gewalt.
Trauernde, träumende indische Augen,
Trinkt ihr aus Herzen und Seele mein Blut?
Wenn sich zum Kusse die Lippen versaugen,
Sage mir, wird aus der Liebe dann Wut?
Wollen zwei Panther sich rasend zerreißen?
Feuer und Flammen entlodern der Haft:
Ringen und Raufen und Balgen und Beißen,
Sinkende Wimpern, entstürzende Kraft.
End ohne Ende. Nach kurzem Ermatten
Fliegen die Pfeile von neuem empor.
Fülle der Jugend und Sehnsucht erstatten,
Was sich verschwendrisch im Spiele verlor.
Grinsen der Schädelburg greuliche Zinnen
Deinen Triumph in die Lande, Despot?
Leichen, in Särgen verfaulendes Linnen?
Leben ist Alles! Verwesung der Tod!
Küsse mich, küsse mich, denk nicht ans Sterben,
Noch ist mit Rosen die Welt überdacht!
Heimlich beschützt uns vor Dorn und Verderben,
Heimlich und huldvoll die herrlichste Nacht.
Ein Schweigen fror durch die gedrängten Reihen,
Entsetzen packte alle Hörer an.
Der greise General, dem hundert Weihen
Bellona gab, in Ohnmacht fiel der Mann.
Assessor Starz schreit wütend: Das verzeihen
Die Deutschen nie, den Staatsanwalt heran!
Auf Polsterkissen, Sesseln und auf Stühlen
Siehst die Geladnen du in Krämpfen wühlen.
Indessen alle hart nach Atem ringen,
Aus der Betäubung langsam, schwer erwachen,
Niest Tante Mimi; ihre Löckchen springen
Vor Aufgeregtheit, sie kennt keinen schwachen
Zustand, die Sache soll ihr wohl gelingen.
Deutschland, ruft sie, soll wahrlich nicht verkrachen;
Heran, heran der andre Strophenbauer!
Der lag schon wie die Spinne auf der Lauer.
Der Längling tritt hervor, die Hand im »Busen«.
Er streicht die Mähne, seine Augen »wallen«.
Gleich kommt das Dichter-»e«; o helf»e«t, Musen!
Im Schwunge läßt er seine Rechte fallen.
Nur einen Reim noch hab ich: Kellinghusen;
Einsam sind Haide dort und Buchenhallen.
Erhaben blickt er, und im Zuckerton
Beginnt sein Lied der lange Lyrasohn:
Die Linde.
Im Abendwinde
Lispelt die Linde;
Er sitzet bei ihr.
Er tanzet, er springet,
Er wallet, er singet:
O Liebchen, mein Zier.
Es krächzet der Nachtsturm,
Es kreischet der Wachtturm,
Der Mond scheinet hell.
O Liebchen, es taget;
Was hab ich gewaget,
Hörst Hundegebell?
Ein Donnersturm bricht los, der Beifall braust,
Das Fahrzeug fährt jetzt wieder in der Richtung.
Wie der Orkan den Eichenbaum zerzaust,
Das böse Wetter droht ihm fast Vernichtung,
So jubelt Alles, lärmt und trinkt und schmaust;
Gerettet ist so Vaterland wie Dichtung.
Tantchen Mimi gebührt die Ehrenrose;
Heil ihr, bengalisch Licht, Apotheose!
Wo aber blieb der Jäger? schlich er fort
Beschämt, geknickt? er muß es tief empfinden.
Wo blieb Komteß? mein Gott, ich fürchte Mord!
Sind beide in der Elbe schon zu finden?
Getrost! sie leben. Noch ein letztes Wort:
Ich sehe sie nach Othmarschen verschwinden,
Da kenn ich Wege, heckenstill und gut,
Wo satt und matt sich küßt verliebtes Blut.

Zwanzigster Kantus: Heilwig Wohnsfleth.

Die Kindheit ist ein Nebel, ist ein Schleier,
Aus dem heraus durch unser spätres Leben
Ein Leuchten bleibt wie stille Weihnachtsfeier.
Doch hier und da nur. Manch furchtbares Beben,
Manch Schrecknis ist uns auch davon geblieben
Und läßt das Herz durch wilde Träume schweben.
Heut will ich mir Erinnerungen sieben,
Die fröhlich sich aus meinen Knabenjahren,
Phantastisch-fröhlich, durcheinanderschieben.
Ich war ein Schwärmer damals, unerfahren,
Vielleicht ein Dichter schon im »Flügelkleid«,
Und bin ein Dichter noch mit grauen Haaren.
In einem Kloster, oft und längre Zeit,
Hab ich als Kind und Jüngling einst gewohnt,
Und immer denk ich dran mit Seligkeit.
Herrlich auf ihrem Fürstensessel thront
Die Abbatissa mit dem Bischofsstabe;
Sie prangte mir wie Sonne, Stern und Mond.
Die Klosterfräulein waren, als ich Knabe,
Die lieben alten Damen mir »sehr gut«,
Und sinds gewesen bis zu ihrem Grabe.
Im Kloster lernt ich Whist und Glaubensmut,
Auch vieles Beten, das ich überstand.
Indessen kurz: ich war in treuer Hut.
Selbst als ich längst ein lustiger Leutenant,
Verwöhnten sie mich mit Geduld und Geld
Und löschten meiner Schulden großen Brand.
Besonders liebt ich Fritze Ahlefeldt.
Bis in ihr hohes Alter blieb sie jung
Und trug Humor und Klugheit in die Welt.
Wie deutlich ist mir in Erinnerung:
Sonntags saß ich in ihrem wappenreichen
Kirchengestühl mit ihr im Andachtsschwung.
Da sah ich oft mit kindlichem Erbleichen
Auf wundervoll gemaltem Deckengrund
Ein roh getünchtes scheußlich Höllenzeichen:
In all dem rosigen Engelsputtenbund:
Der eng sich um Gottvater, Christum scharte,
Grinst schändlich her ein Teufelsfratzenmund.
Als immer wieder ich den Spuk gewahrte,
Befragt ich einmal meine Hüterin,
Die aber damals mir nur offenbarte:
»Mein Jung, dafür fehlt dir noch jeder Sinn.
Bist du erwachsen, will ichs dir erzählen;
Es kommt die Zeit, dann siehst du mehr darin.«
Heut braucht die Neugier mich nicht mehr zu quälen;
»Erwachsen« bin ich längst und konnte mir
Das Rätsel aus den Klosterakten schälen.
Was ich mit Rührung las, ich geb es hier:
Die Abbatissa Abel Pogwisch saß,
Unendlich adelsstolz und streng und fromm,
In ihrem Fürstenmantel und verlas:
»Wir bieten hiermit Unsern Willekomm,
Wir, Dei Sancti gratia Domina,
Battista Rovero dem Gentilhomme.
Von Meister Tizian aus Venezia
Auf Unsern Wunsch gesandt, um Uns zu schmücken
Die Klosterwand mit Farben-Gloria.
So soll uns denn die Künstlerhand entzücken
Und, wo bisher die weiße Fläche schlief,
Aus diesem Nichts die schönsten Blumen pflücken.
Battista nimmt und küßt den Willkommbrief,
Neigt zierlich sich vorm adlichen Konvent,
Vor der Äbtissin ehrfurchtsvoll und tief.
Ein Tuscheln rinnt, wird stärker, schwillt, läuft, rennt,
Als er gegangen, durch die Edeldamen;
Ach, und die jüngste, Heilwig Wohnsfleth, brennt.
Als sie zum andernmal zusammenkamen,
Da brannte auch Battistas Herz wie Zunder,
Und Eros kicherte und sagte Amen.
Rauh war der Monat, leer stand der Holunder;
Battista malt, von Kälte fast verzehrt,
Und fertig ist zum Weihnachtsfest das Wunder.
Die heilige Nacht: Abtissa hochgeehrt,
Sitzt im Empor der Kirche auf dem Thron,
Auf ihrem Schoße liegt ein nacktes Schwert.
Nach beiden Seiten hin, fast wie zur Fron,
Ein wenig rückwärts, sitzen die Chanoinessen,
Nach ihrem Alter, müde, monoton.
Im Schatten tönt die Orgel wie vergessen,
Und leiser Knabenchor; sonst darf niemand
Sich dieser Stunde, dieses Orts vermessen.
Die Kerzen strahlen ihren sanften Brand,
Und alles Licht fängt sich zum Funkelfeuer
Um einer Wiege diamantnen Rand.
Drin liegt als Jesuskind, als Welt-Erneuer,
Liegt eine Puppe, aufgeputzt mit Flittern;
Die Weihrauchssäule steigt, die Liebessteuer.
Fürstliche Gnaden, vor der alle zittern,
Wiegt sauersüß das Wachsbild mit dem Fuß,
Um den Brokat und Goldschuh leise knittern.
Wem sendet Heilwig Wohnsfleth ihren Gruß?
Sie starrt wie abwesend hinauf zur Decke,
Wo Gott gemalt ist mit dem Opfergruß.
Und dort der Engel in der Wolkenecke,
Wen sieht sie da: Das ist ihr hold Gesicht,
Das ihr entgegenlächelt vom Verstecke.
»Er liebt mich!« Und ein himmlisches Gedicht
Zieht durch ihr Herz. Kaum kann sie sich noch halten,
Und denkt nicht mehr an ihre herbe Pflicht.
Am ersten Feiertag, die Hymnen schallten,
Da fanden sich die zwei im Dämmerschein,
Der sie umschlug mit Himmelsmantelfalten.
Der nächste Tag der Feiersingerein
Pocht an den Elbdeich, mahlend ziehn die Schollen,
Da hatten sie ihr zweites Stelldichein.
Ein Krachen kommt vom Wasser her, ein Grollen:
Die Schollen schieben sich hart durcheinander,
Die Ebbe führt sie weg, sie knirschen, rollen.
Ans andre Ufer käme kein Leander,
Und Hero müßte warten, und vergebens;
Sie schlösse nie ans Herz den kühnen Strander.
Am Ufer diesseits suchten ihres Lebens
Die beiden dumpf die heißersehnte Stunde,
Und fanden sie, o Seligkeit des Gebens!
Ein Fischerhaus am Deich schenkt ihrem Bunde
Die sichre Ruh der Liebeständelei,
Bewacht von Schnut, dem bissigen Schäferhunde.
Am Hüttchen flog ein Eisvogel vorbei,
Die Flügel blitzten wie beim Kolibri,
O Märchenblau im grauen Einerlei.
Battistas großes schwarzes Auge schrie,
Indessen Heilwigs Veilchen-Augen sanken,
Vor Wonne sanken, und er herzte sie.
Nur eine Woche band die Flatterranken
Der kleine Gott: Battista muß zurück,
Und mit ihm wandern Heilwigs Glutgedanken.
Der Liebe Reichtum ward zum Pfennigstück
Gar bald dem Flüchtling. Aber Heilwig glaubt
In treuester Erwartung an ihr Glück.
Der Frühling freilich hat es ihr geraubt:
Kein Brieflein kam, kein liebes Rückkehrzeichen,
Da ist ihr zarter Blumenweg verstaubt.
Sie fällt dem Schicksalswagen in die Speichen,
Er überfährt sie, keine Rettung mehr;
Sie will dem Tod die schmalen Hände reichen.
Schon taumelt sie, da kommt ein letzt Begehr:
Sie stürzt der kalten Fürstin vor die Füße
Und beichtet ihren sündlichen Verkehr.
Doch die stößt von sich weg entsetzt die Süße
Und gibt Befehl: Peitscht sie vom Kloster fort,
Daß sie im Elend ihre Schande büße!
Das war ihr einzig, herrisch Abschiedswort.
Dann dreht sie ihr den Rücken, läßt sie stehn,
Und untersucht des Altars Gnadenort.
Ein Tüncher aus dem Dorf, so solls geschehn,
Beklext den Engelskopf mit roher Faust:
Seitdem ist dort das Teufelsmaul zu sehn.
Mit aufgelöstem Haar, vom Wind zerzaust,
Lief Heilwig irre durch Gestrüpp und Dorn,
Von Sturm und schwerem Regenguß umgraust.
Ein Fähnlein ritt vorbei am Winterkorn:
Ei, Mädel, komm mit uns ins Nachtquartier!
Und einer hebt sie auf den Sattel vorn.
Wo sie geblieben ist auf Erden hier?
Verdorben irgendwo im Pferdestall?
Gestorben wo? Das sagt kein Amtspapier.
Es war im Mai, es schlug die Nachtigall.

Einundzwanzigster Kantus: Die singende Engelsstimme in der Klosterkirche.

Grabstille Nacht. Du hörst die Diebe schleichen
Und vorsichtig mit Hand und Füßen tasten
Und horchend stehn, wenn sie das Ziel erreichen.
Kein Lärm wacht auf, sie brauchen nicht zu rasten.
Scht, leise. Halt! Was rührt sich? Sie erbleichen.
Ach was! Nur vorwärts. Scht. Nichts überhasten.
Ein Bernhardiner bellt, fern, wie vermummt,
Dumpf, dreimal dumpf: wufwufwuf, und verstummt.
Todstille Nacht. Die Nachtigallen schweigen,
Der Dieb der Liebe schleicht sich nun heran.
Sein leiser Gang verstiebt auf Gartensteigen,
Syringen duften her von Ispahan.
Und vor der »Laube von Jasmin« verneigen
Sich kichernd Evchen und ihr nackter Mann,
Die leider niemals Bräutigam und Braut
Und niemals standesamtlich auch getraut.
Tiefstille Nacht. Kein Ton. Schlaflose Nacht,
Wer kennt sie nicht, wer hat sie nicht durchkrochen.
Die Nerven schlagen eine wilde Schlacht:
Einnicken, Augen auf, die Pulse pochen.
Am andern Morgen sind wir überwacht
Und abgespannt und fühlen alle Knochen.
Schlafloser Nächte wüste Rhapsodie,
Chaotische Gedankenlotterie.
Schlaflose Nacht. Dein Kindchen neben dir,
Wie schläfts in seinem Bettchen, fest, gesund.
Die roten Bäckchen glühen, blühen schier;
Ein wenig offen steht der kleine Mund.
Ein Beinchen schlüpfte aus dem Pfühlquartier,
Schnell steckst dus wieder in den warmen Grund.
Der Säugling schreit aus seinem Kissenflaum;
Gleich hörts die Mutter, wiegt ihn, bleibt im Traum.
Schlaflose Nacht. Ich weiß nicht, wie es kam:
Ich wühlte mich in Menschenhaß hinein.
Lieblosigkeit, Treubruch, Philisterkram,
So häuft der Mensch dem Menschen Pein auf Pein.
Wie Wölfe beißen sie sich, ohne Scham;
Statt Liebe tragen sie ein Herz von Stein.
Ja: Plus je connais l'homme, plus j'aime le chien.
Das sagt Montaigne. Bravo, Sieur! C'est bien.
Ich dachte über meine Feinde nach:
Die »ganz intimen« sind die mehr als schlimmen,
Die heuchlerisch sich freun mit Weh und Ach,
Die heimlich uns zum Leichenfraß umschwimmen,
Die erst ihr Lob uns schütten tausendfach,
Um dann am Schluß »moralisch« zu ergrimmen.
Ich kenne euch und euern Unratkübel,
Ich kenne euch! mir wird vor Ekel übel.
Schlaflose Nacht. O, aus den Menschenwirren
Zieh dich zurück in deine Heimatklause.
Da laß den Zechbrüderpokal zerklirren,
Ruh aus bei Weib und Kind, fühl dich zu Hause.
Da darf dich keiner in die Ketten schirren,
Die dir Frau Fama schmiedet mit Gebrause.
Drum preis ich stets dies eine Wort ausdrücklich:
Wer im Verborgnen lebt, nur der lebt glücklich.
Von langen Reisen war ich heimgekehrt
Aus großer Städte lautem Marktgewühl,
Und war in Poggfred wieder eingekehrt
Und fand da gleich ein seltsam Wohlgefühl:
Als wär ich aller Sünden reingekehrt
Und läge sauber auf dem Unschuldspfühl.
Nur konnt ich nicht die ersten Nächte schlafen,
Zu plötzlich trat die Ruhe ein im Hafen.
Viel Briefe gabs und Kunde mancherlei:
Grenzboten, Neue Rundschau, Nord und Süd,
Kalugas Fahrt vom Ob zum Jenisei.
Auch gabs zwei neue Füllen im Gestüt.
Ein Freundesbrief klang frisch und kummerfrei,
Ein andrer trostlos, trüb und wegesmüd.
Auch sandte mir ein Los Herr Lilienfeld
Mit sichrer Aussicht auf ein Heidengeld.
Die Stanze hab ich eben plagiiert.
Na nu? Nu na? Nunu? Nana? Na ja!
Ich hab sie nur ein wenig variiert.
Nu na? Na nu? Nana? Nunu? Na ja!
Das hat mich aber wirklich nicht geniert.
O oh, O je, O ne, O ja, na ja!
Zwar ist es Diebstahl, geistesarm und ledern;
Indes, wer schmückt sich nicht mit fremden Federn?
Ein Pergament auch fand ich vor, gefunden,
Wo, ewigen Dunkels stumpf, die Spinne webt;
Ich las von schweren, kummervollen Stunden,
Die eine Frau um ihren Mann durchlebt,
Um seines Seelenheils und Glaubens Wunden,
Noch als sie schon zur ewigen Ruh entschwebt.
Eins fiel mir auf: Ein Ritter denkt so frei
Im Jahr des Heilands Dreizehnhundertzwei?
Das mächtige Geschlecht de Prato thronte
(De Prato, später Pogwisch, von der Wisch)
Auf vielen Burgen, Gütern und bewohnte
Halb Holstein fast, freiherrlich wie der Fisch.
Frondeurs, feudal, ehern, bis Alles fronte;
So »Dat bün Ick« schlugs auf den Eichentisch.
Ein Wolf, sein Wappentier, äugt übern Zaun;
Den armen Dörpertüffeln wars ein Graun.
Erloschen, ausgestorben, ????? ???:
»Von Pogwisch heute noch und nimmermehr.«
Im vorigen Jahrhundert warens zwei,
Die letzten, Schwestern, aus dem Pogwischheer,
Die eine Priorissa der Ballei,
A. Goethe war der andern Ehebär.
Erloschen. Und auch Goethes Haus erlosch;
Der Orkus schlug den Genius wie den Frosch.
»In Zedernwipfeln nistet unsre Brut
Und schäkert mit dem Sturm und äfft die Sonne«:
Vulwoldus Quintus aus dem Wolfenblut
Und Benedicta Wohnsfleth, seine Wonne.
O wäre Gott der Welt nur halb so gut,
Wie dieser Wulfwolf seiner Lebenssonne!
Um ihre Herzen wuchs ein Kinderkreis,
Strotzend wie Blütenreis an Blütenreis.
Nur eines trennte schroff die beiden Gatten
Und war wie eine Wand im Paradies
Und gab dem Lichte einen tiefen Schatten
Und klang wie Eisensturz auf sanften Kies:
Des Ritters Glaube war längst im Ermatten,
Und sank bald ganz verlassen ins Verließ.
Die Edelfrau blieb fromme Christin stet,
Sanft gleich der heiligen Elisabeth.
Es kam zum Ausbruch mal. Der Ritter schrie:
»Laß mir die ewige Plärrerei nun sein!
Half je dein Gott? Dir? Mir? Ich glaub ihn nie;
Der Priester lügt, es lügt der Heiligenschein.
Ich fall nicht mehr vorm Sanctus auf die Knie,
Ich will mich nicht mehr wie ein Knecht kastein.
Der Tod ist nur gelöster Staub und Schleim,
Und die Unsterblichkeit ist Pfaffenleim.«
Da zog sie ihren dichten Schleier vor
Und schwieg und ging. Der Ritter sah ihr nach
Und schritt verdrießlich durch sein Gartentor
Und schaute lang in den Forellenbach.
Und bei dem Schweigen blieb es. Wie ein Flor
Hings über Fensterkreuz und Tür und Dach.
Die Frau trug heimlich ihren großen Schmerz,
Er nagt und nagt, und endlich bricht ihr Herz.
Es war ein Frühlingstag, wie keiner war,
So jung, so grün und blau, so liebelicht.
Die Märchenkönigin kämmt ihr Seidenhaar,
Die ersten Schwalben zwitschern ihr Gedicht;
Im Felde drängt sich eine Kinderschar,
Die Ringelreigen tanzt und Primeln bricht.
Da tritt der Tod der Herrin auf den Saum
Reicht ihr den Arm zum ewigen Frühlingstraum.
Die Stunde wandert. Bald geht ein Geraune,
Ein Schwatzewässerchen, durch Dorf und Land:
Ein Engel säng im Chor, daß jeder staune,
Ein Engel sei im Orgelchor erkannt.
Und das Gesumm wird endlich zur Posaune,
Das Glimmerfeuerchen zum hellen Brand.
Vulwoldus Pogwisch hörts und lacht und schilt:
Ihr Narren, weg mit euerm Nebelbild!
Doch als nicht enden wollte das Gedränge,
Als immer lauter ward der Hymnenton,
Als selbst der Bischof eintraf mit Gepränge
Und seinen Segen gab vom Weihethron
Und unter Blumenfracht und Blattgehänge
Ins Kirchlein bat den Ritter, den Patron:
Da kam er trotzig, ohne Psalm und Träne.
Sein Wappenwolf zeigt über ihm die Zähne.
Der Knabenchor beginnt die Litanein,
Da horch! Zur Orgel, wie aus Himmelshöhn,
Singt, unsichtbar, ein Engel selige Pein.
Frohlocken bald, bald leises Gramgetön;
Zuweilen singt die Stimme ganz allein,
Nun wieder mit im Chor wie leis Gestöhn.
So wechselt immerwährend der Gesang,
Bald überirdisch fremd, bald sterbensbang.
Der Bischof, um ihn die Gemeinde, kniet
Mit tiefgesenkter Stirn und lauscht dem Wunder
Und nimmt demütig hin das Sternenlied:
Gottvater ist der langmütigste Stunder,
Wacht auf, wacht auf, ehs einst zu spät geschieht,
Hört euch ins Herz den Liebesgnadenzunder!
Und einer kennt die Stimme ganz genau;
Er weiß, es ist die Stimme seiner Frau.
Ein Felsen, aus dem plötzlich Tropfen quellen,
Ein Fels, der plötzlich bebt und schüttert, schwankt,
Ein Riese, der von wilden Stromesschnellen
Plötzlich umwirbelt wird und zitternd wankt,
Ein Hirsch, den hundert Rüden laut umstellen,
Ein Stolzer, den das Schicksal niederzankt:
Das ist der Ritter nun, ein Betteljunge.
Sein Wappenwolf zeigt über ihm die Zunge.
Wie die Geschichte weiter sich begeben,
Ich las es nicht. Ob er zu Kreuz gekrochen?
Ob er der Kirche schenkte Gut und Leben
Und ließ sich von den Pfaffen unterjochen?
Und gab sein Wort, wenn auch mit Widerstreben?
Ob ers gehalten hat? Ob ers gebrochen?
Oder ob er ein Thomas ist geblieben?
Das alles fand ich nirgends aufgeschrieben.

Zweiundzwanzigster Kantus: Die ausgehungerten Klosterfrälein.

Der müde Tag in Poggfred trieb mich heute,
Ballast und alte Briefe zu verbrennen.
Aus einem klang es schwer wie Grabgeläute.
Die Unterschrift war nicht mehr zu erkennen.
Unleserlich. Mein Gott, was schadets auch,
Was braucht man jeden Namen gleich zu nennen.
»Nun fällt mein letzter Blick auf Strand und Strauch.
Von meinen Bäumen will ich Abschied nehmen,
Von meines Herdes heimatruhigem Rauch.
Der Friede wars. Der Friede sonst: ein Schemen,
Ein Schattenring, der stets voran uns rollt,
Wird niemals sich um unsre Stirn bequemen.
Die Kindheit, schön, die haben wir durchtollt,
Und ahnten nichts vom spätern Wetterschlag,
Der immerwährend aus der Ferne grollt.
Was trotzige Erfahrung auch vermag,
Wir alle, ohne Ausnahme, verneigen
Uns demütig vor jedem Leidenstag.
Ich hab genug von diesem einzigen Reigen,
Der alle Menschen aneinanderkettet,
Und will hinübergehn ins schwere Schweigen,
Und bin aus allem Drang und Druck gerettet.
»Lebt wohl, ihr meine Bilder, meine Möbel,
Der alte Junggesell will euch verlassen;
Den Erben fallt ihr zu, vielleicht dem Pöbel.
Fi donc! o mein Empire: auf allen Gassen!
Das ich umklammert hab, ins Herz geschlossen
So lange, lange Zeit; kaum kann ichs fassen.
Uns Menschen hab ich nun genug genossen!
Die Liebe? Was ist Liebe? Höchstens nur
Die Liebe zur Familie, zu den Sprossen.
Wen lieben wir denn sonst? Und die Natur:
Geschlechtsdrang: Bis die letzte Perle fiel
Von dieser wundervollen Venusschnur.
Und aus ists mit dem wilden Gürtelspiel.
Und weiter? Konnten wir zu jeder Zeit
Wie Hunde schlafen, wars uns nicht ein Ziel?
Doch wem gelang diese Gelassenheit?
Nicht das einmal! Selbst in den Traum hinab
Peitscht uns des Daseins drohende Dreistigkeit.
Der Drache Tod speit uns wie Schmutz ins Grab,
Er überfällt das arme Lamm des Lebens,
Er reißt uns aus der Faust den Pilgerstab.
Ich sah den Geifer seines ewigen Strebens.
O Neid, setz deine gelbe Mütze auf:
Du hemmst mich nicht, dein Halten ist vergebens.
So ruf ich selbst mir: stopp! auf diesem Lauf;
Besinne dich nicht mehr, vorbei das Rennen,
Das Ganze war ein lästiges Gerauf.
Ists denn so schwer, von allem sich zu trennen?
Den Schlüssel her! Geschlossen ist mein Haus!
Zu gründlich lernte ich uns Menschen kennen.
Und lieber als der Mensch ist mir die Laus.
»Doch möcht ich nichts von einem Abschied wissen
Von meinen Pferden und von meinen Hunden;
Da fühl ich tiefen Schmerz, sie zu vermissen.
Mit euch verlebte ich die besten Stunden.
Treu wart ihr, Kameraden, ihr bewährten;
Das will ich hier ausdrücklich noch bekunden.
Und wenn an mir Schwermut und Kummer zehrten,
Ihr ließt mich nicht mit eurer Tröstung warten.
Drum sag ich euch betrübt: Lebt wohl, Gefährten.
Niphetosrosen, und mein ganzer Garten,
Ihr beiden von mir hergepflanzten Eichen
Aus fernem Walde, Odins Wachtstandarten.
Du mächtige Balsampappel, Erdlustzeichen.
Ihr Rieseneschen. Kleine Vögel ihr,
Die twiht, twiht, twiht im Herbst vorüberstreichen:
Lebt alle wohl, ihr lieben Freunde mir.
Ihr Schwäne mein: wie krause Fähnchen wehn
Die obern Federn eurer Flügelzier,
Wenn sich mit Stolz die kräftigen Schwingen blähn.
Leb wohl, mein Meer: ich hör hierher die Wucht,
Seh deine Wikinger am Ufer spähn.
Die Rabenfahne flattert aus der Bucht.
Nun gehts in See! Wem gilt die Räuberfahrt,
Wo landet ihr, in welcher Nordlandschlucht?
Euch Allen: Gute Nacht. Der Friede harrt
Auf mich und schickt sein heitres Blumenboot:
Schenk deine Zukunft uns und Gegenwart.
Ich scheid kalt und ruhig in den Tod.«
Tralalala! Was sind das für Grimassen!
Wie konnte Jener solchen Unsinn schreiben!
Wer wird die Welt ob ihrer Rätsel hassen
Und liebster Art mit schwarzen Segeln treiben.
Gemach, gemach, wir werden schon erblassen;
Was wollen wir uns freiwillig entleiben.
Ich höre hellen Sang vorüberziehn
Von Schwärmern, die den Totengräber fliehn:

Und dabei fällt ein lustig Stück mir ein,
Ich will es ohne weitres hier erzählen.
Ein Jungfernkloster liegt im Heiligenschein,
Wo, Gloria in excelsis, zarte Kehlen
Sich ablösen mit rauhem Mönchslatein;
Hart schreit es in die jungen Nonnenseelen,
Der Priorissa Gubernaculum.
Conventus Sanctimonialium.
Ach, alle diese blassen Klosterlilien,
Wie müssen sie sich mit den Horis plagen.
Und in der Nacht erklingen die Vigilien,
Erklingt es leise durch wie Sehnsuchtsklagen
Nach ihren Spielen, Gärten und Familien;
Wie mag ihr Herz nach Lust und Liebe schlagen.
Doch streng in Zucht hält Messe, Sakrament
Den Liebreiz im hochadlichen Konvent.
Nur eine Freude haben sie im Jahr:
Ist gut das Heu zum Einfahren gereift,
Dann holen sie es selbst. Die Fräuleinschar
Wird dann vom frischen Juniwind gestreift;
Noch schlägt die Nachtigall am Brautaltar,
Die Drossel flötet und der Starmatz pfeift.
Und hoch auf ihren Wagen, bandgeschmückt,
Kutschieren sie zurück, frühlingsentzückt.
Reich ist das Kloster an Besitz und Zehnten,
Die überall aus Marsch und Geest herkommen.
Wohin sich auch die Ländereien dehnten,
Es muß den Einkünften zum Segen frommen.
Und wenn die Fürsten mild mit Gut belehnten,
Ward es von ihnen nie zurückgenommen.
Doch was der Grundzins trug den Chanoinessen,
Das wurde ihnen kärglich zugemessen.
»Und sind Euch sonst zu Gnaden wohlgewogen«,
So spricht die Priorissa stets am Schluß;
»Ihr seid durch Fasten nicht genug erzogen,
Für Nonnen gibt es keinen Überfluß.«
Die jungen Damen blieben drum betrogen,
Und schmeckten nur Mariens keuschen Kuß.
So grämten sich die magern Jungfern weiter
Und klommen höher auf der Himmelsleiter.
Da kommt ein Unglücksjahr. Die Deiche brechen,
Die Wasser reißen in die See das Land;
Und was die wüsten Wirbel nicht durchstechen,
Das wird von Sturm und Hagel übermannt.
Nun will der rote Hahn auch noch mitsprechen,
Und rings sind Stall und Scheunen aufgebrannt.
Das reichste Kloster geht als Bettler aus
Vor jede Tür, vor jedes Bauernhaus.
Das ist zuviel! Es sehen froh die Nonnen
Der Arbeit Schweiß, das Brot, der Arbeit Lohn.
Da tauchen selbst sie in den Lebensbronnen
Und helfen mit, und sind dem Zwang entflohn,
Und sind den Leibessorgen bald entronnen;
Sankt Paul entsetzt sich drum, ihr Schutzpatron.
Sie aber graben, jäten Feld und Acker,
Und sind umschrien von Gans- und Huhngegacker.
Und Abel, Jutta, Silk, Lange Kerstine,
Ruth, Gesche, Wybe, wie sie alle heißen:
Den Anfang machen Heilwig, Beeke, Gine,
Die mit dem Landmann sich zusammenschweißen
In treuer Ehe, fleißig wie die Biene,
Und ihre Kraft in franker Fron verschleißen.
Und aus den längst verfallnen Klostermauern
Erwächst ein Kerngeschlecht von freien Bauern.

Dreiundzwanzigster Kantus: Die besoffenen Bauern.

Sag mal, was hältst du eigentlich vom Leben?
Ist es ein sanftes Hängemattenwiegen?
Ein lustig Maschenspiel aus Goldgeweben?
Ein trautes Laubenfest, sommerverschwiegen?
Ein Paradies, wo immer Engel schweben?
Bachanten rings in Rausch und Reben liegen?
Das Leben ist ein Uhu auf dem Knauf,
Der immerwährend knarrt und knurrt: Paß auf!
Im Gang der Jahre hab ich das gefunden:
Hilfst du mir, helf ich dir. Ja: Do ut des!
An »Interessenpolitik« gebunden?
Nichts weiter, Herrschaften, ich sage: Yes!
Nur das wäre der Inhalt unsrer Stunden?
Was aber sagte weiland Sokrates?
Was Sokrates gesagt hat, weiß ich nicht;
Es hat ein jeder seine Weltansicht.
Der Himmel säuselt: »Menschen san mer alle.«
Die Erde donnert: Schafskopf, du allein
Hast dich in dir, sonst sitzt du in der Falle
Und alle andern werden klüger sein.
Sei Egoist! Und zeige Krieg und Kralle:
Weg da! Was wollt ihr denn! Der Kram ist mein!
Ein graunhaft Wort; doch wenn wir älter werden,
Teilt sich der Vorhang immer mehr auf Erden.
Die Ideale sind in Nichts versunken.
Der tumpe Parsifal ist greis geworden;
Er trank den Gralskelch leer und war betrunken,
Dann schied er nüchtern aus dem Hohen Orden,
Und steht gewitzt nun unter Erzhalunken,
Den lieben Menschen, diesen Stinktierhorden.
Das Bild von Sais sank in sich zusammen,
Und aus dem Krater brachen Rauch und Flammen
Lieblosigkeit verbirgt sich, die Hyäne,
Bei uns oft sehr verbindlich unter Rosen.
Doch schwinden diese Rosen von der Szene,
So zeigt sie sich wie grobe Lederhosen,
Und wird sich, wie ich noch zum Schluß erwähne,
Wie eine Furie darob erbosen.
Lieblosigkeit und Schadenfreude sind
Uns angeboren wie der Grind dem Kind.
Ausnutzen jeden, der uns nützen kann:
Das, scheint mir, spielt bei uns die größte Rolle.
Durch Suggestion, als Heuchler, als Tyrann:
Gleichviel, wie kapern wir die beste Wolle?
Mit Tod und Teufelsmitteln lobesan,
Mit Schmeichelei, wohl gar mit Hauskontrolle.
Läßt sich denn diese Strophe nicht vermummen?
Gradaus gesagt: Die Klugen und die Dummen.
Sasasasa! Genug »Philosophie«:
Es möge männiglich die seine haben
Und sich auslassen über Mensch und Vieh.
Nur soll er uns sein Licht ins Herz nicht graben,
Als wärs die einzig richtige »Theorie«
Und über jeden Widerspruch erhaben.
Laßt uns getrost aus Schwall und Schwulst uns schälen
Ich will dafür euch einen Ulk erzählen:
De Luus (Die Laus): so heißt ein Bauernkrug,
Der nicht zu weit vom alten Poggfred liegt,
Wo sich das Fuhrwerk ausruht und der Pflug,
Ein Erzschelm lügt, daß sich der Balken biegt.
Zuweilen hält auch an ein Hochzeitszug;
Kurz, alles Leben lacht dort unbesiegt.
Doch muß die Lust gar oft nur Leid betäuben;
Dann schaudern wir, daß sich die Haare sträuben.
Hier tranken sich mal toll und voll vier Bauern.
Des einen Wagen hat sie hergebracht.
Er selbst kutschierte. Und die Pferde lauern
Nun mit gesenktem Hals bis Mitternacht.
Ich möchte mit den armen Gäulen trauern,
Es hat kein Mensch an ihren Durst gedacht.
Ein wüster Lärm dringt her: Die Zecher gröhlen,
Als säßen sie im Schoß von Tenfelshöhlen.
Die Ernte diesmal: besser noch als gut,
Ja, zwanzigfältig bogen sich die Ähren.
Da setzt sich mal der Landmann schief den Hut:
»Hüt wüllt wi uns mal, dammmich! ameseern.«
Gesagt, getan. Im Willen wächst der Mut.
Wer wirds nach ihrer Arbeit ihnen wehren.
Doch endlich nehmen Peitsche sie und Stock
Und fahren ab, die Schädel voll von Grogk.
Stockfinster ist die Nacht. Noch kreischen sie
Und schreien durcheinander wie verrückt.
Der Mensch wird tierisch, menschlich wird das Vieh;
Die Braunen traben nüchtern, unverzückt.
Mählig verstummt die edle Kompagnie,
Das schwere Haupt in halbem Schlaf gebückt.
Bis einer aus dem Wagen fällt, seekrank,
Und in den Graben kullert und – ertrank.
Die andern fahren ihres Weges weiter,
Von ihnen hat es keiner wahrgenommen.
Im Dusel träumen sie von Land und Leiter,
Daß sie auf ihrem Hofe angekommen.
Sie schwanken, ihr Gehirn wird breit und breiter,
Sie lallen dösig, halb und halb beklommen.
Da fällt der zweite ab von seiner Bank
Und kullert in den Graben und ertrank.
Stockfinster ist die Nacht. Die andern rollen
Gemächlich vorwärts. Halt, ein Fenster blinkt.
Die beiden steigen poltrig ab. Sie wollen
Noch einen trinken. Also hingehinkt.
»Wo sünd de annern?« Die sind schon verschollen.
»Och wat.« Und weiter gehts. Manch Sumpfloch winkt.
Da fällt der dritte von der Wagenbank
Und kullert in den Graben und ertrank.
Stockfinster ist die Nacht. Der Kutscher fährt
Allein durchs Land. »De annern? Na, man to.
De annern? an–nern?« Hat sichs ihm geklärt?
Hat ers gemerkt? »Wat? . . Jan! Na, denn man to.«
Die Pferde haben sich wie stets bewährt.
»Wat? . . Wo sünd . . . Dunnerslag! Na, denn man to.«
Der Zügel fällt ihm aus der Hand . . ju . . jank . .
Er kullert in den Graben und ertrank.
Die blasse Morgenröte schweigt empor
Und sendet ihre frostigen Grüße her.
Die beiden Braunen stehn vorm Scheunentor,
Bespritzt ist ihr Geschirr, der Wagen leer.
Ein Vogelruf, der sich im Feld verlor,
Und weite Stille dehnt sich bis ans Meer.
Die Sonne, die nun ihren Bogen zieht,
Ist ohne Wißbegier, was sie auch sieht.

Vierundzwanzigster Kantus: Buntes Theater.

Auf einer Wanderung durch meine Haide
Fand mittendrin ich einen Gottesacker.
Die wenigen Kreuze auf der Leichenweide,
Die einst hierhergepflanzt der Sargverpacker,
Verloren längst ihr bißchen schwarz Geschmeide.
Wie ärgerlich geprellte kleine Racker,
Gesunken, schief, vergessen, standen sie
Um einen großen Stein in Szenerie.
Und dieser große Stein war auch ein Grab,
Doch lag er fest, auf Quadern, steil gebaut.
Es schien, als zög ihn keine Macht herab;
Vielleicht hat ihm der Maulwurf nicht getraut.
Die Inschrift brach der Regel schroff den Stab;
Verblüfft hat, wer sie las, sich umgeschaut.
Gemeißelt und gefeilt war die Maxime,
Höchst sonderbar, in? in ottave rime:
»Ganz ohn Belang ist, wer hier unten stinkt.
Doch wett ich mit dir, Leser: meine Knochen,
Wenn du dies liest, sind schon mit Mehl geschminkt,
Und vom Diner ist satt der Wurm gekrochen
Und hat den andern Würmern abgewinkt,
Hier sei schon längst der letzte Toast gesprochen.
Drum: wer hier unter diesem Stein vermorscht,
Das bleibe, weil gleichgültig, unerforscht.
Was ist mein irdisch Dasein denn gewesen?
Ein bunt Theater, ganz wie eure Bühne,
Wie jedes Menschen Bühne, auserlesen
Zu Qualen, vieler Schuld und wenig Sühne,
Bis uns der Tod mit seinem harten Besen
Wegfegt: Verzeihung, daß ich mich erkühne.
Zuweilen hat mit seinen Schelmenpossen
Pierrot uns ein Narrenfest erschlossen.
Sonst war es nur ein einzig Trauerspiel,
Das Große Trauerspiel, das uns umnebelt,
Das vor uns, um uns, in uns hat sein Ziel,
Dem Alles untertan, das Alle knebelt.
Und sperrst du dich mit deinem Pappenstiel,
Du wirst doch unbarmherzig totgesäbelt.
Das nennen einige Komödie;
Es ist die furchtbarste Tragödie.«
Auch ich stand sehr perplex, als ich das las.
Nein, so schlimm ists doch nicht mit unserm »Sein«.
Pierrot, komm, und zeig dich mal en face!
Da bist du ja, mein lustig Maskenschwein.
Nicht wahr: Das Leben ist ein scheckiger Spaß?
Schwing augenblicklich uns dein Walzerbein!
Pierrot macht Grimassen, tanzt und holpert,
Gebraucht das Tamburin, lacht, weint und stolpert.
So recht! Da haben wirs. Das ist das Leben!
Freilich, zuletzt der Tiefsprung in die Gruft.
Doch warum vorher schon in Trauer schweben?
In steter Angst vor jeder Todeskluft?
Hinüber. Mut! Und springst du mal daneben:
Herausgekrabbelt wieder an die Luft!
Dein Atem fliegt! Du stehst auf festen Füßen
Und brauchst das Abenteuer nicht zu büßen.
Wie unterschiedlich sind des Menschen Pfade!
Wahrlich, ein bunt Theater ist es immer,
Ein Wechsel stets, bald Glück, bald Hagelschade,
Bald dunkle Wolken, bald ein Sonnenschimmer.
Im Ganzen: eine Donquijotiade,
Wir halten uns für große Schicksalsschwimmer.
Genießt den schnellen Tag! Habt ihr genossen:
Je nun, der Fisch streckt endlich auch die Flossen.
Genießt und kämpft und wehrt euch bis aufs Messer,
Sonst seid ihr ohne Frage gleich verloren.
Rudert getrost im wildesten Gewässer,
Es winkt ein Hafenplatz. Nur fortrumoren!
Das sagt viel kürzer, geistvoller und besser
Der größte Geist, den Deutschland je geboren:
Noch ist es Tag, da rühre sich der Mann,
Die Nacht tritt ein, wo niemand wirken kann.
Denn einmal müssen Ich und Odem enden:
Propst, Leichenwäscherin, Lebwohl, der Sarg.
Dann liegen wir mit steifkoketten Händen
Im letzten Hemd, kühl, kusch dich, keusch und karg,
Und dürfen nun im ewigen Schlaf verschwenden,
Was geizig uns der kurze Tag verbarg.
Bertouch, zum Donner, schnell eine Chartreuse!
Die gelbe her! Die grüne ist zu böse.
Das Leben! Ja, wie sollen wir es leben?
Ists besser, schon bei Lebzeit zu verschwinden:
Allein sein? Als Philister stets zu beben
Vor jedem Hauch, versteckt vor Winterwinden?
Schon recht. Doch lieber uns den Wolken geben,
Entschluß, Genuß und Schlachtentage finden.
Der Borgia, Ces?re, fällt mir ein. Wir Krümper,
Wir Espenlaub! Der Borgia war kein Stümper.
Napoleon, Caesar, Hannibal und Fritz,
Und die ganz wenigen noch, die »Menschen« waren,
Die zeugte Jupiter mit einem Blitz
Und wies sie an mit donnernden Fanfaren:
Nun zeigt euch würdig euerm Ahnensitz
Und treibt die »Leute« rücksichtslos zu Paaren,
Bis staunend sie vor euch ins Knie gesunken
Und sich bekreuzen: das sind Sternenfunken!
Wir fragen immer: Was ist ein Genie?
Und keine Antwort wird es je verkünden:
Woher es kam, warum und was und wie.
Ein Lavastrom aus unermessenen Schlünden,
Der plötzlich all sein herrlich Feuer spie
Aus Himmelshöhen oder Höllengründen.
Ja, staune, Welt, daß einst am Hochaltar
Die Erde einen Beethoven gebar.
Wir andern, die wir hier im Staube krauchen,
Begeifern jeden, der sich unserm Geist
Erhaben gegenüberstellt, und pfauchen
Ihn an wie Katzen; nörgeln dumm und dreist,
Sobald sich einer anschickt, aufzutauchen
In andre Luft, als unsre Lungen speist.
Doch das Genie dringt durch und siegt und ragt.
Ja, haben wirs nicht immer gleich gesagt?
Ja, haben wirs nicht immer gleich gesagt?
Bertouch, schnell, mir wird übel, einen Kümmel!
Was schadets, wenn mal ein Genie verzagt?
Wir bleiben halt die alten Straßenlümmel,
Bekritteln alles, was uns nicht behagt,
Und wälzen uns sauwohl im Marktgetümmel.
So wird es bleiben bis in Ewigkeit,
Einsam durchfurcht der Genius seine Zeit.
Chartreuse? Kümmel? Fehlt nur noch der Grogk,
Den ich, in Wahrheit, wirklich gerne trinke.
Professor Biese droht mir mit dem Stock,
Bis ich errötend an die Brust ihm sinke:
Pater peccavi! Spann mich in den Block,
Daß ich, entlassen, jämmerlich abhinke.
O diese Pieplipiep- und Teetischseelen!
Genug, genug! Wir wollen uns empfehlen.
Mein liebes Poggfred ist heut ganz verschneit,
Der Winter ist Aristokrat sans phrase:
Wir sitzen schön allein und sind gefeit
Vor mancher unbequemen Schnüffelnase,
Die sonst, zur Ehrabschneidung stets bereit,
Bei mildem Wetter uns gesandt die Straße.
Der Sommer ist der Demokrat dafür,
Da sitzen alle Leute vor der Tür.
Was tu ich jetzund, um mich zu zerstreuen?
Nehm ich Montaigne? Rabelais? Stendhal?
Jag ich in fernen Ländern Skunks und Leuen?
Verkleid ich mich als Schah Sardanapal?
Beug ich mein Haupt, um finster zu bereuen?
Bitt ich zu Tisch mir Macbeths Ehgemahl?
Bunt ist die Welt, der Specht, das Portemonnaie,
Viel bunter das Gedankenvarié.
Spiel ich aus Opus Hundertelf Arietta?
He: Achtung! präsentierts Gewehr! vor Ihm.
Kram ich in alten Briefen von Marietta?
Fürcht ich das Flammenschwert der Cherubim?
Denk ich an Metz, Noiseville, Gambetta?
Werd ich mit Greten Haberschnack intim?
Bunt ist die Welt, das Schicksal, he juchhe,
Viel bunter das Gedankencabaret.
Wie wärs, wenn ich mir meine Nachbarn lüde
Zu L'hombre, Whist, meintwegen Baccarat.
Dann käm die alte Gräfin Rossenrüde
Auf Windesflügeln her: Douze et le va!
Denn die wird selbst im Sarg des Spiels nicht müde
Und jeut noch mit des Teufels Großmama.
Bunt ist die Welt, der ganze Lebensbettel,
Viel bunter das Gedankenüberbrettl.
Da fällt mir ein – so sind Gedankenknoten:
Beim Worte »Überbrettl« fällts mir ein –
Las ich nicht neulich unter Anekdoten
In einem Blatt von Qual und Liebespein
Und Eifersucht, von Mord und von zwei Toten?
Als »Anekdote« wirklich rührend fein.
Und ich erzähle nun, was ich gelesen,
Als wär ich selber mit dabei gewesen:
Ein dunkelgrauer Vorhang hängt wie Blei
Vor einer kleinen Bühne schwer herab.
Ringsum, von taubengrauem Samt, stehn frei
Zwei Hundert Stühle, still wie um ein Grab.
Plötzlich entflammt sich wie durch Zauberei
Elektrisch Licht, wie bei der Königin Mab.
Es gilt: intime Kunst im engen Raum,
Für zwanzig Mark »à Platz«, man glaubt es kaum.
»Erfrischung nach des Tages Kampf und Hitze«
Soll dieses Liliputtheater schaffen.
Die feinste Parodie, groteske Witze,
Geist, Übermut sind hier die Angriffswaffen,
Hanswurstens Pritschenschlag, Thaliens Blitze;
Melpomene mag sich zusammenraffen.
So durcheinander: Lebenslust und Schmerz
Erobern sich der Gäste harmlos Herz.
Der bunte Abend naht dem Ende schon;
Nach einem Schwank voll blendender Caprice
Beansprucht die Tragödin nun den Thron,
Verläßt den Warteplatz und die Kulisse
Und zeigt sich uns, im Kranz von rotem Mohn,
Und offenbart des Dichters Seelenrisse.
Das Karmen, das sie bebend sprach, war Schund.
Ich gebs hier wörtlich nach dem Textbuch kund:
Die Mörderin.
(Grelles Mondlicht. Aus einem Gebüsch kommt, gleichsam nachtwandelnd, langsam ein Weib, einen Dolch in der Rechten. Sie starrt mit weit geöffneten Augen in den Mond.
Anzug: Luise Millerin. Kranz Opheliens im Haar.)
(Groß, rauh:)
Du Mond, gib all dein silbernes Licht,
Daß ich in Strömen stehe von Stahl,
Wie die Furie aus einem Nachtgedicht.
(Mit völlig veränderter, mit hingebender Stimme:)
Wie die betaute Blume nach sengender Qual,
Wie ein Mädchen, das erreicht hat, was Liebe gewollt,
Die nicht mehr bettelt, die nicht mehr schmollt –
Beglänze, Mond, meinen Hochzeitssaal.
(Sie betrachtet den Dolch:)
Du warst mein Erlöser. Ich hab mich gerächt.
Er hat mich gequält. Meine Seele zersprang.
Mein Blut ist toll und ungeschwächt,
Ich ertrug nicht mehr diesen furchtbaren Drang.
Ich hab ihn ermordet, das war mein Valet;
Geknickte Zweige sind sein Bett
Nun stimm ich an meinen Festgesang:
(Lyrisch gedacht und lyrisch gesprochen:)
Ein Frühlingstag, weißt du, der Buchfink schlug,
Du fandest mich unter dem Apfelbaum;
Über uns schwenkte ein Taubenflug,
Und die Blüte sank, wie ein Traum, wie ein Traum.
Und als du mir lachtest: komm, sei mein,
Da lag ich im Arm dir und war dein,
Und du küßtest meines Kleides Saum.
Ich war dir Alles, dein Herd und dein Haus,
Keine Stunde wolltest du von mir gehn;
Ich war deine Braut, dein Weib, deine Maus,
Für mich ließest du weithin die Fahnen wehn.
Und was du mir absehn konntest, geschah;
Und was ich dich bat, schon war es da,
Und ohne mich konnte die Welt nicht bestehn.
Ich gab dir mich, mein einzig Geschenk,
Weiter hatt ich für dich keinen Lohn.
Wohl blieb ich stumm und ungelenk
Und schüchtern, und fand nicht den Wunderton;
Doch war ich allein, wie hab ich geweint,
Dann war ich mir selbst mein bitterster Feind
Und zerriß mein Hemd mit hungrigem Hohn.
(Kleine Pause.)
Da ließ er von mir. Die Andre kam;
Die kreuzte den Weg ihm, unbewußt.
Und als er an sein Herz sie nahm
Und sie zärtlich drückte an seine Brust
Und mit ihr scherzte, er ging mir vorbei,
Als wenn ich für ihn nie gewesen sei,
Da überfiel mich die kochende Lust:
(Schnell, wild:)
Du sollst ihn nicht haben, nein, du nicht, du,
Und keine soll seine Liebste sein.
(Rasch wie in Parenthese erzählend:)
Und ich hatte keine Minute mehr Ruh,
Und ich schürte zu Flammen hoch, hoch meine Pein.
Heut wußt ich bestimmt, er kommt diesen Weg,
Er geht hier über den Brückensteg.
Und ich verbarg mich hinter dem Hünenstein.
(Plötzlich ganz verändert. Sie greift mit der Linken an die Stirn.
Starrt vor sich hin:)
Wo bin ich? Hab ich, was hab ich getan?
(Ganz schlaff. Der Dolch entfällt ihr:)
Nein, nein –
(Sie sieht auf den Dolch nieder:)
Du bist ja mein liebes Kind –
(Sie hebt den Dolch auf und küßt ihn:)
Mein Püppchen bekam seinen ersten Zahn.
(Sie wickelt den Dolch in ihr Taschentuch,
wiegt ihn in den Armen und singt:)
Eia, poppeia, es raschelt der Wind.
(Sie schleudert plötzlich den Dolch mit Entsetzten von sich,
daß er im Boden zitternd stecken bleibt,
und kriecht langsam auf die Kulisse zu, woher sie gekommen ist:)
Du, du, mein Liebster, liegst du im Busch?
Flog nicht ein Vögelchen auf? husch, husch.
Ich komme – ich komme –
(Sie verschwindet in der Kulisse. Fünf Sekunden Schweigen. Dann ein gellender Schrei.
Man hört sie an der Leiche des Ermordeten niederfallen.)
Vorhang. Schnell.)
Welch ein behendes, reizendes Persönchen,
Mit Tigerinaugen, mondlosnächtigem Haar.
In diesem Anzug, welch ein Tausendschönchen;
Nur paßt nicht ganz ihr schwarzes Augenpaar.
Ich dachte mir: Wär ich doch ihr Barönchen,
Ich fräß sie auf vor Liebe ganz und gar.
Nun wollen wir aufmerken, wie sie spielt
Und ob sie nicht zu viel nach Pathos schielt.
Groß sprach sie, traumhaft die drei ersten Zeilen,
Das hätt ich wahrlich nicht von ihr geglaubt.
Und auch der Lyrik allzulange Meilen
Sprach sie natürlich, hold und ungeschraubt.
Und mein Entzücken mußte jeder teilen,
Als in der letzten Strophe sie das Haupt,
Den Dolch im Wahnsinn küssend, niederbog
Und Honigseim aus Stahl und Eisen sog.
Und nun die Stelle, wo ihr vorgeschrieben,
Den Dolch entsetzt ins Bühnengras zu schnellen:
Das tut sie nicht. Wo ist ihr Spruch geblieben?
Umtoben wild sie des Vergessens Wellen?
Will sich ein Chaos durcheinanderschieben?
Was will sie denn? Das ist doch kein Verstellen.
Herr Gott, sie stiert, sie reißt die Augen auf!
Stürmt da des Schicksals ungeahnter Lauf?
Sie naht der Bühnenwand sich mit dem Dolch,
Nie hört ich solche süße Stimme mehr:
»Du, du, mein Liebster, liegst du im Busch?
Flog nicht ein Vögelchen auf, husch, husch.
Ich komme – ich komme –«
Und ist verschwunden, und die Stätte leer.
Ein Schrei! Ein zweiter Schrei gellt hinterdrein.
Uns stockt das Blut, wir sitzen wie von Stein.
Der Vorhang fällt. Verwirrung. Keiner weiß –
Der Regisseur: »Ein Unglück ist geschehn.«
Wie wirbelt das Gespräch in unserm Kreis,
Und wirbelt fort beim Auseinandergehn.
Noch auf der Straße fragt man laut und leis,
Die Menschen bleiben bei einander stehn.
Was war es? Bis der Neugierde die Nacht
Das Tor, bums, vor der Nase zugemacht.
Am andern Morgen stand es in den Blättern,
Welch furchtbares Verhängnis sich geschlossen:
Zwei Blitze seien tödlich aus den Wettern
Des Hasses und der Eifersucht geschossen,
Und, das bezeugen meine Zeitungsvettern,
Jählings sei doppelt Opferblut geflossen.
Am Sonntag Mittag stünden in Sankt Veit
Die Särge für die letzte Fahrt bereit.
Was hat sich denn ereignet? Mord. Und dann
Gab sich die Mörderin selbst den Todesstoß.
Der, der sich ihre Liebe einst gewann
Und dann sie täuschte, treulos, rücksichtslos,
Höhnte aus der Kulisse frech sie an,
Sich sicher fühlend wie in Engelsschoß.
Und sie entdeckt ihn, kurz vor ihrem Schluß,
Und gab ihm mit dem Dolch den letzten Kuß.
Der Tod. Ein Rätsel? Ein Geheimnis? Nein.
Die ehernen Gesetze der Natur
Bedeuten weder Wirklichkeit noch Schein.
Des Schicksalswagens eingegrabne Spur
Führt ewig zu dem Ziele: Schein ist Sein.
Ich bin. Ich war. So läuft die Lebensschnur.
Die Bühne zeigt des Lebens Kampf als Sühne;
Das Leben zeigt uns eine einzige Bühne.
Rasch von der Künstlerin zum Missionar,
Zum Heidenvolkbekehrer; welcher Sprung!
Von einer Welt zur andern; ein, fürwahr,
Salto mortale im Gedankenschwung.
Wie kam denn das? Auf einmal wirds mir klar,
Und staunend find ich die Vermittlung:
Mein Auge traf den Tisch, die Muse fliegt,
Wo Helmolds Chronica Slavorum liegt.
Jedwede Chronik ist des Dichters Teich,
Ganz unerschöpflich kann er daraus angeln;
Denn unergründlich ist dies Quellenreich,
Und niemals wird es ihm an Fischen mangeln.
Und tat er einen guten Fang und Streich,
Kann er sich wohlig dann am Ufer rangeln.
So machte ichs in diesen Tagen auch:
Aus Helmolds Chronik steigt mein Märchenrauch.
Der Priester Helmold ist mein groß Entzücken:
Du reiner Mensch, du keusche, starke Seele.
Vor seinem Gott nur sah ich ihn sich bücken,
Wenn er ihm beichtete Gebrest und Fehle.
Sanftmut, Ernst, Liebe waren seine Brücken;
Ausdauer, Überzeugung Brückenpfähle.
Und seine Chronik schrieb er in Latein,
Das Tacitus nicht besser nannte sein.
Elfhundertsechzig, das war seine Zeit.
Und welche Zeit! Die Zeit Albrechts des Bären.
Heinrichs des Löwen Tatze, schlagbereit,
Will stets vestigia leonis lehren.
Und Kaiser Rotbarts edle Männlichkeit
Ringt bei Legnano mit Rebellenspeeren.
Der Robbenkönig Schwein und König Knut
Zerbeulen gegenseitig sich den Hut.
Die Wendenvölker drangen vor und keilten
Sich, Stirn an Stirnen eng, ins Holstenland,
Wo sie sich in die besten Striche teilten,
Und faßten störrisch hier wie Stiere Stand.
Aus Asien kamen sie und drängten, eilten,
Bis endlich fern der Kaukasus entschwand.
Mit ihren Götzenbildern, Bonz und Sklav,
Erscheinen Niclot, Cruco, Wratislaw.
»Hier sind und stehn wir!« Nun ertobt der Kampf.
Die großen Schauenburger Grafen schützen
Die Äcker Holsteins. Pfeile, Roßgestampf,
Stahlhelme, kurze Schwerter, Otternmützen,
Flammende Dörfer, weithinziehender Dampf,
Geschrei der Weiber, Blut und Dreck und Pfützen.
Und im Gewühl, im Vorwärts oder Fliehn,
Erscheint in seiner Sänfte Vicelin.
Er stiftet Kirchen, segnet, heilt die Wunden,
Baut Schulen, spendet Korn und Kalb und Brot.
Und Christi Lehre soll es nun bekunden,
Daß Christi Liebe lindert alle Not.
Ein schwer Stück Arbeit bei den »Heidenhunden«,
Langlange zögert noch das Morgenrot.
Doch unermüdlich sät der Glaubensstreiter.
Der Bischof stirbt. Und Helmold ackert weiter.
Des Fürsten Tochter will er unterrichten;
Peruta (Gänseflügel) war ihr Name.
Fürst Butus Tochter. Jesu Heilsgeschichten
Erzählt er rührend ihr, viel wundersame;
Erläutert ihr die schweren Klosterpflichten
Als höchsten Wonnepreis im Erdengrame.
Rein wie sein Herz, war rein seine Gesinnung.
Sein hehres Ziel: All-Eine Christeninnung.
Francesca, Paolo; Salome, Johannes.
Wem fällts nicht gleich bei diesen Pärchen ein,
Daß unser Pärchen sich des gleichen Bannes
Verstricken wird zu seligem Verein.
Helmold, das Urbild des germanischen Mannes,
Dem kreist doch auch der Saftborn im Gebein.
Peruta war, aus wild mongolischem Blute,
Na, sagen wir: wie eine Mustangstute.
In ihre Stirn fällt närrisch aus der Mähne
Ein schwarzer dichter Büschel, ungefragt.
Die Augen lauern durch die lockre Strähne
Und blitzen dunkelfunkelnd wie Smaragd.
Und gleich gut steht die Pracht der Raubtierzähne
Der Wölfin wie der jungen Wendenmagd.
Geschmeidig wie die Pantherkatze, roh,
Unschuldig-gierig, schweift sie frank und froh.
Im Monat Mai beginnt die Unterweisung;
Peruta zeigt sich neugierig, gespannt,
Und fühlt sich durch die himmlische Verheißung
Vom »wahren Christentume« bald gebannt.
Allmählich aber denkt sie frührer Preisung,
Der Heimatflur, wo ihre Wiege stand,
Denkt an den alten guten Pan Czieliehster,
Des heiligen Opferhaines Oberpriester.
Hier halten die verschleppten Götter Rast.
Den kleinen Kultuspuppen Prune, Prone
Gesellt sich stolz das Scheusal Radegast.
Und vor den kleinen Damen Czebe, Czone
Ragt riesenhoch die Götzin Czalefast,
Der neuen Lehre feierlich zum Hohne.
Aus Holz sind alle. Von den Greuelbildern
Will ich die beiden großen Fratzen schildern:
Zuerst, mein Papa Radegast, komm her:
Ei, ei, du hast ja zwanzig Köpfe auf,
Die zwanzig Nasen stehn zum Teil verquer,
Die vierzig Augen glotzen Knauf an Knauf,
Der dicke Bauch, beschmiert mit Ton und Teer,
Hat stark gelitten durch der Jahre Lauf.
Ganz »eigenartig« (würden heut wir schreiben)
Ist dieses biedern Urians Tun und Treiben.
Denn in den Augenknäufen, kommt die Nacht,
Erflammen öfters rot und gelbe Lichter,
Ganz plötzlich und geheimnisvoll entfacht;
Gewiß, das sind sehr schlimme Zornestrichter.
Das Volk bringt Rinder, Eier, Roggenfracht,
Und macht erst wieder freundliche Gesichter,
Wenn, brav, die Lichter in den nächsten Nächten
Nicht gar zu arg den armen Haushalt knechten.
Der hochehrwürdige Herr ist überzogen
Mit Moos und Strauch an Rücken, Schoß und Beinen:
Der Same kam weit aus der Luft geflogen
Und setzte sich hier fest an Staub und Steinen.
Die Ziegen sind ihm deshalb wohl gewogen,
Die sich gemütlich-frech auf ihm vereinen.
Sie naschen, rupfen, klettern, springen, stoßen
Sich frohgelaunt herum auf diesem Großen.
Nun, Mama Czalefast, laß dich beschauen;
Wie siehst denn du aus? Prachtvoll, zum Entzücken.
Du bist mir traun die schönste aller Frauen,
Mit hundert Brüsten rings um Brust und Rücken.
Die Mädchen packt gewiß ein neidisch Grauen,
Wenn sie sich ehrerbietig vor dir bücken.
Recht artig strammt und strotzt bei dir, o Weib,
Der aufgeschwollne, überschwangre Leib.
Sie hat nur einen Kopf, doch neunzig Zungen,
Die ihr, Bedeutung? aus dem Maule hängen.
Um ihre Haare ist ein Kranz geschlungen,
Aus dem sich, scheint es, kleine Katzen zwängen.
Die Füße, enteneinwärts, bastumzwungen,
Möchten den lästigen Rocksaum gern verdrängen.
Viel Schwalben nisten unter ihren Brüsten,
Als wenn sie nirgends trautere Plätze wüßten.
Dahinter droht der Tempel, wo die Bäume
In dichterm Kreise wispern, flüstern, schauern.
Verzierte Pforten und verzapfte Zäune
Erschließen manchem sich zu Todestrauern.
Und manchen ängsten seine letzten Träume
In diesen rohen roten Backsteinmauern,
Wo die gefolterten Gefangnen stöhnen
In immer dumpfern, stumpfern Röcheltönen.
In Tempels Mitten hockt ein runder Stein,
Plump, dick und klumpig; der hat eine Rille.
In diese Rille läuft das Blut hinein,
Das dort den Götzen weiht des Priesters Wille.
Die Menschenopfer sind noch allgemein:
Ein Schrei, ein Schnitt, und ehrfurchtsvolle Stille.
Dann bricht ein Jauchzen aus viel tausend Kehlen,
Und harmlos freuen sich viel tausend Seelen.
Nacht. Eine Juninacht. Astartens Nacht.
Der Tempel ist von Blumenduft durchstäubt.
Dumpf hallt die Trommel, wie aus einer Schlacht,
Ununterbrochen, bis das Volk betäubt.
Die Priester hatten es zur Glut entfacht,
Und keine Jungfrau hatte sich gesträubt.
Der Morgen. Jubel. Sturmzerstörte Blüten;
Nur eine wußte klug sich zu behüten.
Peruta war dem Frühlingsfest entronnen,
Sie hat ihr Sinnen Helmold längst geschenkt;
Und wenn sie ihn für sich noch nicht gewonnen,
Er hat ihr Herz aus Rand und Band gerenkt.
Sie hat schon allen Listen nachgesonnen;
Umsonst? Ob er denn niemals an sie denkt?
Noch immer nimmt sie bei ihm Unterricht,
Doch, ach, sie hört nicht, was er mahnend spricht.
Am andern Morgen läuft sie durch den Hain,
Und läuft und läuft, und endlich macht sie Rast,
Und bittet, aufatmend im Sonnenschein,
Die gute alte Mutter Czalefast:
»Hilf mir, hilf mir, er muß mein Eigen sein,«
Und sie wird puterrot, und sie erblaßt.
Halb Heidin, Christin halb, liegt sie auf Knien
Und schlägt, verwirrt, das Kreuz vor Sankt Marien.
Helmold inzwischen will die Glut bezwingen,
Auch er ist wild verliebt, völlig vernarrt,
Will seine »Sünde« tapfer niederringen,
Und blickt auf seine Heiligenbilder, starrt
Und fleht sie an: O laßt es mir gelingen!
Er geißelt sich, kasteit sich, rauft den Bart.
Vergebens betet er den frommsten Text,
Er sehnt sich nach Peruta wie verhext.
Da fällt ihm ein, das wollt er lange schon:
Ists eine Schande nicht, daß die Abgötter
Der Slawen immer sitzen noch zu Thron?
Und das Entjungfrungsfest! Die frechen Spötter!
Herunter! in den Staub den Heidenhohn!
Herunter! in den Schmutz die Gaukelgötter!
Ihm scheint der beste Meister seines Pfads
Der Deutschen Erzapostel Bonifaz.
Die nächste Nacht schon will er, ganz allein,
Will seine Axt an ihrem Holz erproben.
Weg dampft die Brunst, die Liebe hinterdrein,
Hat er das Beil nur erst zum Schlag erhoben.
Gott wird ihm helfen, Gott wird bei ihm sein,
Wenn in den Götzen seine Axt wird toben.
Doch wie er auch den Willenshammer schwingt,
Es hält ihn Amors Puttenschwarm umringt.
Nacht. Eine Juninacht. O Sommernacht.
Er wälzt sich auf dem Lager hin und her.
Er schreit zu Gott aus seinem tiefsten Schacht.
Es gärt in ihm mit rasendem Begehr.
Er fleht um seines Heilands Siegermacht.
Er stöhnt nach Liebe. Und sein Bett ist leer.
Ein uralt Weib sieht lässig nach der Uhr:
»Die Zeit ist da« befiehlt barsch die Natur.
Er springt von seiner Matte, reißt im Nu
Das ungeschlachte Handbeil aus dem Block;
Die Füße fahren hitzig in die Schuh,
Rasch nimmt er sich vom Pflock den Priesterrock
Und wandert wütend seinem Ziele zu,
Das Handbeil schwingend wie nen Wichtelstock.
Bald macht er Halt vorm Tor am Opferhain
Und brichts mit seiner Schulter krachend ein.
Nacht. Eine Juninacht. Und Mitternacht.
Der Mond liegt auf den greulichen Idolen,
Der volle Mond mit seiner grellen Pracht.
Lautlose Stille hat den Lärm gestohlen,
Ihn in den Sack gesteckt und stumm gemacht.
Aus Gras und Gräben duften die Violen.
Ein Tempelkauz streicht ab vom Kleingott Prune
Und schwebt so leicht wie eine Schwanendune.
Dor steit glieks vörn ohl Moder Czalefast
In dieses Götzengartens wirren Wegen.
Auf sie stürzt Helmold los, zitternd vor Hast,
Und will die Axt ihr ins Gefuge fegen.
Was soll dein Unterfangen, mein Phantast,
Kannst du allein dies Biest in Trümmer legen?
Wohl hundert Äxte würden kaum genügen,
Das grause Schnitzwerk in den Sand zu pflügen.
Er holt von rückwärts aus, wie kriegsgewohnt,
Um mit noch größrer Wucht den Hieb zu tun.
Schon blitzt sein Beil, fest in der Faust, zum Mond,
Da – Gaukelspiel? Schlich wer auf Katzenschuhn?
Hat jemand heimlich seine Kraft entthront?
Was stockt er? Wünscht er plötzlich auszuruhn?
Sein Arm fällt ruckweis, wie ein Ball abschwingt,
Der sanft von Stufe hin zu Stufe springt.
Peruta steht vor ihm und lacht ihn an,
Und ihrer jungfräulichen Brüste Flor
Haucht ihm ein sprachlos Wort: Geliebter Mann.
Da brüllt in ihm die Leidenschaft empor.
Ob Mutter Czalefast nun Rache sann,
Ob sie vor Schreck die Haltung gar verlor,
Helmold reißt mit sich Brust an Brust Peruten
Himmel und Hölle stehn vereint in Gluten.
Der Mond schiebt sich verschämt durchs Holzgehänge,
Ein Bächlein kullert kindlich über Kiesel.
Der Elfenreigen spielt durchs Zweiggedränge,
Vor ihrem Schlupfloch haschen sich zwei Wiesel.
Fern klingen, wie Hosianna, Weihgesänge,
Und von den Sternen flimmert ein Geriesel.
Nacht. Eine Juninacht. Mittsommernacht.
Und die Natur hat leise, leise – sehr gelacht.

Fünfundzwanzigster Kantus: Frerk Frerksens Werft.

Igitt, (o Gott), so heißt das edle Wort,
Das wir in Hamburgs Straßen vielmals hören.
Igitt, igitt, daß ich auch fort und fort
Mich lasse vom »realen Stoff« betören!
Muß denn dies Rattenzeug an meinem Bord
Sich unaufhörlich gegen mich verschwören?
Mein Phantasus, sei flügelbreit bereit,
Daß mich nicht unterkriegt die Wirklichkeit.
Drum rasch in See! Das Rattenvolk verrecke!
Halloh, halloh, wie weht hier frisch der Wind!
Mein Wikingschiff ist keine Wasserschnecke;
Wie die verfolgte Nixe schwimmts geschwind.
Das Segel schwillt. Schwarz droht die Wolkendecke.
Der Wimpel züngelt wie ein Schlangenkind.
Das Nordmeer brüllt. Es fällt der Blitz. Geschmetter.
Und meinen Arm breit ich entzückt dem Wetter.
Da brennts ja! Wo? Der Dreimastschoner? Nein!
Ists an der Küste? Nein! Die Hallig brennt!
Frerk Frerksens Werft. Da liegt sie! Ganz allein!
O wie allein! Von aller Welt getrennt!
Und keine Seele rings; nicht Stein noch Bein.
Die Flammen schlagen wild ans Firmament.
Und keine Möglichkeit, daß wir dort landen;
Die Watten hindern dran, wir würden stranden.
Nach einigen Tagen hört ich die Geschichte
Von diesem Brande; sie war grauenhaft.
Es grinste aus dem schlichten Tatberichte
Das ganze Höllenheer der Leidenschaft.
Saß hier ein Gott im Feuer zu Gerichte?
Bewies das Schicksal seine Keulenkraft?
Nennts Schicksal, nennt es Gott, frei könnt ihr wählen;
Ich habe nur die »Sache« zu erzählen.
Zwei Brüder lebten in Frerk Frerksens Haus,
Die er, selbst fern, als Schäferknechte hielt.
Sonst auf der Insel weder Mann noch Maus,
Nur Schafe, Schafe werden drauf »erzielt«;
Die rupfen rasch den magern Halligstrauß,
Bevor die Flut sich wieder näher stiehlt,
Sich unaufhaltsam durch die Priele schlängelt
Und auf die Werft die weiße Herde drängelt.
Stets, Tag für Tag, derselbe Stundenplan.
Die Brüder, Friesen, ernst, vernünftig, stumm,
Begnügen sich mit diesem Kanaan,
Als wärs ein unverfälschtes Tusculum.
Der eine schnitzt an einem Haifischzahn,
Der andre braut heiß Wasser mit viel Rum.
Sie schlafen gern, sind gerne Zeitverschwender,
Und beide lesen Bibel und Kalender.
Allmählich doch: Dies ewige Strümpfestopfen,
Dies ewige Nähn an Hose, Hemd und Knöpfen,
Dies immer enger sich zusammenpfropfen
Mit Hund und Lämmern, mit den Graupentöpfen,
Das waren schließlich keine Honigtropfen.
Und so beschlossen sie mit harten Köpfen:
Wir lassen uns ein Weib herüberschicken,
Die für uns fegen, kochen soll und flicken.
Und richtig, im September wars, da kam
Von Husum her ein Mädchen angesegelt
Mit ihrem Bett und Staat, und übernahm
Sofort den Haushalt; er war rasch geregelt.
Dann haben sich die Brüder wonnesam
Plumsbumsrums auf ihr Lager hingeflegelt.
Breitschultrig, kräftig war die Küchenfei,
Gutmütig, nur im Hirn was einerlei.
So lebten denn die drei, weitab der Welt,
Einträchtiglich, wie treue Freunde wohnen.
Bald hat sie Klöße auf den Tisch gestellt,
Bald gab es Linsen, Erbsen, Speck und Bohnen.
Nie tobte Zank noch Zorn in ihrem Zelt,
Sie dachten nur an essen, schlafen, fronen.
Nachts lag das Märchenschloß, als wärs erstickt;
Sogar der Tod schien leise eingenickt.
Ein schwerer Winter finsterte herein;
Die Flut begrub mit Schollen-Eis die Pläne,
Das liegen blieb, als wollt es dort gedeihn.
Einmal besuchten dreizehn wilde Schwäne
Das öde Eiland, doch im Abendschein
Verließen südsüdwestlich sie die Szene.
Im dunklen, offnen Meer hebt sich mitunter
Ein Robbenkopf, und taucht schnell wieder unter.
Wie einsam nun der kurze, kalte Tag,
Die Nacht wie lang, schier endlos schleicht ihr Ziehn.
Die Werft gleicht einem grauen Sarkophag,
Bedeckt vom Schneepelz wie mit Hermelin.
Zuweilen krorrahxt auf dem Herdenschlag
Ein Rabe; ach, du armer Peregrin.
Der eine Bruder schnitzt am Haifischzahn;
Der andre, bibelfest, ist Hauskaplan.
Zwei Fahnen liegen stets bereit zum hissen:
Die schwarze winkt bei Krankheit und bei Tod.
Dann kommt der Arzt mit seinen Feldmelissen;
Auch Kindesnöte kündet ihr Gebot.
Die gelbe ködert manchen guten Bissen,
Sie ruft dem Landvogt zu: Hilf, uns fehlt Brot;
Wenns geht. Denn meistens türmt das Bröckel-Eis
Ganz undurchdringlich seinen Herrschaftskreis.
Der Frühling siegt. Der Eiswall löst sich auf.
Auch hier bestickt die Erde sich mit Grün.
Das zarte Halligblümchen kriecht herauf,
Bis endlich alle Gräserrispen blühn.
Der Kampfhahn sträubt den Hals in drolligem Lauf,
Und selbst der Möwenvater zeigt sich kühn.
Allleben bis ins kleinste Pflanzenröhrchen;
Den Lämmern schimmern rosarot die Öhrchen.
Und unbekannte Vögel kommen an,
Mit grellen Farben, niemals noch gesehn.
Die singen fremd, wie keiner singen kann,
Und haben goldne Krallen an den Zehn.
Najaden huschen um die Hallig dann
Und lassen sichs am Strande wohlergehn.
Am andern Morgen ist das Vogelvölkchen
Spurlos verschwunden wie ein Abendwölkchen.
Ein Julitag. Die Sonne scheint so heiß,
Als schiene sie gemütlich am Äquator.
Fata morgana. Ferne flimmerts weiß;
Gleich schiebt sich aus dem Schlamm ein Alligator.
Wer zahlte jetzt nicht gern den höchsten Preis
Für einen patentierten Ventilator!
Der Ozean liegt wie Spiegelglas so glatt
Von Hollands Ufern bis zum Kattegatt.
Am Nachmittage fängt es an zu murren.
Der Himmel ist doch blau wie ein Türkis,
Ist wie zwei Löwen, die sich leis beknurren,
Nun wieder still wie einst im Paradies.
Die Fliegen stechen, die Insekten surren;
Ein Hammel klagt, als stäk er schon am Spieß.
Auf einmal, bis zum Wasserrand gebogen,
Beginnt die See zu dunkeln und zu wogen.
In dieser Stunde zeigt ein schwacher Schrei
Ein viertes Mitglied auf der Hallig an.
Die schwarze Fahne hängt am First wie Blei,
So hing sie schon vom frühen Morgen an,
Und niemand kam und stand der Mutter bei,
Ganz ohne Hilfe kommt das Söhnchen an.
Betroffen stehn die Brüder vor dem Wunder,
In ihren graden Herzen glimmts wie Zunder.
Wer ist der Vater? Wem gehört das Kind?
Sie schaun sich in die treuen blauen Augen.
Bin ichs? Bist dus? Sie stehn wie taub und blind,
Sie stehn und schaun sich in die treuen Augen.
Kein Wort wird laut, die Parze sinnt und spinnt;
Sie stehn und stehn und schaun sich in die Augen.
Sie geben, wie zum Abschied, sich die Hand;
Dann nehmen sie zwei Äxte von der Wand.
Und wandern an den Strand, der Sturm wird laut,
Die Dämmrung knüpft schon ihre Maschen dichter,
Die Flut rillt an, sie stehn im nassen Kraut;
O käme jetzt des Wegs ein weiser Richter.
Wo bleibt die Taube, alles Friedens Braut?
Der Bruder wird am Bruder zum Vernichter!
Dumpf kracht die Axt, vom Himmel dröhnts wie Schrecken,
Der erste Blitz sprang übers Wasserbecken.
Der erste Blitz traf auch das Hallighaus,
Wo warm im Mutterarm das Kindchen liegt.
Er traf sie gut mit seinem Feuerstrauß
Und hat sie beide eilends eingewiegt.
Nun bricht die Flamme in den Wettergraus,
Bis sie sich fest um jeden Balken schmiegt.
Gerötet ist der Himmel weit und breit
Und zeigt der Welt des Schicksals Herrlichkeit.
Am nächsten Morgen schien die Sonne klar,
Die Trümmer rauchten noch aus ihrer Wüste.
Es war, als stünde wartend ein Altar,
Des stille Glut die ganze Erde grüßte,
Als müßt ein Priester nahn im Festtalar,
Des Opfer jeden Frevel für uns büßte.
Der Tag ging luftig wie auf Zephyrzehn,
Ich habe keinen schönern je gesehn.

Sechsundzwanzigster Kantus: Graf Johann der Andere von Kiel und seine Kinder. 1315.

Allein, verschwunden und vergessen sein,
Selbst wenn die Tage uns noch Blumen streuen,
Das Beste ists in all der Lebenspein.
Nur darf man den Entschluß dann nicht bereuen;
Sonst wird des kahlen Gipfels nackter Stein
Als unbequemer Sitz uns nicht erfreuen.
Zukunft und Gegenwart sind immer jung,
Griesgrämig altert die Erinnerung.
Denn spärlich sind die holden Schmetterlinge,
Mit denen die Erinnrung uns umflattert.
Zumeist umschließt sie uns mit einem Ringe,
Der uns wie Zaun und Eisenzahn umgattert,
Und hält uns fest in dieser harten Schlinge,
Worin ein unbequemes Völkchen schnattert.
Wie Lady Macbeth wäscht sich wohl mal jeder
Das sehr geehrte eigne Fingerleder.
Ja, die berühmten »schwarzen Punkte« bleiben,
Sie sind nicht immer eine Episode.
Es kann sich keiner sie vom Leder reiben,
Wegsingen kann sie keine Büßer-Ode.
Selbst Religion kann Heilung nicht verschreiben;
Religion ist Furcht vor Gott, vorm Tode.
Ob wir allein, ob wir zusammen wandern,
Gilt Goethes Wort: Was weiß ein Mensch vom andern.
Vergangenheit, Erinnerung: zwei Gräber.
In einem schläft die Ewigkeit getrost.
Im andern ruht scheintot ein Schleierheber:
Geist der Erinnrung heißt er, und erbost
Rührt sich und peinigt uns der Stimmungsweber
Mit dem, was uns das Schicksal zugelost.
Vergangenheit schläft traumlos durch die Nacht,
Erinnrung träumt und wälzt sich und erwacht.
Vergangenheit steht nie aus Särgen auf.
Erinnrung hebt den Deckel oft und lugt
Und sieht euch gehn und eilt in raschem Lauf
Und fällt euch um den Hals ganz unbefugt.
Bald tanzt sie spukhaft, ein Gespensterhauf,
So sehr ihr auch das Pack zusammenschlugt.
Bald schleicht sie hoffnungslos wie manches Sehnen,
Und eure Augen füllen sich mit Tränen.
Und kommt sie her mit deinen Jugendzeiten,
Zeigt dir dein Spielzeug, deine alten Plätze,
Wo »Räuber und Soldat« sich wütend streiten,
Dein liebes Elternhaus und seine Schätze,
Dann kann sie dich am Gängelbändchen leiten,
Dann hat sie dich in ihrem stärksten Netze.
Und gräbt wer noch so sehr nach Feldgewinn,
Er legt minutenlang den Spaten hin.
Heut flüsterte sie bebend mir ins Ohr:
Denkst du denn niemals deiner Vaterstadt?
»Was sollt ich nicht, nur mach ich mir nichts vor:
Die gegenseitige Neigung ist recht matt.«
Mein teures Kiel mit seinem Hafenflor
Hat mir von je gesagt: Sapienti sat.
Was soll ich mich denn viel um sie bekümmern,
Die Kindheitsstätten liegen längst in Trümmern.
Nach Krusenrott, Dorfgarten (Alles hin.)
Will ich nicht mißvergnügt die Schritte lenken;
Und Düsternbrook lag niemals mir im Sinn,
Ich hasse es, so lang ich nur kann denken.
Pannkokenkrog, ja, »da liegt noch was drin,«
Da wollen wir die roten Rosse tränken:
Bertouch, die persischen Füchse vor den Wagen!
Die sollen leicht uns durchs Gelände tragen.
Durch mein geliebtes Schleswig-Holstein fort,
Querdurch, vom Nordsee- bis zum Ostseestrande.
Jetzt langsamer! Nicht gradeaus! Ja, dort!
Sonst kommen wir zu nah dem Kieler Rande.
Bieg nach Cronshagen ab, nach Kathenort,
Nur zu! Hier kenn ich jeden Stein im Sande.
Hurra! Pannkokenkrog blitzt aus den Blättern,
Ich rieche meine guten Kieler Vettern.
Zuerst muß ich die beiden Wäldchen sehn,
Die nördlich, südlich von der Straße liegen,
Will unter ihren lichten Wipfeln stehn,
Mich in nachzitternder Stunden Schaukel wiegen,
Wie einst auf diesen schmalen Steigen gehn,
Dann weiter ins Gehölz durchs Farnkraut biegen,
Und immer weiter bis zu jenem Fleck,
Der mir zur Sicht auf Kiel dient als Versteck.
Ist denn von mir geplant ein Überfall?
Indianermäßig schleich ich zögernd vor,
Und mache Halt im Knick auf einem Wall:
Da ragt der biedre Nikolaus empor,
Da dumpft die Küterstraße und ihr »Stall«,
Wo ich für alle Zeit Homer verschwor,
Für alle Zeit sein göttliches Gedicht,
So jämmerlich war unser Unterricht.
Und da das Schloß, der große alte Kasten,
Notdürftig von Sonnin zurechtgeflickt.
In jedem Schlosse bebts wie zaudernd Hasten:
Hochmut und Demut, Alles ist verquickt.
Doch jedes Dasein wimmelt von Kontrasten,
Vom Zufallslotto überreich beschickt,
Gleichgeltend im Palast und in der Hütte,
An goldner Krippe, an der Waschfraubütte.
Ein jedes Haus, ob glänzend groß, ob klein,
Vornehm, gering, ist eine Schicksalsgruft.
Es reden Säle, Zimmer, Stall und Stein,
Geheim und schweigend, Kammer, Kellerluft;
Es atmet jede Wand von Pest und Pein,
Von herrlichen Herzen, und von Schelm und Schuft.
Im Kieler Schloß hat auch einer gewohnt,
Den hat kein Weh, kein Erdenfrost verschont.
Leb wohl, mein Kiel, ich will nicht mürrisch scheiden,
Ich wünsche Rosen dir und viel, viel Glück,
Viel frohe Spiele, wenig Tränenweiden,
Viel braune Lappen, Gold- und Silberstück;
Möge selbst Hamburg dich darum beneiden.
Ich aber kehre gern zu mir zurück
Und will in Poggfred jenen Fürsten rufen,
Der so zertreten war von Schmerzenshufen.
Da stehn die Perser, steht mein Viererzug.
Wie sie nervös die Rasseköpfe schnellen!
Der Schaum bespritzt Gebiß und Bein und Bug,
Um ihre Flanken spielen Lichterwellen.
Sie scharren renngierig: Geduld genug!
Und möchten flüchtig werden wie Gazellen.
Na, denn man to. Und dann Graf Jan, sonst keiner.
Er war der großen Schauenburger einer.
Up sinem Hus tom Kyle (Schloß in Kiel)
Horcht Graf Johann der Zweite, achtzigjährig,
Und hört ein dünnes Kastagnettenspiel.
Es beugt sich einer über ihn, willfährig:
»Bon jour, Seigneur. Den schwarzen Meilenstein,
Den oft dein siecher Schritt erwünscht, gewähr ich.«
Auf seinem Söller sitzt im Sonnenschein
An einem wundervollen Julitag
Der Greis, und ist mit seinem Gram allein.
Erblindet. Und noch hat ein Schicksalschlag
Ihm jüngst den grausam letzten Stoß gegeben,
So arg wie Menschentücke nur vermag.
Ziehn sanfte Bilder jetzt aus seinem Leben
An ihm vorbei? Sinds lichterfüllte Stunden?
Will nicht ein liebes Bild vorüberschweben?
Er hebt sich aus dem Stuhl, er schreit aus Wunden,
Schreit lautlos in die leere Luft hinaus,
Als möcht er seiner Qual Unmaß bekunden:
Vor zwanzig Jahren ritt er einmal aus
Auf seinem Grauschimmel ins Frühlingsfeld,
Wehrlos, im leichten himmelblauen Flaus.
Plötzlich wird er wie arglos Wild umstellt:
Sechs Ritter, schwer in schwarzen Schuppenschienen,
Im Topfhelm, mit geschlossenem Augenzelt,
Sechs Ritter lassen ihre Lanzen dienen
Und strecken, jede ist ein Kitzelstock,
Sie vor, und dröhnend spricht einer von ihnen:
»Gib dich gefangen! Bei Sankt Paul am Block!
Freiwillig, daß sich dein Geschenk verschöne,
Zerschneid uns sechsen deinen Fürstenrock!
Teil uns dein Land! Und daß dein Werk sich kröne:
Teil's augenblicklich unter uns sechs Rittern!«
Das Gatter hoch: die sechs sind seine – Söhne.
Der Handstreich glückte. Hinter Eisengittern,
Im Kieler Schlosse, das sie ihm gelassen,
Muß täglich er vor seinen Henkern zittern.
Die Himmelspolizei weiß gut zu fassen:
Sie läßt die Söhne ohne Gnade sterben,
Kein einziger darf in seinem Bett erblassen.
Durch Mörderhand, in einem Jahr, verderben
Sie alle sechs, und haben keine Brut;
Man huldigt dem Papa als einzigem Erben.
Weißhaarig taucht er aus der Elendsflut,
In Händen den gestohlnen Zarenschlüssel
Von seiner Söhne unmenschlichem Blut,
Und setzt sich wieder an die eigne Schüssel.
Graf Alf, der älteste der Gaunermagen,
Ward, wie uns grimmig der Chronist berichtet,
Vom Ritter Hartwich mit dem Beil erschlagen,
Weil ihm der Graf sein Töchterlein vernichtet.
Auch schreibt uns der Chronist, wie zum Gebet,
Und seine Schilderung ist nicht erdichtet:
Als Hartwich vor dem toten Grafen steht
Und finster auf sein blutig Opfer nickt,
Indes sein Helmbusch leicht im Winde weht,
Entdeckt er, und sein Puls im Hals erstickt,
Des Grafen Pagen, seinen eignen Sohn,
Ohnmächtig neben Alfen hingeknickt.
Da übereist ihn harsch ins Herz der Hohn.
Und er erschlägt sein Kind mit einem Hiebe,
Und ragt hochauf, als stünd er auf dem Thron:
»Daß keinen einst die böse Zunge triebe:
Mein Sohn sei der Verräter seines Herrn.«
Und beugt sich auf die Leiche voller Liebe.
Welch ein antikes Bild, von Roma fern.
Des Königs Erichs schlanke Witwe gab
Dem alten Grafen nun die Hand zum Bunde,
Nachdem er »rückgeerbt« den Herrschaftsstab.
Aus dieser Ehe brachte eine Stunde
Den kleinen Christof an, und dann zwei Schwestern:
Ein Zwillingspaar, Wulffhild und Wittemunde.
Die Mutter starb beim Schenken dieser Schwestern.
Die schossen froh in Saat, und schliefen weich
Wie Vögelchen in ihren Flaumennestern.
Beim Spielen oft in ihrem Kinderreich,
Quer durch den Garten, tanzen sie und springen
Im Pas de deux, wahrlich den Elfen gleich.
Ganz reizend anzusehn ist dies Umschlingen,
Wenn um die Schultern sie gelegt die Hand
Und sich nun jubelnd durch die Wege schwingen.
Der ganze Hof bestaunt den süßen Tand,
Und selbst der alte Vater, voll Entzücken,
Lehnt lauschend manches Mal am Fensterrand.
Die Zeit verläuft, die Stundenfresser rücken,
Geburtstagsmorgen kommt, der achte Mai:
Der Frühling will die Zwillingsschwestern schmücken.
Die ersten sieben Jahre sind vorbei.
Wie ist die Frühe schön, zart dampft der Tau,
Die ganze Welt ist jung und kummerfrei.
Wo sind die Schwestern, sind sie auf der Au?
Wer ließ sie weg, wohin sind sie gesprungen?
Und emsig suchen Knecht und Kinderfrau.
Ist nicht am Gartenteich ein Schrei erklungen?
Und alles stürzt dahin; vielleicht, daß dort –
Ja: dort ist eine Spur durchs Schilf gedrungen.
Mau sucht, mau findet; es erlischt das Wort.
Und aus dem Wasserschlamm zieht man die beiden.
Zu spät. Sie sind erstarrt. O Schreckensort!
Im Schatten liegen sie der Uferweiden,
Noch Hand in Hand gekrampft und Arm um Arm,
Zwei Blumen, roh gerauft aus lieber Haiden.
Wehklagen kreischt, das Unglück schlägt Alarm;
Wer ruft den Fürsten, wirds ins Ohr ihm tropfen?
Doch der steht lange schon im Dienerschwarm
Und schluchzt und kann den Tränenquell nicht stopfen.
Es bleibt ihm nur der junge Christof über,
Der wie die Buchensäule wuchs zum Baum;
Die lustigen Knabenjahre sind vorüber.
Sein Steppenauge schaut zum Himmelsraum
Stur in die Sonne, ohne Liderzucken.
Einst hat er einen sonderbaren Traum:
Er muß sich vor den Freunden niederducken,
Indes sie Pfeil auf Pfeil den Wolken schicken.
Kaum kann er mehr die Schmach hinunterschlucken.
Er wirft sich hin und her, er will ersticken.
Und er erwacht. Rasch springt er auf vom Lager,
Und ist befreit aus allen Teufelsstricken.
Den Eibenbogen her, des Köchers Schwager.
Er prüft die Sehne, dann ein Ruck und Zug,
Sie strammt sich straff; er kennt keinen Versager.
Hinaus in Morgenstrom und Lerchenflug;
Des Hafens Brisentür steht frisch erschlossen,
Im Acker furcht den ersten Strich der Pflug.
Den Turm hinauf, schnell, zu den Schußgenossen.
Er will sie lachend aus den Decken treiben,
Und dann wird um den Ehrenpreis geschossen.
Und oben – Feinde? Will man wen entleiben?
Vermummte, Blut, Schrein, Zerren, Schwerterwettern
Es wird in Ewigkeit ein Rätsel bleiben.
Vielleicht die geld- und ländergierigen Vettern?
Sie werfen ihn vom Turm wie Pfennigware
Und lassen auf den Fliesen ihn zerschmettern.
De herlik Junkhere liegt auf der Bahre;
Stumpf glast sein Auge durch den Wimpernschleier,
Tief erdhin hängen seine gelben Haare.
Wie Siegfrieds Zug zögert die finstre Feier,
Und aus der Höhe stößt, ein Wunder, nieder
Auf Christofs Herz ein kahler Königsgeier.
Und krallt sich ein und schüttelt das Gefieder,
Bis mit Gewalt die Träger ihn entkrönen,
Und weiter jammern ihre Klagelieder.
Der Vater hörts. Auch der von seinen Söhnen!
Wie Masken zieht es über seine Züge,
Er kann nicht weinen mehr, nur leise stöhnen:
Des Schicksals Wahrheit ist des Lebens Lüge.
Auf seinem Söller sitzt, im Sonnenschein,
An einem wundervollen Julitag,
Der blinde Greis, mit seinem Gram allein.
Die Welle seines weißen Bartes lag
Auf seiner Brust. Die Runzelstirn sank schwer.
Denkt er an seines Lebensbaums Ertrag?
Er merkt nicht, wie sich mählich um ihn her
Sein Hof versammelt, ehrfurchtsvoll und leise,
Daß niemand trübe sein Gedankenmeer.
Da wagt es einer aus dem Sporenkreise:
»Herr, aus der See naht Lübecks Orlogsflotte,
Um dich zu ehren auf der Wisby-Reise.«
Galeeren, Kraken, Koggen und Galliotte,
Kriegsmärsche, Flaggen, Trommeln, Ruder, Rah,
Zum großen Jux und Ulk der Kieler Sprotte.
Noch eine blanke Schwenkung, sie sind da.
Die Anker rasseln polternd auf den Grund,
Die Mannschaft brüllt, der Himmel wankt, Hurra!
Doch der, dem immer Lübecks Freundschaftsbund
Unschätzbar war, ist eben still entschlafen.
Umflorte Tuben gebens eilig kund.
Gott sei uns gnädiger als diesem Grafen.

Siebenundzwanzigster Kantus: Der Gottfinder.

Ich ritt durchs Feld an hellem Junitag.
Die Roggenernte naht. In allen Hecken
Verstummt gestillt der Nachtigallenschlag.
Der Heugeruch von weiten Wiesenstrecken,
Jasmingeruch, Geruch der Rosenglut
Vernisten sich in schwülen Gartenecken.
Es schwillt die Frucht, schon zirpt die erste Brut;
Alsbald befiehlt der Hunger ganz allein,
Verdunstet ist der Flitterwochen Blut.
Um mir den Weg zu kürzen, bieg ich ein
In meines Nachbarn Park, nicht unerlaubt:
Als Knaben teilten wir schon mein und dein.
Seit Jahren ist ihm der Verstand geraubt;
Seit sieben Jahren spricht mein Freund kein Wort,
Das Uhrwerk seiner Nerven ist verstaubt.
Er suchte Gott und Gottes Gnadenport
So brünstig, so mit glühender Leidenschaft,
Daß ihm dafür nun Leib wie Seele dorrt.
Sein Geist ward schwach durch die verpuffte Kraft.
Auf der Terrasse seh ich dumpf ihn sitzen;
Er stützt die Stirn, sie schimmert leichenhaft.
Wie ihn die Sonne, Tag und Licht umblitzen!
Ich halte meinen Gaul auf einen Ruck,
Daß Sand und Kieselsteine mich umspritzen.
Und stünd ich vor ihm auch in Cäsars Schmuck,
Mein armer Irrer hätt nicht aufgeschaut,
So unterjocht ihn seines Hirnes Druck.
Als säh er mich das erste Mal, mir graut:
Minutenlang hält er die Augen fest,
Bewegungslos und ohne Klagelaut.
Dann hält er seine Hand ums Kinn gepreßt,
Minutenlang; und dann, minutenlang,
Starrt er zum Himmel aus des Wahnsinns Nest.
Es kommt sein alter Diener sorgenbang;
Die dunkelroten Plüschgamaschen stechen
Wie Feuer durch den grünen Sommerdrang.
Er bringt ihm Wein, ich hör ihn deutlich sprechen:
Er bittet, er beschwört ihn, doch zu trinken.
Vergebens. Jener starrt zum Herzzerbrechen.
Nun läßt er schwer den Kopf aufs Tischtuch sinken;
Da liegt er, struppig wie ein dürrer Strauß,
Dem keine Auferstehungsfreuden winken.
Ich ritt betrübt in trägem Trott nach Haus;
Gedanken trabten mit mir hin, ein Heer,
Schwarz wie ein mitternächtiger Fratzengraus.
Am Abend galoppiert ein Reitknecht her:
Ich möchte doch so rasch wie möglich eilen,
Sein Herr befinde sich sehr übel! sehr!
In Todesahnung jag ich die zwei Meilen,
Und bin bei meinem Freund, eh ichs gedacht,
Die letzte Stundenflucht mit ihm zu teilen.
Es ruht die wundervollste, wärmste Nacht,
Nur von Fontänen, Quellen unterbrochen,
Die kindlich lallen durch die Blumenpracht.
Aus weißen Wölkchen kommt der Mond gekrochen,
Der volle Mond, und segnet Busch und Feld,
Sanft wie ein Himmelswort, unausgesprochen.
Es träumt das Fabeltier, die Sphinx: die Welt.
Faul, schläfrig dringt ihr Blinzeln durch den Schleier:
Das ewige Lichträtsel »Sternenzelt«.
Auf der Terrasse, bei der Sterbefeier,
Umstehn und stützen ich und Josef ihn,
Den endlich niederzwang der Allbefreier.
Auf einmal, jäh, als hätt ihm Kraft verliehn
Der letzte Tag, die allerletzte Stunde,
Reckt er sich auf, als ob ihn Geister ziehn.
Er ringt nach Worten, ringt nach einer Kunde,
Den Teufeln sie zu künden, seinen Siegern;
So stirbt er, wühlend in der Todeswunde.
Wie Mansfeld, stehend zwischen zweien Kriegern,
Hakt er um unsre Schultern seine Hände,
Ein trotzig Beispiel allen Unterliegern.
Sein Auge glüht wie ferne Fackelbrände,
Und plötzlich reißt, nach sieben langen Jahren,
Reißt seine Zunge ein die stummen Wände.
Er spricht, befreit sich, will sich offenbaren.
Verstand und Unsinn kämpfen, Zeit und Raum,
Die sich zu seltsamen Gebilden paaren,
Wie sich verschlingt, entwirrt, verschlingt ein Traum:
Im Erbstuhl, über meiner Dorfgemeinde,
Im Kirchenstuhl, vergittert, abgeschlossen,
Saß ich als Kind, verwahrt vorm bösen Feinde.
Saß auch die Mutter. Strenger Zucht entsprossen,
Mußt ich zur Kanzel jeden Sonntag mit,
Und habe viele Tränen da vergossen.
Und hab verlernt den lustigen Knabenschritt.
Denn schrecklich hing der Crucifixus dort,
Des Qual in meine junge Seele schnitt.
Ganz unnatürlich langgereckt, verdorrt,
Von Blut besudelt, mit verrenkten Gliedern.
Und furchtbar schnob des Predigers Donnerwort.
Und dann ein Ozean von Himmelsliedern:
Das Orgelschiff: Phantasterein und Tänze
Umrauschten mich mit bunten Prachtgefiedern.
Erzengel winkten: Ruhm und Lorbeerkräuze!
Die Welt durchziehn, ein Großer wollt ich sein:
O Rausch, o Ewigkeit und – Erdengrenze.
Ernüchtrung, Zweifel kam: Ist Alles Schein?
Trug der Erbarmer seine Dornenkrone
Für die Gewaltigen der Welt allein?
Zum Schutz für ihren Geldsack, ihre Throne?
Daß sich die blöde Masse nicht empöre:
Darum das Teufelswerk der Dogmenfrone?
Wenn ich des Heilands Liebeslehre höre,
So weiß ich, daß er den Geplagten sagt:
»Euch send ich meiner Pfingsten frohe Chöre.
Und wer es von den Erdgebietern wagt,
Für seinen Zweck durch mich euch zu mißbrauchen,
Der wird durch alle Höllen einst gejagt!«
Und Christi Flammenfluch kann nie verrauchen!
Das rief ehmals ein Priester in Sankt Veit,
Des gotische Türme in die Wolken tauchen.
Sankt Vitus, der Hradschin! Prags Herrlichkeit!
Eins aber ist noch herrlicher in Prag:
Der Wallenstein-Palast, o Sternenzeit!
Dort saß ich mal an einem Sommertag
Mit dem Genie und seinen Offizieren
In hoher offner Halle beim Gelag.
Im Garten vor uns, zwischen Pikenieren,
Tanzt ein Mongolentrupp in wildem Fluß,
Indessen wir erstaunlich pokulieren.
Da ballert plötzlich ein Kartaunenschuß;
Wie weggeblasen sind die Asiaten,
Und auf die Leere zeigt Oktavius.
Musik begleitet seufzende Kantaten,
Und seht: Da links, allein, tanzt nun der Tod.
He, Seni! wie ist der hierher geraten?
Trübselig, maulhängend stampft der Despot,
Schwenkt hin und her der Schwager sein Gerippe,
Mit einem Ausdruck wie ein Idiot.
Und eine Pfauenfeder statt der Hippe,
Schlank, lang und schwank wie eine Gerte, hält
Er überm Kopf mit lässigem Gewippe.
Und seht: Ein alter schöner Mann gesellt
Sich zu ihm, ernsten Blicks, mit wilden Locken:
Der Gott der Künstler hat sich eingestellt.
Mit einem Teller tritt er unerschrocken
An unsern Tisch und sammelt Batzen ein,
Von Gast zu Gast, und hat zerlatschte Socken.
Und wieder poltert die Kartaune drein:
Die beiden schwinden. Und ein Siegesbogen
Zeigt seinen kühnen Wuchs aus Marmelstein.
Da kommt der Tod noch einmal angezogen,
Und schwingt die Sense jetzt, mit Herrschermiene,
Und hat uns freundlich mitzugehn bewogen
In seine große Nacht; Lichtbaldachine
Erfüllten sie mit siebenfarbigen Prächten,
Da schliefen lächelnd seine Paladine.
Da schliefst auch du, mein Richard, ob den Nächten,
Du, Richard Dehmel, der das Wort ersann,
Das uns gewachsen macht den Schicksalsmächten.
Und dir zur Seite stand ein Rittersmann,
Sanctus Georgius, der am Bändel schleift
Das Ungetüm, der Hölle Guardian.
Und wie mein Blick hin zu dem Heiligen schweift,
Kommt mir ein Georgstaler in Gedanken,
Der wie mit Krallen in mein Leben greift.
Ein blutarm Mädchen tritt aus Frühlingsranken
Und spricht nichts weiter, nur: Ich liebe dich.
Und ihre Liebe kannte keine Schranken.
Ich nehms so mit, und spiel den Täuberich
Mit ihrem Herzchen eine kurze Zeit,
Und lass sie dann erbarmungslos im Stich.
Beim Abschied langt sie schluchzend aus dem Kleid
Den Reitertaler, ihren einzigen Schmuck:
Nimm! bat sie; denk an unsre Seligkeit.
Bald nach dem letzten Kuß und Händedruck
Vergaß ich sie. Bei einer Orgie später
Traf ich sie wieder. Wars Gespensterspuk?
Ich kam mir plötzlich vor wie ein Verräter.
Ich trat ans Fenster; mir im Rücken schrien
Die Tanzenden, wie Belialsanbeter.
Ich schaute finster auf ein Gärtchen hin,
Das, winzig klein, vor mir im Dämmer schleiert,
Kaum sichtbar noch, wie unter Musselin.
Ein dünner, milchigblauer Himmel bleiert,
Darin der feinste, blasseste Neumond steht,
Der seinen Eintritt in den Monat feiert.
Das einzige Beet, ein Sonnenblumenbeet,
Zeigt strotzend seine gelbe Gästeschar,
Die sehnsuchtsvoll das Haupt gen Osten dreht.
Und während hinter mir am Schmutzaltar
Die Lust, das Fieber schwellen bis zum Sieden,
Hör ich am Fenster deutlich, lauter, klar,
Tief aus der Weltstadt einen Glockenfrieden:
Fis – a – d – fis – a – d – fis – a – d tönt,
Unendlich sabbathrein und abgeschieden.
Das hat die Seele mir verklärt, versöhnt;
Ich schleiche weg und steh bald weit entrückt
Auf einem Berge, der ein Flachland krönt.
Noch hält die Dämmrung jede Sicht erdrückt;
Enthüllt doch seh ich einen Götterbaum,
Der einzig diesen hohen Hügel schmückt.
Dort sitzt, wie tief im Paradiesestraum,
Auf höchstem Zweig gekrallt ein Goldfasan,
Der sich scharf abhebt aus dem Sphärenraum.
Und um die Krone schwebt wie Taumelwahn
Lautlosen Fluges eine Rieseneule,
Schwebt langsam stets rundum in gleicher Bahn.
Und unterm Baum steht starr wie eine Säule
Ein Weib mit grauem Haar, in strenger Haltung,
Gestützt auf eine umgekehrte Keule.
Ihr braun Gewand, antik in der Umfaltung,
Hat feuerroten Saum, zwei Hände breit,
So steht sie wie in eherner Erkaltung.
Nun spricht sie wie aus Undurchdringlichkeit,
Spricht finster, nüchtern, langsam, gleich im Ton,
Und reckt sich und erbebt und prophezeit:
»Ich bin die Weltentrauer in Person,
Des ewigen Wechsels närrische Sibylle,
Ich schenk euch des Vergessens seligen Mohn.
Ihr glaubt an Gott, Gesangbuch und Postille;
Ihr Narren sehnt euch aus der Erdenpein,
Als ob im Jenseits andres sich enthülle.
Siehst du die Gräber nicht, die Gräberreihn,
Das große Trauerspiel von Strand zu Strand:
Grab ist des Grabes endlos Stelldichein.
Euch allen wie den Kälbern eingebrannt
Ist dieses Zeichen: Leb und stirb, du Tor!
Und jenseits herrscht derselbe Unverstand.«
Das Weib verstummte. Geisterhaft verlor
Die Eule sich in ferne Leicheuzüge,
Die Sonne würgt sich aus dem Nebelflor.
Ich aber jauchzte: Weiche von mir, Lüge!
Doch immer stand das Weib noch unterm Baum,
Als wenn den Schmerz der ganzen Welt sie trüge.
Da schrie ich auf: Ich glaube! Und wie Traum
Und Eintag schwand sie hin. Der Goldfasan,
Noch seh ich seiner Schwingen letzten Saum,
Blitzt auf zum Licht. Die Sonne bricht sich Bahn,
Der Nebel sinkt, der Zweifel sinkt, der Spott,
Und vor mir glänzt die Landschaft Kanaan:
Da find ich, da erreich ich meinen Gott!
Auf meine Schultern sank des Freundes Haupt,
Er war zu seinem Frieden eingegangen,
Sein letzter Hauch noch sprach: O glaubt, o glaubt!
Groß lag die Nacht, von Netzen wie behangen;
Nur tief im Osten trug ein schwacher Streifen
Zu immer hellrer Ausdehnung Verlangen.
Schon schirrt Apoll, um durch den Tag zu schweifen,
Die Rosse vor, der goldne Wagen loht;
Bald wird sein Furor nach den Sternen greifen,
Sein Atem glüht, es glüht das Morgenrot.

Achtundzwanzigster Kantus: Das letzte Geleit.

Nein, Vater, unser Leben ist nicht schön;
Mag sich der Optimist auch überschlagen
Vor Freude nach den »himmlischen, seligen Höhn«,
Es ist bitter durchtränkt von Leid und Plagen.
Natur und Kreatur: ein wild Gestöhn.
Laut oder heimlich: seufzen und entsagen.
Stirb! rülpst der Tod; es fegt dich weg mein Besen,
Die Erde gähnt dich ein, du bist gewesen.
Gibt es ein Wiedersehn? ein Weltgericht?
Nur deine tiefe Sehnsucht wirkt den Glauben,
Daß einst du schweben wirst im heiligen Licht,
Wo deine Lieben leben, Wolkentauben.
Ist dieses »Wiedersehn« nicht nur Gedicht?
Ein Hoffnungskanaan mit frommen Lauben?
Gott ist das Mitleid, das wir alle haben
Mit uns selbst, und es wird mit uns begraben.
Die Wimpern zu für immer, Hadessäume:
Das ist nach aller Unruhe das Beste.
Der »Sünde« frei, es fielen alle Zäume,
Wir schlafen eine ewige Sieste.
Der heiße Tag und seine dunstigen Träume
Entließen uns aus ihrem stickigen Neste.
Doch möcht ich wohl, ich wär ein liebes Plärrlamm:
In Domino salutem sempiternam.
Die Sünde in Gedanken, die der Tat
Sind gleich; ich wüßte keinen Unterschied.
Doch halt, da trenn ich eine feine Naht:
Die Sünde in Gedanken ist timid,
Auf gut Deutsch: feige, die versteckte Saat.
Doch die der Tat singt uns ein andres Lied:
Die hat (ich sag es immerhin) den Mut,
Selbst wenn ihr Dolch heimtückisch stößt ins Blut.
Die Sünde heißt das eine Wort, (das zweite
Heißt die Moral,) womit ihr stets uns quält.
Bleibt mir damit vom Hals, sonst macht ihr Pleite,
Versengt euch, wenn ihr mir davon erzählt.
Ich halt nicht still; schert euch mit dem Gespreite
Von Gottweißwasundwem, womit ihr schmält!
Für mich ist euer Mumpitz wie ein Toter,
Ein Haufe Stank und Staub und de cent d'autres.
Na, und Moral? Die hat für sich ein jeder
Im Innern, grade wie es ihm just paßt.
Nach außen aber glänzt und gleißt sein Leder
Gefirnißt und gelackt, ein netter Gast.
Er trägt an seinem Hut Tartüffens Feder
Und heuchelt hübsch, ein heilloser Hansquast.
»Hierorts« bläst mancher Streber die Schalmei;
Den Himmel gar beschleicht die Streberei.
Wer lange lebt, denkt schließlich wie Tiber,
Als er vor Ekel sich zurückgezogen.
Gekrallte Finger sind des Menschen Wehr
Nach außen, in des wütenden Kampfes Wogen;
Im Frieden hält er flugs die Hohlhand her,
Zum Trinkgeldnehmen lieblich eingebogen.
Und nun versteh ich auch Lord Chesterfield,
Der seinem Sprößling laxe Lehren hielt:
Belüge und betrüge, wo du kannst;
Betrogen und belogen wirst du immer.
Beschütze gut, was du dir schwer gewannst,
Mit jedem Tage wird der Ansturm schlimmer;
Und wenn du eben einen übermannst,
Ein neuer Gegner stürmt, vielleicht noch grimmer.
Schwing gut den Zweifäustler, schwing auch die Axt!
Und reiß das Herz heraus dem, den du packst.
Für meine Feinde schmied ich eine Stanze:
Ersauft, erfriert, verbrennt, ihr Lieben, Guten!
Stickt euch ins Grab an einer Pomeranze,
Ich steh dabei und will Halali tuten!
Verreckt, wenn ihr das vorzieht, am Veits-Tanze,
An einem unstillbaren Nasenbluten!
Ein Jauchenfaß schütt ich auf eure Wiesen,
Meintwegen mögt ihr euch zu Tode niesen.
Der Haß ist Lucifer-Dianens Sohn.
Der Haß, der Schwester Liebe hoher Bruder,
Schreit wild mit mir auf breitem Feuerthron:
Ich hasse, hasssse dich, verfluchtes Luder.
Und gondeln du, mein Feind, und ich, plumps, schon
Im Styx, dich schlüg ich noch mit Charons Ruder.
Nur müssen wir ihn (leider!) oft verbergen
Und seine Riesenkraft schmählich verzwergen.
Der Haß ist herrlich, wenn er seine Pfeile
Wie Blitze durch die faulen Wasser zischt,
Und wenn das Feld durch seine Donnerkeile
Von ihm verwüstet daliegt und erfrischt.
Doch »Klugheit« fordert oft, daß seine Beile
Stumpf werden und sein letztes Flämmchen lischt.
Ich liebe Bismarcks Wort, das nie verblaßt:
Ich habe diese ganze Nacht gehaßt.
Des Hasses andre Schwester heißt die Rache,
Die eher nicht das Schwert der Scheide giebt,
Als bis in ihres Feindes breiiger Lache
Haus, Hof und Herrn ein Ende sie beliebt.
Dann spielt sie Fangball in der Hallenwache
Mit seinem Haupt. Es tröpfelt und es stiebt
Das Blut des Halses auf die Marmorstufen.
Jetzt hält sies hoch, und jetzt gehörts den Hufen.
Dein heißes Herz sollst du in Eisen schnüren,
In kaltes Eisen. Weißt du auch, warum?
Wenn du sie öffnest, deine Herzenstüren,
Dann halten alle dich für maßlos dumm,
Und haben recht und werden dich nasführen
Und ausrufen: Dreht mal dies Vieh rundum!
Und gibt das Glück dir stumm ein Stelldichein,
Laß nicht und nie die Außenwelt herein!
Verzweiflung müßte jeden Menschen quälen,
Wüßt er, daß nichts ihm hilft der stärkste Wille.
Nie kann er sich aus seiner Hülle schälen,
Liest er auch Tag für Tag die Trostpostille.
Und würd er mit der Schöpfung sich vermählen,
Umsonst: nichts wird ihm als die schwarze Stille.
Er geht, entsetzt von all der Nacht und Not,
Mit ausgespannten Armen in den Tod.
Den Onde lyne mig! Wegda die Flausen!
Hinaus! Und nimm die Freude untern Arm!
Hyänen mögen bei Hyänen hausen,
Und gib zum Fraß den Wölfen deinen Harm.
Du mußt vergnügt die Welt am Ohre zausen,
Dann wird das Herz dir wieder wohl und warm:
Die Zweifel sollen am Montblanc zerschellen,
Strömt über mich von neuem, Menschenwellen!
Der schönste Sommermorgen hat geflaggt,
Die Sonne soff den Tau schon zentnerweis.
Was sich auf Erden abmarackt und plackt,
Soll heut mal bremsen seinen Fleiß und Schweiß.
Längst bin ich unterwegs, und unbefrackt,
Doch auch nicht nackt, auf Sirupmanns Geheiß,
Und sing, aus welchem Grund, ich weiß nicht wie,
Hortensens Lied: Partant pour la Syrie.
In Stormarn bin ich; Poggfred liegt nicht fern,
Nicht allzufern der Grafschaft. Viel zuhauf
Gibts da der »Stürmenden«. Der helle Stern
Des edeln Hauses Wedel ging hier auf.
In braven Heidenzeiten war es Kern
Der Priesterkaste und des Volkes Knauf.
Noch immer heißt der Gau der Wedel-Gau,
Wo dieser Clan einst saß im Waldverhau.
Das Wappen Stormarns ist der wilde Schwan,
Der den gezackten Halsring trägt als Zier.
Die Hauptstadt Stormarns, Hamburg, ging voran:
Auf ihrer Alster zieht das stolze Tier
Seit Urzeiten die blanke Wasserbahn,
Gleichsam der Hansa schwimmendes Panier.
Die Stormarn schwuren auf den Schwan den Eid,
Und den Walküren war der Schwan geweiht.
Was hör ich da für einen losen Sang?
Ein Tingeltangellied, nicht ganz »solid«:
Sehn Sie, das ist ein Geschäft,
Und das bringt noch was ein.
Ein jeder aber kann es nicht,
Es muß verstanden sein.
Wer kommt frischweg? Ein junger Jägersmann.
Hast recht, sing zu, du lustiger Kumpan!
Was klingt herüber jetzt aus sanfter Weite?
Das Santus aus der hmoll-Messe? Horch.
Santus, Santus, Santus,
Dominus Deus Sabaoth!
Pleni sunt coeli et terra gloria ejus.
Osanna in excelsis!
Das klingt, als jauchzt es her vom Weltendach;
Gott kröne dich, Johann Sebastian Bach!
Auf meinem Gang stehn Blumen viel und Gras,
Blüht Teufelsabbiß, Gottesgnadenkraut,
Wolfsfuß, der seltne, den ich mir erlas.
Und wie das Kuckucksblümchen schämig schaut.
Der gelbe Färberginster. Leider saß
Der Ackersenf im Hafer, höchst vertraut.
Das Weidenröschen und der Weiderich:
Das süße Röschen und Hans Liederlich.
Kornähren fand ich krumm in Knicks und Hecken,
Von durchgefahrnen schweren Erntewagen.
Der Roggen war schon »ein«. Vielleicht auch stecken
Noch einige drin aus frühern Sommertagen.
Will wiedrum mich Musik aus Träumen wecken?
Ein Trauermarsch mit seinen Totenklagen.
Ein Leichenzug fährt langsam auf mich zu;
Da hat ein Mensch mal wieder seine Ruh.
Und wie der Sarg mir immer näher rückt,
Erkenn ich eine Reihe Veteranen,
Mit Orden, mit dem Eisernen Kreuz geschmückt.
Es kam von selbst: ich folgte ihren Fahnen,
Den alten Kriegern, die schon kopfgebückt.
Und Goethes Ausspruch hört ich leise mahnen:
Der Mensch erfährt, er sei auch wer er mag,
Ein letztes Glück und einen letzten Tag.
Hat ers verlangt? Schlachtmärsche wechseln ab:
Des heimgegangnen Helden letzter Wille.
Er muß noch einmal, kurz vor seinem Grab,
Die Märsche hören vor der Kirchhofsstille.
Im Leben waren sie sein Haltestab,
Bis ihm, aus ists, verglaste die Pupille.
Drei Märsche folgen auf einander immer,
Die sind voll Kraft und Schliff wie Bronzeschimmer.
(Der Torgauer:)
Der Sturm mißlang. Zurück. Und Finsternis.
Der Teufel schimpft! Bleibt stehn! Der König vorn!
Der Mond bricht matt durch einen Wolkenriß.
Noch einmal vorwärts! Zorn und Dorn und Sporn!
Der König, der sich in den Fels verbiß.
Vergebens! Wer trabt an im Winterkorn?
Der alte Ziethen zeigt den Reiherbusch.
Victoria! Blechmützen und Cartouche!
(Der Hohenfriedberger)
Friderici Genius hatte kommandiert;
Potselement, wie er den Feind zerbläute!

Das Regiment Bayreuth attackiert;
Und sechsundsechzig Fahnen sind die Beute!

(Finnländischer Reitermarsch:)
Finnländsche Reiter: Oberst Falkenskjold.
Bei Lützen. Schritt. Der Oberst vor der Mitte.
Ein Schuß hätt ihn vom Sattel fast gerollt.
Noch immer zieht das Regiment im Schritte.
Ein zweiter Schuß trifft ihn durchs Schnallengold.
Sein Säbel winkt ins Feld zum Ährenschnitte.
Fanfare! Falkenskjold und Pappenheim.
Der Tod macht sich aus beiden einen Reim.

Drei Salven. Amen. Erde. Hin ist hin.
Ich wandre wieder in den Einsamkeiten;
Die Redder wissens, wo ich gerne bin.
Und wie sich die Gedanken dann verbreiten:
Das Netz hat fein, das Netz hat grob Gespinn
Und dehnt sich in die Enge, in die Weiten.
Gab plötzlich mir der schöne Tag den Kuß,
Daß ich an unsern Mörike denken muß?
Wer kennt dich denn, Poet? Wer mag dich kennen?
Dein Vaterland? Da will ich lieber schweigen.
Nur wenige Menschen könnt ich immer nennen,
Die sich, gleich mir, vor deiner Anmut neigen.
Nichts soll uns, diese wenigen, von dir trennen;
Wir wollen deinen Kranz den Sternen zeigen.
Ihr Deutschen, kommt und hört sein Saitenspiel!
Seid dankbar, wenns in eure Herzen fiel:
Denk es, o Seele.
Ein Tännlein grünet wo,
Wer weiß, im Walde.
Ein Rosenstrauch, wer sagt,
In welchem Garten?
Sie sind erlesen schon,
Denk es, o Seele,
Auf deinem Grab zu wurzeln
Und zu wachsen.
Zwei schwarze Rößlein weiden
Auf der Wiese,
Sie kehren heim zur Stadt
In muntern Sprüngen.
Sie werden schrittweis gehn
Mit deiner Leiche;
Vielleicht, vielleicht noch eh
An ihren Hufen
Das Eisen los wird,
Das ich blitzen sehe.

Neunundzwanzigster Kantus: Heimfahrt.

In diesen Tagen sah ich einen Greis:
Er saß vor seinem Schloß auf der Terrasse
Und schaute mild und müd ins Frühlingsweiß,
Ins Blumenbeet der grünen Sträuchergasse:
Wie quillt und schwillt und dehnt sich jedes Reis,
Wie schöpft sich alles aus in Übermasse.
Bald scheint, vertieft, er vor sich hin zu nicken,
Bald einer Taubenschwenkung nachzublicken.
Was sinnt er nur? Was führt ihm die Gedanken?
Noch sieht er frisch und klar aus und gesund.
Und doch vielleicht schon denkt er an die Pranken,
Womit der Tod ihm plump zuschlägt den Mund.
Ihm fällt wohl ein, wie Hirsch und Keiler sanken
Ins Haidekraut, ins Waldmoos, weidewund.
Und Schmerz und Lust, die beiden bösen Feinde,
Verschmelzen ihm zur friedlichen Gemeinde.
Er ist schon drüber hin. Das wilde Leben
Lärmt zu ihm her in immer schwächern Tönen;
Es kann ihm keine Aufregung mehr geben,
Es ist nur Maske, kann ihn nicht mehr höhnen.
Wer stürzt und stirbt, kann sich nie mehr erheben;
Zu viele sah er schon an Gräbern stöhnen.
Die letzten Stunden, die er noch gewonnen,
Will er sich nur noch in sich selber sonnen.
Glückseliger, wie bist du zu beneiden.
Was jeder Tag uns bringt in seinem Lauf
An Glück und Unglück, Werden und Verscheiden,
Dir ist gleichwert Geriesel und Gerauf.
Du hast zu viel erlebt an Freud und Leiden,
Da hört dir endlich das Erkennen auf.
Gelassen lächelst du ins Erdgewimmel,
Als säßest du schon wohlgemut im Himmel.
Leb wohl, mein Greis. Ich geh durch deinen Park,
Den deine Güte jedem offen stellt;
Hoch in den Pappeln hadern rark und quark
Vier Raben um ein warmes Wipfelzelt.
Und Nachtigallen jodeln stur und stark
Ihr herrisch Brautlied in die Liebeswelt.
Die alten Eiben streun einschläfernd Gift
Und deuten so vergangner Zeiten Schrift.
Fast wärs mir unter diesen Rätselbäumen
Ergangen, wie es manchem schon erging:
Der nie mehr aufwachte aus seinen Träumen,
Wenn er sein Ränzel ins Gezweige hing,
Um hier den heißen Mittag zu versäumen,
Und den dafür der ewige Schlaf umfing.
So macht ich schleunig mich auf die Gamaschen
Und ließ mich nicht vom Sensenmann erhaschen.
Ich kam durch einen Teil vom großen Garten,
Wo Louis Quinze und Louis Seize noch weilten,
Wo rings Lenôtres Heckenkünste starrten.
Bis sich die steifen Bäume wieder teilten
Und ungestutzt im Wind die Äste knarrten,
Die allgemach von der Natur geheilten.
Verdutzt stand plötzlich ich in einer Wildnis,
Und vor mir zeigte sich ein seltsam Bildnis:
Das Bild: Ein Kirchlein lugt aus Farn und Gräsern,
Friedlich und stumm, vergessen, trösteweich.
Kein Ton von schrecklichen Posaunenbläsern
Schrak hier wohl je den Christen käsebleich.
Wer weiß, ein Trupp von frommen Bibellesern
Erbaute einst sich dieses Gnadenreich.
Ich seh durchs Gitter, sehe Sarg an Särgen;
Das Kirchlein scheint die Ahnengruft zu bergen.
Als ich nun niederschaute auf die Wappen,
Flüsterts herauf zu mir aus dem Quartier
Der Ritter, Edeldamen, Edelknappen:
Ach, wären wir im Sonnenlicht bei dir!
Und könnten lüften unsre Gugelkappen
Und wieder jauchzen unter Mensch und Tier!
Ich wandte mich betrübt von solchem Gruß
Und lenkte um die Mauern meinen Fuß.
Da fand ich, als ich um die Ecke bog,
Ein Wandgrabmal mit schlimmstem Mönchslatein,
Das mich sofort in tiefes Sinnen zog,
So prägten sich mir seine Verse ein.
Wie rührend klang der lange Epilog,
Ich mußte gleich dem Dichtersmann verzeihn.
Animula beata Oligarde,
Mit diesem Segenswort begann der Barde.
Klein-Oellegaard [Fußnote], jetzt will ich dir erzählen,
Hör einmal her von deinem Engelsplatz,
Wie deine Mutter sich um dich tat quälen,
Du deiner Mutter letzter Lebensschatz.
Freilich, doch darum wirst du mich nicht schmählen,
Ich muß berichten von sehr wüster Hatz.
Und mach ichs gut, wirf mir einmal zum Lohn
Ein Kußhändchen von deinem Sternenthron.
Von vierzehn Kindern blieb der Mutter eins,
Ein Mädchen, Oligarda, dreizehn Jahre.
Auch diese starb. Nun hat die Ärmste keins.
Sie legt die Tochter schluchzend auf die Bahre.
Im huschenden Flackerglanz des Fackelscheins
Trägt man die kleine Leiche zum Altare,
Um morgen ins Gewölbe sie zu betten
Und mit den andern Truhen zu verketten.
Wie liegt sie nun vereinsamt in der Nacht;
Ists nicht, als wenn, horch, fernher Wölfe heulen?
Der Deckel hat sie noch nicht überdacht;
Ans Fenster schlagen neugierig die Eulen
Und mustern dumm des Sarkophages Pracht,
Das Kerzenlicht und die umglänzten Säulen.
Die rote Mohnblume der Einsamkeit
Hat Oligardens blasse Stirn geweiht.
Da brennts! Wo brennt es? Wie die Feuer lohen!
Der Himmel qualmt, der Schwede kam ins Land.
Die Stadt, das Dorf, die fernsten Weiler flohen,
Der ganze Horizont ist überflammt.
Betrunken wälzen sich die gierigen, rohen
Soldtruppen vorwärts, außer Rand und Band.
Ans Kirchlein, näher, hör ich eine Trummen
Ganz schwach, dann stärker, immer stärker brummen.
Und eine Abteilung kommt anmarschiert,
Und hält am Gotteshaus, um zu verschnaufen,
Und sieht erstaunt es drinnen lichtverziert.
Hinein stürzt spornstreichs der gesamte Haufen:
Sind Kameraden dort wohl einquartiert?
Vielleicht gibts da zu fressen und zu saufen.
Halt, halt! Sie stutzen, glotzen. Was ist das?
Der Raum ist leer, kein Futter winkt, kein Faß.
Nun stoßen sie zum Plündern weiter vor,
Aus aller Herren Ländern sinds Halunken;
Der Schwede goß sie zum erlesenen Korps
Und scheint mit dem Gesindel noch zu prunken.
Hier raubt ein Spanier, dort ein Tabumohr;
Ein Türke wirft zum Brand die ersten Funken.
Ein Römer rast nach vorn und – schlägt das Kreuz
Vor einem Sarge stockt er: ihn gereuts.
Und alle stehn im Umkreis um die Leiche.
Ein Augenblick, dann bricht der Satan aus:
Sie raffen sie, wie Linnen von der Bleiche,
Und kollern auf die Fliesen sie hinaus,
Und tanzen wild, wie um die Martereiche,
Und zerren ihr vom Latz den Veilchenstrauß.
Und einer reißt ihr auf den süßen Mund
Und gießt ihr Schnaps, ihr Heiligen! in den Schlund.
Da öffnet sich die Tür, sehr langsam, schwer:
Ein winziger Herr, im Pelz, von Gicht ganz krumm,
Noch jung, steht sprachlos da; wo kommt er her?
Und steht noch immer spukhaft starr und stumm.
Jetzt löst er die Pistole aus dem Wehr
Und schießt: ein Polack kugelt sich rundum.
Blitz, der! Der Torstenson, genannt »der Schlag«,
Traf eben ein im Holstenland aus Prag.
Das Fähnlein sockt davon. Die Trommel schallt,
Erst laut, dann schwächer, ferner, schwächer; Schweigen.
Die weißgetünchten Wände schauern kalt,
Verschwunden ist der fürchterliche Reigen.
Wie ein Gespenst durchscheint der Mond den Spalt
Und möchte sich voll Mitleid niederneigen.
Die Morgenröte kriecht aus Wolkenwellen
Und wagt es kaum, das Kirchlein zu erhellen.
Der Tag bricht an. Verzweiflung. Doch, ein Muß:
Sie wird von neuem in den Sarg gewiegt,
Wo ihr zu Häupten, nach dem Abschiedskuß,
Der rote Mohn der Einsamkeiten liegt.
Ein Wanddenkmal aus Marmor wird zum Schluß
Den kahlen Außenmauern angeschmiegt.
Sankt Michael steht mit dem Schwert davor:
Animula beata Oellegaard.
Leb wohl, Klein-Oellegaard, vergiß mich nicht.
Ich will nun wieder meine Wege gehn
Durch Junimittagsglanz und Sonnenlicht;
Heut bläst der Künder Gottes: Auferstehn!
Komm, Oligarda, mit in dies Gedicht:
Syringen, Goldregen, erschlossene Schlehn.
Mein glücklich Seelchen schläft im Särgechor,
Animula beata Oellegaard.
Als ich zurückging, fand ich noch den Greis;
Er saß wie vordem an derselben Stelle
Und schaute seinen Tauben nach, die weiß,
Schlehblütenweiß sich hoben aus der Helle,
Sich hoben aus dem blauen Himmelskreis,
Im Meer der Luft wie eine Silberwelle.
Verlor sich eine aus dem kurzen Bogen,
Kam bald sie pfeilschnell hinterher geflogen.
Von Kindheit an kenn ich den alten Herrn,
Von jeher hat mein Herz an ihm gehangen;
Auch hat er mich, ich weiß es, wirklich gern.
So bin ich denn zu ihm hinaufgegangen,
Zu ihm, der hoch schon in den Achtzigern,
Und ward mit leisem Freudenruf empfangen.
Als treue Nachbarn sind wir eng verbunden,
Viel Anregung hab ich durch ihn gefunden.
Heut schien er aufgelegt, und seine Lippe
Verschenkte mir viel Weisheit, Weltflucht, Wahrheit.
Vom Nacken saß ihm weit die Todeshippe,
So ruhig sprach er und mit solcher Klarheit.
Nur ganz zuletzt ward grob er wie Xanthippe:
»Das Leben ist halt eine einzige Narrheit!«
Da fuhr mein Wagen vor. Die Exzellenz:
»In Poggfred, bitt ich, meine Reverenz.«
Ah, solch ein Frühlingstag: Der Sommer streckt
Den heißen Arm nach immer frührer Stunde,
Die schneller, zeitiger den Schläfer weckt.
Und schon geht durch die Gärten frohe Kunde,
Daß sich das Land mit Rosen überdeckt;
Und Rosen sind ein Balsam mancher Wunde.
Noch ein paar Nächte, und der Sommer hat
Die sichre Herrschaft über Flur und Stadt.
Zwei Stimmen hinterm dichten Knick: »Johann,
Hest du de Hark ock mitbröcht?« »Dammig, nä,
Dat hev ick rein vergeten.« »Döskopp.« Dann
Hört die erstaunte Mitwelt ein Gekräh,
Das grade nicht als Beispiel dienen kann
Für eines sanften Umgangs A-B-C.
Bald aber säuselts nur noch engelgleich,
Denn mählich kam ich außer Lauschbereich.
Aus einer Kate steigt der Rauch empor,
Sie ist umhegt von einem Eschenkreise;
Die Wipfel sind des Friedens hohes Tor,
Der sachte Herdrauch macht die Himmelsreise.
Die Tür geht auf, die Kätnersfrau tritt vor
Und sieht sich um, sieht nach dem Fahrgeleise.
Sie wartet wohl auf einen, den sie liebt,
Und dem sie ihre Sehnsucht gab und giebt.
Und richtig, während sie noch steht und schaut:
Beurlaubt kommt dort ein Soldat gegangen,
Im Helm; ins rote Taschentuch, verstaut,
Hat er sein bißchen Notbedarf gehangen.
»Na, Jung, wo geit't?« Ein unterdrückter Laut,
Und Sohn und Mutter halten sich umfangen.
Sein Dorfmädel lugt hinterm Schober scheu:
Blieb er mir in der Garnison auch treu?
Mien Länneken, dat is'n beten »dröhnig«,
Es zeigt nicht offenkundig Lust und Schmerz;
Und das ist herrlich, wie wenn stolz ein König
In starren Panzer hüllt sein starkes Herz.
Die Andern halten ihn für recht eintönig,
Der durch die Tageswildnis geht in Erz;
Und hat vielleicht ein mitleidig Gemüt,
Das wie die Blume unterm Eise blüht.
Mein Heimatland, dich lieb ich nie genug.
Zwar hast du niemals dich um mich geschoren;
Na, kümmt all t'recht, dich lieb ich Zug für Zug.
In deinem Wälderschutz bin ich geboren
Und sah auf deiner Flur den ersten Pflug;
So hab ich mich für immer dir verschworen.
Doch bin ich ganz vom Thema abgekarrt;
Wo blieb ich stehn? Ah, bei der Heimkehrfahrt.
Die Sonne geht und auch der Tagesschein,
Ein schwerer Duft zieht über Rain und Rasen.
Die Luft ist lau, der Hügel ruht wie Stein,
Wo, himmelabgezeichnet, Kühe grasen.
Dort in den Garten tritt ein Prinz hinein,
Wo laubige Linden stehn um Marmorvasen:
Ein Prinz mit großen blauen Dichteraugen,
Die ernst die Märchenschönheit in sich saugen.
Nun hat der heitre Tag sich ausgelacht,
Die Farben schatten in einander über.
Der ganzen abendhellen Farbenpracht
Stellt sich ein finstrer Riese gegenüber
Und drückt sie langsam in den düstern Schacht;
Der dämmersatte Ton stirbt matt hinüber.
Noch fern ein Stückchen letztes fahles Rot;
Ein schwarz Gewölke harkt es in den Tod.
Ich fahre meinen Weg im Dunkeln weiter;
Im Dunkeln kommen mancherlei Gedanken,
Recht störend oft und lästige Begleiter,
Die sich um unsre Seele kriechend ranken.
Und die Gedanken werden immer breiter,
Je mehr wir sie im Innern niederzanken.
So fiel mir aus der heutigen »Landpartie«
Das Wort ein, das zum Schluß der Schloßherr schrie:
»Das Leben ist halt eine Narretei.«
Wie aber, wenn dem wirklich nun so wäre?
Wenn Alles nur ein gräßlich Einerlei?
»Nicht wert des An- und Ausziehns?« Zu viel Ehre!
Dann dank ich für die schale Mummerei!
Was nützt die Schule, oder sonstige Lehre?
Der Zweck von alldem? Was ist Anfang? Endnis?
O maßlos Weh der ödesten Erkenntnis!
Bin ich denn solcher Pessimist geworden?
Und schlimmer noch: ein Phrasendrescher gar?
Nein, lieber tret ich in den Bettelorden.
Man soll die Erde nehmen klipp und klar,
In Mollakkorden und in Durakkorden.
Sie bleibt dieselbe, wie sie ist und war.
Von Anbeginn und bis in Ewigkeit
Drehn sich, ein Karussell, Friede und Streit.
Zwar scheint die Molltonart oft überwiegend.
Wie wars doch, als ein Traum mich neulich plagte:
Aus einem Eden in ein Prachtschloß biegend,
Betrat ich einen Saal, der so hoch ragte,
Daß sich die Decke, durch die Wolken fliegend,
Fast mit dem Scheitel an die Sterne wagte.
In Herrenchiemsee wird er heut noch prunken,
Wo einst ein König schritt, von Schönheit trunken.
In solcher Halle ging ich auf und nieder,
Von ungeheuerm Lichtmeer übergossen.
In dieser Halle ging ich auf und nieder,
Von Einsamkeit in Überfluß umflossen.
Und in der Halle ging ich auf und nieder,
Als wär sie mir, und keinem sonst, erschlossen.
Mein Fuß, der knarrend durch die Stille drang,
Gab in der Stille auch den einzigen Klang.
Da hört ich, während meiner Wanderung,
Es zischeln hinter Sesseln, Wänden, Säulen:
Du Mörder, Wechselfälscher, Galgenstrunk.
Dann kam es leise wie aus Schlangenknäulen:
Du Hundsfott, wart auf deine Züchtigung,
Wir wollen das Erinnyenlied dir heulen.
So gehn wir arglos durch den Menschensaal,
Verfolgt vom ganzen Erdentribunal.
Lieblosigkeit und Neugier, Zwillingsschwestern,
Sie geben Tag und Nacht dir das Geleite;
Sie sind von morgen, sind von heut und gestern,
Und weichen keinen Schritt von deiner Seite.
Sie einigen sich zu würdigen Orchestern
Und tragen ihren Ton in Näh und Weite.
Drum komm zuvor und mach dein Ohr leicht, Ohr licht;
Denn überall heißts Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht.
Verleumdung, Klatschsucht, auch ein edles Pärchen,
Und eng verwandt mit – doch ich werde dumm.
Die Psychologen spalten diese Härchen
Und drehn viel besser dann die Spitzen um.
Und die Moral schickt gleich ein Kommissärchen
Und hält geschwinde ein Colloquium.
Nur eins noch möcht ich selber untersuchen
Und es in diese Stolperstanzen buchen:
Ja, Vorsicht, Vorsicht! Ach, was soll sie nutzen,
Wenn jeder Augenblick uns töten kann!
Ob Paradiesestäler, ob Abruzzen,
Gleich kommt ein Räubersmann und fällt uns an
Und sticht uns tot, wie sehr wir ihm auch trutzen;
Vorsicht ist ein ohnmächtiger Tyrann.
Wer Unglück hat, der strauchelt selbst im Grase
Und bricht sich, wie das Verslein sagt, die Nase.
Noch halten heitre Träume dich umfangen,
Die nächste Stunde hast du Gallenfieber.
Noch prahlen blühend deine roten Wangen,
Und morgen? seh ich dich als Schattensieber.
Heut rasselst du mit goldnen Ritterspangen,
Und künftig Jahr? hm: bist du Karrenschieber.
Nenns Fatum, Schicksal, Zufall, nenns Kismet,
Wo wäre der, der jemals ihm entgeht?
Das Schwert hängt über uns stets laß und lose;
Ein Hauch, es fällt, still traf uns seine Tücke.
Es stach sich wer beim Pflücken einer Rose,
Zeitlebens ging er deshalb an der Krücke.
Auch mir begegnete mal eine Chose,
Ich sehe noch des kleinen Dolchs Gezücke.
Das widerfuhr mir einstens in Marseille;
Als ich dort ankam, blies man grad Reveille.
Das schrieb ich eben nicht des Reimes wegen,
Nein, es war wirklich so. Und nun: Beginn:
Ich fuhr durch der Provence Rosensegen
Und eilte südwärts, nach Marseille hin,
Um einen Kranz zu Füßen ihr zu legen,
Des mittelländischen Meeres Königin.
Zwar »Königinnen« hat dies Göttermeer
(Verzeih mir, Napoli) ein ganzes Heer.
Auf der Promenade de la Corniche war
Ich täglich Gast und schaute auf die Wogen.
Es war im März, der Himmel sommerklar;
Von drüben kam ein heißer Duft gezogen,
Von Afrika, vielleicht vom Nil sogar,
Den hab ich in mein heißes Herz gesogen.
Vor mir stand Hannibal und sein Geschick,
Und jene Königin mit dem Schlangenblick.
Massilia, was fiel mir damals ein,
Auf dieser wundervollsten Promenade:
Ich sahs in meinem Schleswig-Holstein schnein,
Der März ist da meist ohne jede Gnade;
Ich sah ein Haidehaus, im Torf, allein,
Es liegt im Moor wie eine Totenlade.
Oft hab ich drin, nach mancher Jagd, geruht
In eines hübschen Bauernmädchens Hut.
Das waren stille Tage, stürmische Nächte,
Ein Winterglück, ein Jägerglück, ein Traum.
Du liebes Mädel, deine flachsne Flechte,
Die frischen Lippen, deiner Wangen Flaum:
Wer mirs in dieser Stunde wiederbrächte!
Die Palme gäb ich um den Zwetschenbaum
Vor unsrer Tür, gar wenn die Flocken stoben,
Mit weißem Schleier ihn und uns umwoben.
Mit Wildbret kehrt ich heim vom Weidmannszug,
Im Dämmer führte mich der Abendstern.
Mettwurst und Ledderkäs, der Dorfbierkrug,
Als Dame d'honneur de schlankse Buerdeern.
Das samtne Mieder, das Gesine trug,
Das strotzend, streng sich strammte, trug sie gern.
Seid unbesorgt, die Tugendtante wacht,
Und damit sag ich allen Gute Nacht.
Mein Schleswig-Holstein, tief im Schnee versiegelt,
Wie lieb ich dann dich erst, mein Wiegenland:
Du hast die Türen alle fest verriegelt,
Und deine Knicks sind Wetterschirm und Wand,
Bis sich in deinen Fenstern wiederspiegelt
Des Sommers roter Abendsonnenbrand.
Mein Schleswig-Holstein, tief im Schnee vermummt,
Nie bist du laut, nun bist du ganz verstummt.
Vergebt, vom Meere mediterrané
Sprang ich nach Norden; schnell zurück den Sprung!
Kamelien blühn noch weißer als der Schnee,
Das blaue Meer bringt mich in alten Schwung:
Ich sag der Route de la Corniche Ade,
Und bin in andrer Straßengliederung.
Dort fand ich, wegab, rings in Blumenbeeten,
Ein zierlich Wirtshaus, und bin eingetreten.
Die Klinke halt ich schon in meiner Hand,
Da wird die Tür von innen aufgeschmissen!
Was ist? Ein Weib ist an mich angerannt,
Umklammert mich wie einen Leckerbissen.
Vier Kinder hängen ihr am Schürzenband,
Ein fünftes hat sie an die Brust gerissen.
Die Linke halt ich unwillkürlich vor
Und bin im Handumdrehn ihr Garde du Corps.
Ein Mann kommt funkelnd auf uns zugesprungen;
Ihr Ehgespons? Sein Messer blitzt wie Feuer,
Er sticht; ich hab nicht mal mit ihm gerungen,
So atemlos lief dieses Abenteuer.
Der Dolch hat meinen linken Arm durchdrungen,
Ich purzle und verliere Stab und Steuer.
Im Fallen denk ich, sonderbarerweise,
Im Sturz noch: Dazu also diese Reise?
Im Nu sind um mich viele Menschen schon,
Und schwarze Augen brennen sich in meine.
Sie würgen mich, ich hör ihr wütend Drohn,
Und alle rufen rasend im Vereine:
Er ist ein Dieb, ein Gauner, ein Spion,
Wir binden ihn, hier ist die Wäscheleine!
Ich blute schwer, es schwindet mir der Sinn;
Ich wache auf und weiß nicht, wo ich bin.
Im Kerker? Noch ist nicht mein Arm verbunden;
Wie lange, lange soll ich hier denn warten?
Ich hungre, durste, Schritte, bin gefunden:
Ein Hin und Her, Verhöre aller Arten,
Der Drahtbericht, die Botschaft, noch zwei Stunden,
Bis sich die wüsten Wirren offenbarten.
Spielt so der Zufall? War das Schicksalstücke?
Wer findet zwischen beiden je die Brücke?
Da fällt mir ein: »Der Wurm sprach: Ich verzichte.«
So steht es irgendwo bei Liliencron
In einem Robben-Räuber-Rundgedichte.
Das sagt ich auch mit sauersüßem Hohn
Und dampfte eilends ab nach der Geschichte,
Ich fand nicht mehr den rechten »Reiseton«.
Und hier wie stets: Erfahrung macht den Meister.
Wenn einer sorglos Schlitten fährt, entgleist er.
Das paßt ja gar nicht in dies Intermezzo;
Was soll Erfahrung hier für »meinen Fall«?
Doch da ich just das Wort Erfahrung jetzo
Beim Wickel habe, spiel ich mit ihm Ball,
Und finde diese Wendung auch ganz nett so
In ihrem fürchterlichen Reimeschwall.
Erfahrung heißt die alte gute Trudel,
Die uns herauszog aus dem Jugendstrudel.
Und aus Erfahrung wird man dann Philister;
Das klingt verzweifelt, ja, es klingt verdammlich.
Mir ists ein Trost, und gar nicht mal ein trister;
Das allerdings, hm, räuspre, hm, und stamml ich.
So werd ich gar am Ende noch Magister,
Und euern Spott auf meiner Glatze samml ich.
Der »Bruder Liederlich« singt: Preis und Ruhm,
Es lebe hoch, hoch das Philistertum!
Wir schmauchen »unser Pfeifchen«, wohl bekomm es,
Wir leisten uns ein bißchen Korpulenz.
Und unser Lebensfeuer: ach, verglomm es?
O nein, wir speisten es mit Abstinenz.
Wir werden sacht ein Tier, ein gutes, frommes,
Und alle Unruh wird uns Pönitenz.
Der Lehnstuhl und die Zeitung sind die Losung,
Und wie beim Karpfen mehrt sich die Bemoosung.
Was fällt mir ein? wo bin ich hingeraten?
Ich wollte doch vom Glück der Ehe schreiben,
Und wühle mich in allerlei Kantaten,
Die gar nicht passen in dies Kesseltreiben.
Der Leser stellt mich hin als Inkulpaten
Und ruft mir zu: Das lassen Sie hübsch bleiben!
Verzeiht, dies Faseln ist mein Jagdrevier;
Es tut mir leid, car tel est mon plaisir.
Zur Sache! Endlich! Ja, das war mein Zweck:
Vom Glück der Ehe wollt ich einmal künden,
Daß sie des Lebens Eiland ist und Eck,
Daß sie allein, wenn wir den Herd uns gründen,
Der Liebe gibt gesicherten Versteck,
Weil Eintracht und Verständnis sich verbünden.
Vorausgesetzt, daß sie »vom Himmel« ist;
Sonst ist sie teuflisch wie der Antichrist.
Ihr Götter, ja, ich spiel mit meinen Kindern;
Seht ihrer Unschuldsaugen Weihnachtssterne!
O, Götter, euch, euch alten Bürstenbindern
Gesell ich mich mit meiner Hauslaterne.
Kein »Schwarzer Mann« soll meine Kleinen hindern,
Sich tüchtig auszutoben bis zum Kerne.
Dann schlafen sie mit heißen Bäckchen ein
Und werden wohl bei Gott im Himmel sein.
An meinem Schreibtisch hatt ich heut Besuch:
Grimms Märchen trug mein Töchterchen heran.
Dies ewige Stören ist Familienfluch!
Ja, aber, wie, was? Bin ich ein Tyrann?
So bleib denn hier mit deinem lieben Buch
Und, Abel, höre zu! Und ich begann
Mit Rotkäppchen. Dann andrer süßer Trödel.
Noch nicht genug? Nein, nein. Schluß: Aschenbrödel.
Was? Noch mehr lesen? Nein, das ist zu viel!
Na, zeig mal her denn! Ah, der Fitzebutze!
Der treibt ein ganz entzückend Narrenspiel,
Und seine Weisheit mach dir recht zunutze!
Mein Freund, der Fitzebutze, kennt sein Ziel;
Ich glaube gar, daß ich mich mit ihm dutze.
Nun, wähl dir aus. Das mit dem »Maulkorb« denk ich,
Das macht mein Plappermäulchen wohl bedenklich.
Mein Söhnchen sitzt vor mir in seinem Stühlchen;
Was soll ich, Wölfchen, bloß mit dir anfangen?
Du hast bis heute ja nur ein Gefühlchen:
Nach Milch und Schlaf steht einzig dein Verlangen.
Nun, kleiner Wulff, paß auf, du Ridikülchen,
Vielleicht kann ich auch deine Gunst erlangen:
Ich sing dir vor aus Carmen fesch und forsch.
Er horcht mit offnem Mäulchen wie ein Dorsch:
L'amour est enfant de Bohême,
Qui n'a jamais connu de loi.
Si tu ne m'aimes pas, je t'aime;
Si je t'aime, prends garde à toi.
Er reißt entsetzt die Äuglein auf und – he:
In meinem Wagen sitz ich ja noch immer
Und fahre durch die Frühlingsnachtallee.
Ich sehne mich nach meinem Suppenzimmer;
Im Frack erschein ich ständig beim Diner,
Stets auch die Meinen im Toilettenschimmer.
Ein wenig muß man tun für sein Decorum,
Das sag ich mir vor meinem eignen Forum.
Da endlich: Poggfred leuchtet durch die Zweige.
Johann, fahr zu! Und reck dich mal empor!
Und »elegant« nimmt er die Gartensteige
Und fährt mit »tadelloser Grazie« vor.
Ihr Kinder, Weib, Magd, Knecht, Vieh, Alles zeige
Sich jetzt an meinem lieben Jagdhaustor.
Hurra, die Tür ist mit Lampions geschmückt,
Und meine Teckel blaffen wie verrückt.
Am Wagenschlag steht Bertouch, ganz schlohweiß,
Treu meinem Hause bis zum Höllenschlunde.
Und in der Halle, hell im Kerzenkreis,
Erwartet die Baronin mich im Bunde
Mit Wulff. Sie, meines Lebens Himmelspreis,
Soll bei mir sein auch in der letzten Stunde.
Vadder un sien Familj. Klein Abel lacht:
Papa, hast du mich auch was mitdebacht?